Schwul – Ein Wort mit einem schweren Stand
Der Duden definiert es so: «in Ärger oder Ablehnung hervorrufender Weise schlecht; unattraktiv, uninteressant»
Der Begriff «schwul» beschreibt in der Umgangssprache nicht nur die gleichgeschlechtliche Männerliebe, sondern er wird auch in einem negativen Sinn verwendet: Manchmal als gezielte Beleidigung gegenüber Männern, die nicht dem traditionellen Rollenbild entsprechen, häufig auch einfach als Ausdruck für Unangenehmes. Ersteres ist verwerflich, Letzteres schlicht unnötig.
Wer kennt sie nicht, die Situation: Man unterhält sich mit jemandem oder hört andere miteinander reden, und plötzlich fällt ein Satz wie «Das ist dermassen schwul!» Damit kann alles Mögliche gemeint sein. Die Verspätung des Busses, der plötzlich einsetzende Regen, eine hässliche Hose. Vor allem für jüngere Menschen ist am derartigen Gebrauch des Wortes nichts Ungewöhnliches. Schwul ist in der Jugendsprache zum Synonym für eine ganze Reihe von Ausdrücken geworden, die etwas Negatives bezeichnen.
Der Duden trägt diesem Umstand Rechnung und definiert schwul unter anderem als «in Ärger oder Ablehnung hervorrufender Weise schlecht; unattraktiv, uninteressant». Gegenüber MANNSCHAFT äussert sich der Verlag zur Aufnahme dieser Bedeutung wie folgt: «Der Dudenverlag bildet in seinem Wörterbuch den aktuellen Stand der Sprache ab. Wenn eine Wortbedeutung weit verbreitet ist oder ein Begriff eine Bedeutungswandlung oder -erweiterung erfährt, nehmen wir das auf.» Dass ein Begriff, der eigentlich die männliche Homosexualität beschreibt, auch als Schimpfwort verwendet wird, ist ein Phänomen, das nicht nur im Deutschen auftritt. Auch im Englischen zum Beispiel wird mit dem Wort gay (schwul, homosexuell) etwas Unangenehmes, Seltsames oder Unerwünschtes beschrieben.
Schwul ist nicht immer gleich schwul In dieser Verwendungsform hat schwul mit seiner eigentlichen Bedeutung – der homosexuellen männlichen Liebe – in der Regel nichts zu tun. In einem Artikel der Zeitung Die Zeit schreibt der Journalist Harald Martenstein über seine Erfahrungen mit der Sprache seines 14-jährigen Sohnes. Dieser habe ihm erklärt: «Das Gegenteil von geil heisst schwul. Ein schwuler Film ist ein Film, der nicht geil war. Der Pitbull – ein schwuler Hund. Oder es heisst, dieses Mädchen finde ich schwul, jenes Mädchen finde ich geil.» Auch laut Wikipedia hat sich das Wort in den letzten Jahren vermehrt als Gegenbegriff zu geil entwickelt. In diesem Sinne sei es nicht «spezifisch homosexuell konnotiert» – was das Beispiel des «schwulen Mädchens» beweisen dürfte.
Diesbezüglich sind meine eigenen Erfahrungen dieselben. Vor allem männliche, heterosexuelle Freunde benutzten das Wort regelmässig in dieser Gebrauchsform. Nach meinem Coming-out gab es eine Phase, in der sie dies vorerst auch weiterhin taten. Ganz automatisch. Meistens aber entschuldigten sie sich umgehend dafür, wenn sie realisierten, dass ich neben ihnen stand. Sie versicherten stets, dass dies weder gegenüber mir noch den Schwulen allgemein beleidigend gemeint war. Sie hätten sich halt einfach an diese Verwendung gewöhnt. Zu Beginn erwiderte ich immer, dass dies schon in Ordnung gehe. Ich verstünde, wie sie es meinten. Heute wie damals ist es zwar nicht schön, das Wort in einem abwertenden Kontext zu hören, und unterdessen weise ich auch daraufhin, dass mir diese Verwendungsform nicht gefällt. Gleichzeitig ist mir auch klar, dass ein gewisses Verständnis angebracht ist.
Es ist schwierig, Gewohnheiten sofort zu ändern. Das erfuhr ich wiederum am eigenen Beispiel. Als ich mit einer Freundin über dieses Thema sprach und einigermassen empört verkündete, es gebe doch weiss Gott genug andere Wörter, die man anstelle von schwul benutzen könnte, pflichtete sie mir zuerst verständnisvoll bei. Dann wies sie aber auch darauf hin, dass nicht nur «unser» Wort regelmässig verunglimpft werde. Auch Behinderte zum Beispiel hätten es diesbezüglich nicht leicht. Wie oft werde das Wort behindert in genau derselben Art und Weise verwendet!
Mir ging nicht nur ein Licht auf, ich fühlte mich auch ertappt. Mir wurde bewusst, dass ich dieses Wort regelmässig und völlig selbstverständlich benutzte – und mir dabei gar nie überlegt hatte, was das in einer Person auslösen könnte, die selbst behindert ist oder die eine behinderte Person in ihrem Umfeld hat. Seither versuche ich, das Wort nur noch dann zu verwenden, wenn es tatsächlich um behinderte Menschen geht. Aber eben. Gewohnheiten haben die unangenehme Eigenschaft, sich festzuklammern wie ein Koalabär am Eukalyptusbaum. Die unangebrachte Verwendung von behindert konnte ich noch immer nicht vollständig aus meiner Umgangssprache ausmerzen.
Insofern habe ich (noch) ein Restverständnis, wenn aus Sicht eines Freundes die vereiste Skipiste oder das versalzene Essen mal wieder schwul waren. Gerade auch deshalb, weil das Wort in meinem Umfeld immer seltener fällt. Einerseits liegt das an einer stärkeren Sensibilisierung meines Freundes- und Bekanntenkreises gegenüber diesem Thema. Andererseits verschwinden Jugend- und Slangausdrücke mehr und mehr aus unserem Alltagsvokabular, je älter wir werden. Jedenfalls habe ich noch nie einen Fünfzigjährigen gehört, der sich über die schwule Warteschlange an der Kasse im Supermarkt beschwert.
Jugendliche Provokation Warum aber wird schwul überhaupt in dieser Form verwendet? Gemäss der Politologin und Psychotherapeutin Christine Kammerer wollen sich Jugendliche mit ihrem «oft sehr respektlosen und aggressiven Wortschatz» bewusst von den Erwachsenen abgrenzen. Die Jugendsprache werde zum «Ausdruck von Freiheitsdrang und Selbstbestimmung in einer Entwicklungsphase, die vor allem der Identitätsfindung dient.» Typisch sei dabei, dass viele Jugendliche so tiefe Unsicherheiten zu überspielen versuchten. Und für Martenstein steckt dahinter vor allem die ewige Lust der Jugend an der Provokation, wobei «die Gutwörter und die Schlechtwörter meist aus dem Bereich des Sexuellen» stammten. Dabei werde «das gesellschaftlich Akzeptierte stets negativ besetzt, das gesellschaftlich Verpönte aber ins Positive verwendet». Das zeige zum Beispiel das sehr populär gewordene Wort porno, mit dem Jugendliche neuerdings Positives ausdrückten: «Das Schulfest war voll porno».
Die Jugendsprache werde zum «Ausdruck von Freiheitsdrang und Selbstbestimmung in einer Entwicklungsphase, die vor allem der Identitätsfindung dient»
Ist es also ein Problem, wenn schwul abwertend verwendet wird? In der Pubertät wollen die Jugendlichen halt einfach provozieren, könnte man sagen. Wenn die Akne spriesst und die Hormone toben, dann wollen sich die Teenager halt einfach abgrenzen, mag man einwenden. Die sind bloss verunsichert und versuchen das mit grobem Geschwätz zu verstecken. Alles halb so wild also?
Ein Schlag in die Magengrube Zweifellos hat es meist nichts mit Homophobie zu tun, wenn schwul derart benutzt wird. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ein solcher Gebrauch des Wortes schlicht unnötig ist. Schliesslich konnte sich die Menschheit problemlos verständigen, ohne es in diesem Sinne zu verballhornen. Ausserdem – und das ist der wichtige Punkt – kann diese Verwendung bei homosexuellen Knaben und Männern nach wie vor zu grosser Verunsicherung führen, gerade bei un- oder erst kürzlich geouteten. Dies vor allem dann, wenn man sein Gegenüber nicht gut kennt und hinter dessen Einstellung gegenüber Schwulen noch ein Fragezeichen steht. Hat er das Wort einfach so dahingesagt, wie die meisten es tun? Oder hat vielleicht doch eine homophobe Note mitgeschwungen, eine subtile, beiläufige Beleidigung Schwuler?
«Wenn du das Wort schwul ständig als Schimpfwort hörst, ist es jedes Mal ein Schlag in die Magengrube.»
Auf der Internetseite des deutschen Radioprogramms N-JOY befasst sich die Journalistin Sharon Welzel mit dem Thema. Auch sie schreibt, dass es die meisten Jugendlichen «wohl eher nicht» diskriminierend meinen, wenn sie das Wort schwul gebrauchen. Einerseits klingt das positiv. Andererseits zeigt die vorsichtige Formulierung «wohl eher nicht», dass man sich eben doch nicht immer ganz sicher sein kann. Jedenfalls zitiert Welzel in ihrem Artikel auch eine Studie der Berliner Humboldt-Universität. Diese zeige, dass sich lesbische, schwule und bisexuelle Schülerinnen und Schüler an ihrer Schule weniger sicher fühlten.
Solche Gefühle und Ungewissheiten können unter Umständen die Persönlichkeitsentwicklung schwuler Jungs und Männer hemmen, gerade wenn diese noch jünger oder in ihrer Sexualität ungefestigt sind. Womöglich erscheint einem Schwulen der Gesprächspartner auch unsympathisch, wenn dieser das Wort abwertend gebraucht. All das erschwert den Aufbau persönlicher Beziehungen. Das ist vor allem dann schade, wenn die Person mit der Verwendung von schwul tatsächlich nichts Böses meinte, sondern wirklich nur das Gegenteil von geil oder porno. Christian Lang, Vorstandsmitglied des Kölner Lesben- und Schwulentags fand in einem Interview klare Worte: «Wenn du das Wort schwul ständig als Schimpfwort hörst, ist es jedes Mal ein Schlag in die Magengrube.»
Nicht noch einmal von vorne, bitte! Das alles klingt vielleicht überempfindlich. Der eine oder andere wird sich denken: «Entspannt euch! Den Schwulen gehts ja gut, alles in allem.» Nun, die Verwendung von schwul im beschriebenen Sinne ist nicht nur abzulehnen, weil sie Verunsicherung auslösen kann. Sondern auch, weil das Wort schon seit seinen Anfängen einen schweren Stand hatte und erst in den letzten Jahren, nach mühsamen Kämpfen früherer Generationen von Schwulen, endlich salonfähig wurde.
Ursprünglich beschrieb schwul ein meteorologisches Phänomen: einen unangenehm heissen, bedrückenden Wetterzustand. Das heutige schwül, als Gegenbegriff zu kühl. In seiner Bedeutung als homosexuell fand das Wort um 1900 seinen Weg in die Umgangssprache. Laut dem deutschen Sprachwissenschaftler Heinz Küpper wurde damit wahrscheinlich auf die «beklemmend heisse Atmosphäre in den einschlägigen Lokalen» angespielt, in denen sich schwule Männer damals trafen. 1967 tauchte der Begriff dann zum ersten Mal im Duden auf. Damals bedeutete er «derb für: homosexuell». Vor allem in den Grossstädten verwendeten ihn viele Schwule schon vorher, um die eigene sexuelle Orientierung und Identität zu beschreiben. Manche lehnten diese Selbstbezeichnung aber ab, denn bei einem Grossteil der (heterosexuellen) Bevölkerung war das Wort – sowie auch Homosexualität als solche – verpönt und anstössig. Eine Bekannte, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren aufwuchs, erzählte mir einst, sie habe mit dem Begriff schwul noch immer Mühe. Es sei kein schönes Wort und «so negativ aufgeladen».
«Ursprünglich beschrieb schwul ein meteorologisches Phänomen: einen unangenehm heissen, bedrückenden Wetterzustand.»
Zunehmend wurde schwul auch ausserhalb der Szene in einem positiven Kontext verwendet, das Wort erfuhr einen Imagewandel. 2001 sagte der ehemalige Schweizer Bundespräsident Moritz Leuenberger in seiner Ansprache am Christopher Street Day in Zürich, es sei der Beharrlichkeit der Homosexuellen zu verdanken, dass er die Wörter schwul oder lesbisch heute viel leichter über die Lippen bringe. In seiner Jugend seien dies obszöne Schimpfworte gewesen, heuten seien diese Begriffe zunehmend inhaltlich akzeptiert. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund scheint es umso wichtiger, dass das Wort seinen negativen Anstrich ein für allemal verliert. Es sollte nicht erneut durch den Dreck gezogen und nur noch in seiner eigentlichen Bedeutung verwendet werden. Das gelingt kaum, wenn schwul so häufig in einem abwertenden Kontext auftritt.
«Ich werde das Gefühl einfach nicht ganz los, dass er so verwendet wird, weil letztendlich auch Schwulsein als negativ empfunden wird.»
In künftigen Jahren ist Homosexualität hoffentlich derart selbstverständlich, dass wir alle über Vergangenes lachen können und ein abgewandelter Gebrauch des Wortes erheiternd sein mag. Zurzeit jedoch ist das Bewusstsein noch zu stark, dass schwul sehr lange diskriminierend und beleidigend verwendet wurde und sich erst in den letzten Jahren den Schmutz des Anrüchigen und Verpönten abzuwischen vermochte. Zu bitter ist auch der Beigeschmack, dass Homosexuelle noch nicht vollständig gleichberechtigt sind; dass sie nicht heiraten und keine Kinder adoptieren dürfen und dass sie in vielen Teilen der Welt mit erheblichen Nachteilen leben müssen. Eine Kombination von alldem kommt jeweils – wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde – in Form eines unangenehmen Gefühls in mir hoch, wenn schwul als Schimpfwort fällt.
Ein Freund sagte kürzlich, es nage jeweils ein kleines bisschen an der Seele, wenn er den Begriff in dieser reduzierenden Bedeutung höre. Und er fand: «Ich werde das Gefühl einfach nicht ganz los, dass er so verwendet wird, weil letztendlich auch Schwulsein als negativ empfunden wird.»
Unterstütze LGBTIQ-Journalismus
Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!
Das könnte dich auch interessieren
Schwule Zwillinge, getrennt zwischen Dresden und Tunesien
Badr und Dali Rtimi sind eineiige Zwillinge. Sie wachsen in Tunesien auf, arbeiten in derselben NGO, geraten beide ins Visier der Polizei. 2019 beantragt Badr politisches Asyl in Dresden. Dali bleibt zurück.
Justiz muss Hassverbrechen gegen LGBTIQ jetzt vollständig erfassen
Der neue Justiz-Erlass ist wichtige Grundlage für Nationalen Aktionsplan gegen Hate Crime, sagt Mario Lindner. Der SPÖ-Gleichbehandlungssprecher begrüsst die Verpflichtung zur Erhebung von vorurteilsmotivierten Straftaten.
Guido Maria Kretschmer wird 60: «Ich bin schon vom Leben high»
Guido Maria Kretschmer hat immer Menschen gefunden, die an ihn geglaubt haben. Mit Können und Vertrauen auf das Gute hat der offen schwule Modedesigner, Autor und TV-Moderator eine Erfolgsgeschichte geschrieben.
Billy Idol hatte seine ersten Auftritte in Schwulenbars
Lange bevor Billy Idol auf den Bühnen dieser Welt den Hit «Rebell Yell» hinausbrüllte, war es die LGBTIQ-Community, die sein erstes Zuhause war.