Moskau: Gericht löst Zentrum und Archiv von Memorial auf
Die Menschenrechtsorganisation will gegen das Urteil vorgehen
Nur einen Tag nach der gerichtlich angeordneten Auflösung der international bekannten Menschenrechtsorganisation Memorial muss nun deren Zentralstelle samt Archiv in Moskau schliessen. Memorial kümmert sich u.a. um LGBTIQ-Menschenrechte.
Ein Gericht habe am Mittwoch einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben, teilte die russische Justiz mit. Die Organisation sprach von einer politischen Entscheidung. Jan Ratschinski von der Memorial-Leitung kündigte an, auch gegen dieses Urteil vorzugehen – wenn der nationale Rechtsweg ausgeschöpft sei, notfalls vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Zuvor war «LGBT-Set» vom russischen Justizministerium als «ausländischer Agent» eingestuft worden: Das zieht zusätzliche staatliche Kontrollen nach sich. Die Organisation hilft queeren Menschen, setzt sich für Aufklärung ein und sammelt Beweise in Fällen von Diskriminierung der Community (MANNSCHAFT berichtete).
Memorial kümmert sich u.a. um politische Gefangene, die Rechte von LGBTIQ sowie Migrant*innen. Wie die Geschäftsführerin Jelena Zhemkova gegenüber tagesschau.de sagte, sei das wichtigste, die Menschen aufzuklären. Viele Russ*inen sähen Stalin immer noch positiv. Im Jahr 2019 habe eine Untersuchung des unabhängigen Meinungsforschungszentrums Lewada-Zentrum gezeigt, dass 51 Prozent der Menschen im Land Stalin verehrten. Das mache die Aufklärungsarbeit über seine Verbrechen zu einer so heiklen wie unverzichtbaren Aufgabe, so Zhemkova.
Das Internationale Auschwitz Komitee kritisierte das Vorgehen der Justiz. «Der Versuch russischer Behörden, die Zeit zurückzudrehen und die Idee und die Arbeit von Memorial zu zerstören wird nicht gelingen», sagte Vize-Präsident Christoph Heubner. Memorial sei über Russland hinaus zu einer moralischen Instanz geworden, die «die Verbrechen der stalinistischen Säuberungen aufgezeigt und vielen Opfern und ihren Angehörigen Hoffnung und Würde zurückgegeben hat».
Am Dienstag hatte Russlands oberstes Gericht die Auflösung der internationalen Menschenrechtsorganisation verfügt und ohne Angaben von Gründen einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft wegen Verstosses gegen russische Gesetze stattgegeben. Memorial war bereits mehrfach zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sich die Organisation selbst nicht als ausländischer Agent bezeichnet. Das entsprechende umstrittene Gesetz sieht vor, dass Empfänger von Zahlungen aus dem Ausland als «Agenten» gekennzeichnet werden können.
Das Urteil löste international Entsetzen aus. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hiess es, die Entscheidung «widerspricht internationalen Verpflichtungen zum Schutz grundlegender Bürgerrechte, die auch Russland eingegangen ist». Kritik kam aus den USA und von der EU.
Das Vorgehen gegen Memorial ist der mit Abstand schwerste Schlag gegen die russische Menschenrechtsbewegung. Die Organisation hat sich seit mehr als 30 Jahren international einen Namen mit der Aufarbeitung der kommunistischen Gewaltherrschaft in der Sowjetunion gemacht. Sie setzt sich zudem für politische Gefangene ein.
Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten trotz eisiger Temperaturen wieder viele Menschen gegen das Urteil.
Das russische Parlament will scheinbar demnächst über ein neues Gesetz entscheiden, wonach Filme mit homosexuellen Inhalten wie Pornografie behandelt werden sollen – und nur über «Sonderzugangsregelungen» zu sehen wären (MANNSCHAFT berichtete).
Das könnte dich auch interessieren
News
Aus Schwulenhass erschossen? US-Schauspieler Jonathan Joss ist tot
Der «King of the Hill»-Star starb bei einem Nachbarschaftsstreit in Texas. Sein Ehemann meint, er wurde ermordet.
Von Newsdesk Staff
Serie
People
Film
Religion
Über 55.000 Unterschriften für Absetzung von Kardinal Woelki
Bei Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ging es im Kern darum, was Woelki zu welchem Zeitpunkt über Missbrauchsvorwürfe gegen Priester wusste.
Von Newsdesk/©DPA
Deutschland
News
Polizei
Schweiz
Bern Pride 2025: «Zäme für Fröid, Widerstand und Liebi»
Rechte, die hart erkämpft wurden, sind nicht selbstverständlich – «auch nicht in der Schweiz».
Von Newsdesk Staff
News
Pride
Deutschland
«Krankhaft»: Erschreckende Zunahme bei queerfeindlichen Diskriminierungsfällen
Ein Viertel aller Personen, die bei der Antidiskriminierungsstelle Rat suchten, meldete Diskriminierung durch staatliche Stellen.
Von Newsdesk Staff
News
TIN