Regenbogenfamilien in Österreich: «Den Mutigen gehört die Welt»

Ein Besuch im Regenbogenfamilienzentrum Wien

Bild: iStock
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Kinder, die in Regenbogenfamilien aufwachsen, sind absolute Wunschkinder. Denn der Elternschaft geht stets eine lange Reise der Planung voraus. Mit Verena Flunger, die seit Februar 2018 das Regenbogenfamilienzentrum Wien leitet, sprechen wir über die Situation von LGBTIQ-Personen mit Kindern in Österreich, die nationale Gesetzeslage und die Frage, was denn Familie überhaupt ist.

Verena, was bedeutet der Begriff Familie für Euch im Regenbogenfamilienzentrum? Was und wer Familie ist, definiert jeder Mensch für sich selbst. Für uns hat Familie nicht zwingend etwas mit biologischer Verwandtschaft zu tun. Wir fassen den Begriff ganz bewusst weit und sagen Familie sind alle, die sich als Familie sehen. Alle, die sich zusammengehörig fühlen und für einander da sind. Dafür braucht es keine rechtliche Benennung oder staatliche Bezeichnung.

Verena Flunger (Foto: zVg)
Verena Flunger (Foto: zVg)

An wen richtet sich das Angebot des Regenbogenfamilienzentrums Wien? An alle Familien, in denen sich zumindest ein Mitglied der LGBTIQ-Community zuordnet. Zwei lesbische Mütter, transsexuelle Eltern, polyamoröse Lebensformen oder andere Konstellationen. Regenbogenfamilien sind vielfältig und bunt. Und an diese ganze Vielfalt richtet sich auch unser Angebot.

Welche Beratungen bietet Ihr konkret an? Wir begleiten LGBTIQ-Personen auf dem ganzen Weg des Familienabenteuers, von Beratungen zum Thema Kinderwunsch und möglicher Umsetzungsoptionen bis hin zu Fragestellungen, wenn die Kinder da sind. Wie gehe ich mit Trotzphasen des Kindes um? Wie erkläre ich Aussenstehenden unsere Familiensituation? Was sind meine Ängste als Elternteil? Für alle diese und viele andere Fragen stehen wir von der Geburt oder Aufnahme eines Kindes bis zu dessen Erwachsenwerden beratend zur Seite. Auch in lebensverändernden Phasen, wie Trennungen, unterstützen wir Eltern und Kinder.

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Wie sieht die Lebenssituation von Regenbogenfamilien in Österreich aus? Leider gibt es dazu in Österreich keine wissenschaftlichen Studien. Unser Dachverein FAmOs (Regenbogenfamilien Österreich) existiert erst seit zehn Jahren und das Regenbogenfamilienzentrum Wien wurde erst 2017 eröffnet. Das zeigt, dass die professionelle Arbeit mit und für Regenbogenfamilien noch in den Kinderschuhen steckt. Nichtsdestotrotz gibt es Institutionen und Regelungen, die LGBTIQ-Personen mit Kinderwunsch zugutekommen. Es gibt die Möglichkeit der Stiefkindadoption, Kliniken für künstliche Befruchtung, die Möglichkeit der Aufnahme eines Pflegekindes oder eine Adoption, um ein paar Beispiele zu nennen.

Sind diese Möglichkeiten politischen Initiativen zu verdanken? Alle Rechte, die im österreichischen Gesetz verankert sind, haben Regenbogenfamilien selbst erkämpft. Glücklicherweise gibt es in Österreich Familien, die bereit sind sich zu engagieren und einzusetzen. So gerät die Politik unter Druck und muss handeln. Wie in vielen anderen Bereichen ist die Gesellschaft auch beim Thema Regenbogenfamilien viel weiter als die Politik. (Immerhin können homosexuelle Paare seit 2019 gleichberechtigt heiraten – MANNSCHAFT berichtete).

Wären Studien nicht wichtig? Auf jeden Fall. In Österreich wurde dafür bisher leider kein Budget aufgebracht. Wissenschaftliche Studien sind aber aus verschiedenen Gründen relevant. Erstens bilden sie die Realität der Regenbogenfamilien in Österreich ab. Sie zeigen, wie es Familien geht, was sie beschäftigt und mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert werden. Zweitens wären Studien sehr wichtig für die Angebote des Regenbogenfamilienzentrums. So wie nicht alle LGBTIQ-Personen zur Pride gehen, kommen auch nicht alle zu uns. Das ist uns bewusst. Studien könnten auch jene Menschen erreichen, die wir nicht erreichen und feststellen, welche Angebote vielleicht fehlen. Drittens wären Studien wesentlich um Bedenken und Vorurteile abzubauen. Wenn schwarz auf weiss belegt wird, dass Kinder in Regenbogenfamilien gut aufgehoben sind, dann fördert das immer auch die politische und gesellschaftliche Akzeptanz.

Und über die Grenzen Österreichs hinaus, gibt es hier Studien? Ja. Erst kürzlich wurde eine Regenbogenfamilienstudie in Deutschland veröffentlicht. Diese hat zahlreiche vorangegangene Studien bekräftigt, dass es Kindern in LGBTIQ-Familien sehr gut geht, teilweise sogar besser als in heteronormativen Familien. Den Grund dafür sehen die Studien in der Tatsache, dass Kinder in Regenbogenfamilien immer Wunschkinder sind. LGBTIQ-Personen müssen sich intensiv mit dem Thema Elternschaft auseinandersetzen, reflektieren und Wege finden den Kinderwunsch zu verwirklichen. Das kommt letztlich dem Kind zugute. (CDU-Bildungsministerin Karliczek wollte trotz vorhandener Studien untersuchen lassen, ob Regenbogenfamilien den Kindern gut tut – MANNSCHAFT berichtete).

Im europäischen Vergleich: Welche Länder können Österreich als Vorbild dienen? Nordische Länder wie Schweden oder Dänemark. Mit einem fortschrittlichen Familienrecht wurden in diesen Ländern schon früh Modelle für Regenbogenfamilien geschaffen. Hier gab es beispielsweise schon legale Samenbanken, als es in Österreich noch nicht einmal die eingetragene Partnerschaft gab.

Ist Diskriminierung von Regenbogenfamilien in Österreich ein Thema? Bezüglich der Realisierung des Kinderwunsches haben es Frauenpaare sicherlich einfacher als Männerpaare. Hier schwimmen leider immer noch verstaubte Rollenmuster und stereotypische Geschlechterrollen mit. Was den Alltag von Regenbogenfamilien betrifft, bekommen wir von jenen, die wir begleiten, viele positive Rückmeldungen. Wenn etwa Schwierigkeiten bei Behördengängen auftreten, ist das häufig keine böse Absicht oder mutwillige Diskriminierung, sondern mangelnde Erfahrung und Unwissenheit. Viele Regelungen und Rechte sind neu und brauchen Zeit um in allen Lebensbereichen anzukommen.

Das hört sich ja sehr gut an. Ich möchte nicht sagen, dass alles perfekt ist und es gibt natürlich noch viel zu tun, aber vieles funktioniert und wird akzeptiert. Eine Familie zu gründen ist immer ein Überraschungspaket, egal in welcher Konstellation.

Vertraut anders

Zum Abschluss: Dein Tipp für LGBTIQ-Personen mit Kinderwunsch? Keine Angst zu haben. Eine Familie zu gründen ist nicht nur ein Überraschungspaket, sondern auch ein Sprung ins kalte Wasser, unabhängig davon, wen ein Mensch liebt oder mit wem ein Mensch zusammenleben will. Die Welt gehört den Mutigen.

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