Schwuler Anwalt will Präsident von Tunesien werden
Das islamisch geprägte Land ist für dieses Unterfangen ein denkbar hartes Pflaster.
Mit Mounir Baatour bewirbt sich zum ersten Mal ein offen schwuler Kandidat um das Präsidentschaftsamt eines arabischen Landes. Doch nicht einmal die Stimmen der LGBTIQ-Community werden ihm bei der Wahl am 15. September sicher sein.
Homosexualität kann in Tunesien mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Auch wenn diese Strafe selten ausgesprochen wird, sind LGBTIQ-Menschen im nordafrikanischen Staat grosser Diskriminierung ausgesetzt. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass mit Mounir Baatour ein schwuler Anwalt ins Rennen um die Präsidentschaft einsteigt.
Vorbestrafter LGBTIQ-Aktivist Der 1913 eingeführte Artikel 230 im tunesischen Gesetzbuch war allein im letzten Jahr der Grund für die Verhaftung von 127 homosexuellen Personen. Als erste Amtshandlung werde er diesen Artikel aus dem Gesetzbuch streichen, verspricht Baatour. Dieser sass 2013 wegen Sex mit einem 17-Jährigen selber für drei Monate im Gefängnis. Für Baatour war es ein «rein politisches Verfahren», denn der damals machthabenden muslimisch-demokratischen Partei sei sein LGBTIQ-Aktivismus ein Dorn im Auge gewesen.
Das hielt den heute 48-jährigen Anwalt jedoch nicht davon ab, 2015 die Bürgerrechtorganisation «Shams» zu gründen. Diese kümmert sich um Verfolgte und setzt sich für die Entkriminalisierung von Homosexualität ein. Auch Aufklärungsarbeit ist wichtig, denn dass Schwule und Lesben nicht geisteskrank sind, ist in Tunesien alles andere als Konsens.
Insgesamt sieben Mal liess die tunesische Regierung die Organisation verbieten. Im letzten April hat die höchste Instanz des Landes jedoch endgültig entschieden, dass «Shams» keine illegale Organisation sei und die Arbeit weiterführen dürfe.
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Folgen der Enttabuisierung Gerade mal sieben Prozent der Bevölkerung in Tunesien halten gemäss BBC News Homosexualität für «akzeptabel». Im Vergleich zu Algerien (26 Prozent) und Marokko (21 Prozent) ist dieser Wert signifikant tiefer.
Eine LGBTIQ-Community ist in Tunesien erst in Ansätzen erkennbar – was unter diesen Umständen nicht verwundert. Nach dem Arabischen Frühling 2011 wurde das Webmagazin «Gayday» und ein gleichnamiger Radiosender ins Leben gerufen. Bemerkenswert ist auch das «Mawjoudin Queer Film Festival», das seit 2018 jährlich in Tunis stattfindet und queere Streifen zeigt.
Die erhöhte Sichtbarkeit der LGBTIQ-Community hat nicht nur positive Seiten: Der Chefredaktor von «Gayday» sieht in der Zunahme von homophoben Äusserungen ein Resultat der Enttabuisierung der Homosexualität. Auch wenn die Lage in Tunesien besser ist als in anderen islamischen Staaten, gibt es keinerlei Gesetze zum Schutz der LGBTIQ-Menschen. Von den wichtigsten Parteien im Land ist diesbezüglich keine Änderung zu erwarten.
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Kritik aus eigenen Reihen Mounir Baatour vertritt auch in anderen Punkten liberale Ansichten. So möchte er sich als Präsident für Frauenrechte und die ethnische Minderheit der Berber einsetzen. Ausserdem fordert er, dass Nichtmuslime für die Präsidentschaftskandidatur zugelassen werden.
Nicht nur weite Teile der Regierung und der Bevölkerung sind Baatour feindlich gesinnt; ausgerechnet LGBTIQ-Aktivist*innen kritisieren die Kandidatur am lautesten. In einer Petition wurde der bekannteste Schwule Tunesiens als «grosse Gefahr» im Kampf um LGBTIQ-Rechte bezeichnet. Sie werfen ihm sexuellen Missbrauch von Minderjährigen und Zwangsoutings von tunesischen Prominenten vor. Baatour weist diese Vorwürfe zurück.
Fast hundert Personen haben bisher ihre Kandidatur für die vorgezogene Neuwahl vom 15. September bekanntgegeben. Mounir Baatour als schwuler Kandidat, der nicht einmal die Stimmen der LGBTIQ-Community auf sicher hat, wird aller Voraussicht nach am Wahltag absolut chancenlos bleiben.
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