«Shwule Grüsse vom Balkan» (24) – Mutterqualitäten in Katmandu
Perfektion statt Menschlichkeit – eine Mutter und ihre Söhne
Bogdana Mihailović wollte mit ihrer Erziehung Drogen, HIV und einen schwulen Sohn verhindern. Nun hat sie alles und zweifelt an sich als Mutter, als ihr HIV-positiver Sohn Alen bekannt gibt, dass er Vater wird.
Drogen, HIV, shwuler Sohn. All das wollte Bogdana Mihailović mit ihrer Erziehung verhindern. Nun hat sie alles in einem: Ihren shwulen Sohn Aleks, der zwar HIV-negativ ist, aber eine promiskuitive Ader an den Tag legt, die sie gar nicht goutiert. Dann ihren heterosexuellen Sohn Alen, der HIV-positiv ist und zu ihrer grossen Überraschung auch noch Drogen nimmt. Und das als Fussballnachwuchsprofi und Vorbild für seine Fans!
Nun trifft sie mit dem unehelichen Enkelkind beinahe der Schlag: An der Pressekonferenz, die Alen wegen seiner HIV-Infektion einberufen hat, hat sich herausgestellt, dass er bald Vater wird. Denn Jekaterina, bei der er sich mit HIV angesteckt hat, ist schwanger.
«Wofür bestraft mich Gott so sehr?», betrauert sie sich selbst und zweifelt an ihren Qualitäten als Mutter. Mit anwesend beim lallenden Lamento ist ihr shwuler Sohn Aleks. Bogdana ist dem Alkohol sonst immer abgeneigt. Nach der misslungenen Pressekonferenz von Alen hat sie sich jedoch Hochprozentiges im Quadrat gegönnt. «Jetzt reiss dich mal zusammen», unterbricht Aleks Bogdanas Gejammer, «du hast weder als Mutter versagt noch will dich Gott bestrafen, sofern es denn einen gibt.»
Ich bin schon gay aus dir rausgeplumpst. Da kannst du Rosenkränze drehen und wenden, wie du willst
Alen habe sicherlich eine falsche Entscheidung getroffen, was zu all dem geführt hat. «Bei mir allerdings hilft all dein Beten nicht. Denn die Natur hat mich schon bei der Geburt als shwul vorgesehen: Ich bin schon gay aus dir rausgeplumpst. Da kannst du Rosenkränze drehen und wenden, wie du willst. Über das Leben haben weder du noch dein Gott irgendwelche Kontrolle!»
Aleks redet sich in Rage. Es nervt ihn, dass Alen und er für ihre Mutter immer nur eine Art Accessoire waren und ihr in ihrer sozialen Repräsentation halfen. «Wir sind nicht deine Status-Politur! Was können wir dafür, dass du in deinem Leben unten durch musstest und nach deiner Erwartungshaltung ans Leben «nichts» erreicht hast?»
Bogdanas Tränen stoppen. Als hätte das lokale Wasserwerk sämtliche Leitungen gekappt und alle Waschmaschinen, Boiler und Geschirrspüler in der Umgebung zum Ersticken gebracht. Ihre Mimik wechselt von der weinerlichen Mutter in diejenige des versteinerten Denkers von Auguste Rodin.
Aleks’ Worte schmerzen. Nicht, weil sie beleidigend oder erniedrigend sind. Sondern, weil sie wahr sind. Sie hat sich von ihrem Umfeld zu sehr dazu hinreissen lassen, stets die perfekte Mutter zu sein, die ihre perfekte Familie auf den perfekten Lebensweg bringt. Ihre Kinder schmiedeten dabei kräftig mit an ihrer Vorstellung vom perfekten Glück.
So, wie es auch ihr Umfeld gepflegt und an die grosse Glocke gehängt hat – wie beim Sohn von Jovo: Er ist ein erfolgreicher Anwalt, hat zwei Kinder und macht seine Eltern stolz wie Anton, Bolle und Oskar zusammen. Auch wenn er dafür dosenweise Ritalin, Viagra und anderes schluckt. Nur, damit er den perfekten Anwalt, Ehemann, Lover und Versorger geben kann. Aber davon weiss ja niemand, geschweige denn von seinen Selbstmordgedanken, die ihn täglich besuchen und ihn zum finalen Sprung über die Brücke überreden möchten.
Oder bei der klugen Jelena, die ihren Master of Business Administration macht, nebenbei noch modelt und neuerdings mit einem Adligen verlobt ist. Auch wenn sie dafür am Borderlinesyndrom leidet und sich in die Fusssohlen sticht, weil das Ritzen in die Arme oder Beine fürs Modeln unvorteilhaft wäre. Dafür schluckt sie Psychopharmaka wie Gummibärchen und grinst täglich neu in ihr Instagram-Profil. Nur, um zu zeigen, wie glücklich und perfekt ihr Leben ist, obwohl sie todunglücklich ist.
«Sie sind es alle nicht, Mutter. Sie sind weder perfekt noch glücklich. Sie alle sind Menschen mit Fehlern und Schwächen. Das heisst aber nicht, dass sie deshalb schlechte Menschen sind. Dein Umfeld und du sollten endlich begreifen, dass der Wert eines Menschen nicht aus seiner Perfektion besteht, sondern aus dem Mix seiner Stärken, Schwächen, Potenziale und Unberechenbarkeiten. Auch bei dir: Du bist eine sehr gute Mutter. Doch du wärst bei Weitem eine bessere, würdest du dich mehr dem Leben und Zufälligen widmen als der Perfektion.»
Bogdanas Weltbild à la Hollywood und American Dream zerbröselt gerade. Denn sie hat immer nach Glück in Form von Erfolg, Perfektion und Status gestrebt. Nun merkt sie: All das ist unmöglich! Weil der Mensch an sich nicht perfekt ist und es auch nie sein wird.
«Wann startet die nächste Expedition von Katmandu aus?», fragt sie am Telefon ihren Reiseveranstalter.
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
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