Schwule und Lesben gehören jetzt zur Schlagerfamilie. Oder?
Rex Gildo und Tony Holiday mussten noch heimlich schwul sein und gingen daran zugrunde. Heute dürfen schwule Schlagerstars zur besten Sendezeit in der ARD ihrem Liebsten Heiratsanträge machen
Schwule und Schlager, eine jahrzehntelange Annäherung ist durch. Von gegenseitiger Verachtung über Belustigung bis zum Heiratsantrag bei Silbereisen. Ein guter Grund, alle mal zu umarmen.
Breit grinsend sitzt Herbert K. vor der Glotze. «Schlagerboom – Alles funkelt, alles glitzert». Die Sendungen mit Silbereisen sind für den berenteten Staplerfahrer seit vielen Jahren ein Garant für Harmonie. Heile Welt, wenigstens in diesen Stunden samstagabends, wenn die Welt sonst schon soviel Unheil bringt.
Und dann das: Christoff De Bolle von Herberts Lieblingsband Klubbb3 geht nach der Performance auf die Knie – vor einem hübschen jungen Mann. Alles funkelt, alles glitzert.
Gänsehaut, auch bei Herbert in diesem Moment. Das Publikum steht, Freude überall, begeisterter Applaus. Kein Buh, nirgends. Und als Herbert schliesslich kapiert, was ihn da so rührt, schüttelt er den Kopf, schaut weg und kippt schnell einen Schnaps.
Nein, eine so öffentliche Verlobung zwischen zwei Männern wie die am 20. Oktober zur besten Sendezeit in der ARD hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Und ein so beiläufiges, und deshalb zeitgemäss-cooles Coming-out auch nicht. Für manch älteren Schlagerfan wie Herbert, der aus dem Sechzigerjahre Beatclub über die Siebziger- und Achtzigerjahre-Hitparade irgendwie bei Silbereisens Festen gelandet ist, ist das schockierend, keine Frage.
Rex Gildo sprang aus dem Fenster Wahr aber ist: Die saubere Welt des schönen Scheins, nach der die Nachkriegsgeneration sich so sehnte, und die sich deshalb so blendend verkaufte, hat einige Seelen auf dem Gewissen. Rex Gildo, der laut Plattenvertrag sein Schwulsein verschweigen musste und mit dem Schlagerkollege Christian Anders ein «verbotenes Abenteuer» gehabt haben will, wie dessen Biografie zu entnehmen ist, sprang irgendwann aus dem Fenster.
Und auch Tony Holiday («Tanze Samba mit mir») musste sein schwules Leben heimlich leben, bevor er 1990 an den Folgen von AIDS starb. Von der Generation Herbert wurden solche Tode nur auf dieselbe Art kommentiert, wie diese Künstler lebenslang öffentlich ihren wahren Gefühle leben mussten. Schweigend.
Demgegenüber schmierte die Verklemmtheit der Schlager-Urzeit geradezu irre klebrige Heteromännerfantasien in die Gummibaum-Wohnzimmer. «17 Jahr, blondes Haar», sehnsüchtig vorgetragen von Udo Jürgens. Oder: «Da hielt ich ihre Jugend in den Händen», geschmettert vom ebenfalls sehr erwachsenen Roland Kaiser. Heute würden solche Texte spätestens von den Medien zerrissen werden. Doch auch in den Achtzigern hielt dieser Trend nicht mehr lange. Abgelöst wurde er von der Neuen Deutschen Welle, sowie von ganz grossen Gefühlen. Bei «Niemals geht man so ganz» weinte mit Trude Herr die Nation.
Hinter den Kulissen nie Repressalien oder Anfeindungen Bis schliesslich Schlagerpartys, Retroclubs und später der Hamburger Schlagermove endgültig den Staub vom Vinyl fegten. Die Plattenfirmen wurden einsichtig. Tobias Reitz, schwuler Schlagertexter gegenüber MANNSCHAFT: «Ich habe hinter den Kulissen nie Repressalien, Anfeindungen oder auch nur Skepsis erlebt. Nicht mal ansatzweise. Im Grunde ist der Schlager jetzt das Backstage vom Leben und leben lassen.»
Schwule und Lesben gehören jetzt zur Schlagerfamilie Der 39-jährige Düsseldorfer wird es wissen, er schreibt und schrieb unter anderem für Helen Fischer, Klubbb3, Andrea Jürgens, Patrick Lindner. Lindner war einer der ersten, der sein privates Glück nicht länger dem öffentlichen Schein opfern wollte. Routiniert anrührend verkündete er 1999 sein Coming-out durch eine Adoption. Er blieb sich treu, seine Lieder aber wirkten fortan irgendwie deplaziert. Wahrheit ist stärker als Inszenierung.
Wir hätten mit Christoff gerne darüber gesprochen, wie sein Coming-out im Schlagerzirkus angekommen ist: Aber unsere wiederholte Anfrage bei der Plattenfirma wurde nicht beantwortet. Auch der frühere «Caught in the Act»-Schnuckel Eloy, der nach einem sensiblen Song über den Tod seines Ex-Freundes Stephen Gately von Boyzone «nicht eine negative Reaktion» bekommen habe, wie seine Plattenfirma behauptet, liess ausrichten, dass er «zu dem Thema nichts sagen» möchte. Ist wohl doch nicht alles so easy.
Bei Gabalier glitzert nichts Und überhaupt, was wäre eine schrecklich nette Familie ohne jemanden wie Peggy Bundy? Hier gespielt von Möchtegern-Raubein Andreas Gabalier. Obwohl in Berlin ungefähr soviel bayerische Gaudi herrscht wie im Berghain Solo-Toilettenbenutzung, füllt der selbsternannte Volks-Rock’n-Roller (er meint das ernst) locker zwei Tage hintereinander die Waldbühne. Gabalier hat es sich zur Aufgabe gemacht, Schlagerfans ein kerniges Angebot zu machen, jenseits von Glitzerwelt und Gendersternchen. Ginge klar, soweit. Doch wieviel Grundgesetze muss man dem Jungen eigentlich um die Ohren hauen, damit er endlich mit dem Geplärre nach «Meinungsfreiheit» aufhört? Und sich als Hetero nicht mehr diskriminiert fühlt? Mit seinen niveaulosen Chauvi-Sprüchen hat er inzwischen nicht nur viele schwule Fans vergrault. Schade eigentlich. Aber hey – wenn er am Ende eines Konzertes offenherzig bekennt, er sei eben «ah nur a Bua», sollten wir da nicht auch ihn im Rausch des Schlagers umarmen? Und flüstern: «Hey, wir lieben dich doch auch. Ohne an deine verschwitzte Wäsche zu wollen. Ehrlich». Würde das helfen, vielleicht?
Herbert trällert nach dem Antrag beim Schlagerboom sogleich wieder mit. Als Christoff de Bolle zum Schluss dann nochmals die Bühne betritt, hilft erneut ein Schnaps. Tja, früher kippten sich die Homos zu, um die Welt zu ertragen. Heute sind es Heteros wie Herbert. Und wir feiern derweil unsere Familienzugehörigkeit. Der aktuelle Albumtitel der Jungs von Klubbb3 klingt da fast wie eine Drohung: Wir werden immer mehr!
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