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Queere NS-Opfer erhalten ihre Würde zurück

In der jährlichen Gedenkstunde im Deutschen Bundestag

Berlin
Berlin: Die Regenbogenfahne weht auf dem Reichstagsgebäude (Foto: Christoph Soeder/dpa)

Die CSD-Saison 2022 ist in vollem Gange. In Städten wie Duisburg, Stuttgart und Jena findet an diesem Wochenende die Pride statt. Am Rande von CSDs gab es viel Hass, trotzdem sieht der Autor unseres Kommentars* in diesem Jahr wichtige Signale.

Bisher wurden bei vielen CSDs nach der Pandemie Rekorde bei Beteiligten und Zuschauenden verzeichnet. Ein gutes Zeichen, auch wenn nicht alles auf eine queer-freundlichere Gesellschaft zurückzuführen ist. Wir alle lechzen nach zwei Jahren herunter gefahrenem öffentlichen Leben nach Events im Freien, vom Festival bis CSD. Denn auf der anderen Seite gab es noch nie so viele homophobe und transfeindliche Angriffe und Gewaltdelikte im Umfeld der Prides wie dieses Jahr.

In Karlsruhe, Augsburg und zuletzt auch Berlin waren CSDs, bei denen es während oder nach der Parade zu homo- und transfeindlichen Pöbeleien, Angriffen und Gewalt kam; in Zürich wurde der CSD-Gottesdienst gestört (MANNSCHAFT berichtete). Meist waren Jugendliche die Täter, indoktriniert von den staccatoartigen Hassparolen der Rechtspopulisten und Reaktionären. Gender-Gaga, Minderheiten-Terror, Schwulen-Lobby, Genderideologie und Woke-Wahnsinn sind die Kampfbegriffe mit denen agiert wird und die leider auf fruchtbaren Boden fallen. Deshalb sind gerade Demonstrationen für Gleichberechtigung und gesellschaftliche Vielfalt ein Ziel für diese Verblendeten und Frustrierten. Ob und was in den Köpfen dieser dumpfen Menschen vorgeht, ist nicht nachvollziehbar. Wahrscheinlich brauchen sie dieses Ventil, um sich von ihrer eigenen Unzulänglichkeit abzulenken. Wer Regenbogenfahnen herunter reisst und verbrennt zeigt nur, dass in seinem Oberstübchen nur schwarzer Rauch statt ein Gehirn vorhanden ist.

Gemessen an den Millionen an friedlich Demonstrierenden und fröhlich die Vielfalt Feiernden sind das natürlich Einzelfälle, aber jeder Einzelfall ist einer zuviel. Wenn allerdings auch noch zu klärende Anschuldigungen vorliegen, dass von Seiten der Polizei – wie in Karlsruhe – gegen diese randalierenden und hasserfüllten Chaoten nicht mit Null-Toleranz vorgegangen und konsequent ermittelt wurde, bestätigt das die Notwendigkeit eines effektiven nationalen Aktionsplans für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, wie er momentan in der Pipeline der Bundesregierung ist.

Neben den Rekorden bei den Besuchszahlen der Regenbogen-Paraden gab es noch andere Highlights, die man schon ohne zu übertreiben als historisch bezeichnen kann.


Nach der – typisch deutschen – Posse um die Flaggenordnung für Bundesbehörden, die in den letzten Jahren erbittert geführt wurde und die von Nancy Faeser (SPD) als neuer Chefin im Innenministerium knackig und kurz beendet wurde, wehten diesmal in der Bundeshauptstadt nicht nur vor allem Ministerien die Regenbogenflagge, nein auch vor dem Bundeskanzleramt wurde sie aufgezogen. Angela Merkel hat das in 16 Jahren nicht geschafft. Der Bundeskanzler Olaf Scholz meldete sich mit einem Post auf Twitter zur steigenden Hasskriminalität und hielt dabei eine Regenbogenfahne hoch (MANNSCHAFT berichtete). Die Kritik aus den Reihen der Community, dass die Fahne nicht ordentlich gebügelt war, war… auch typisch deutsch!

Auch der erste Repräsentant des Staates, Frank Walter Steinmeier hat sich zum Pride Month zu Wort gemeldet. Und alle, die solche Aktionen als Gefahr für den Untergang der staatlichen Ordnung angesehen und früher bekämpft und verhindert haben, sind eines Besseren belehrt: Deutschland steht noch. Ein Blick in die Welt hinaus hätte sie schon früher zu dieser Erkenntnis kommen lassen können. In anderen Ländern sind solche offiziellen Äusserungen und Aktionen schon längst das, was sie hoffentlich auch in Deutschland werden: gute Tradition!

Das aber wohl wichtigste Signal in dieser Richtung kam von Bärbel Bas, der Bundestagspräsidentin. Sie gab bekannt, dass er Deutsche Bundestag im Januar 2023 in der jährlichen Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus an diejenigen zu erinnern, die auf Grund ihrer sexuellen Orientierung im NS-Staat verfolgt, entrechtet und ermordet wurden. Seit einigen Legislaturperioden wurde diese Bitte an das Präsidium des Deutschen Bundestages herangetragen. Dies scheiterte auch an der ablehnenden Haltung der konservativen Vorgänger im Amt Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble (MANNSCHAFT berichtete). Selbst eine auch von Historiker*innen und Vertreter*innen anderer Opfergruppen mitgetragene Petition im Jahr 2018 hatte daran nichts geändert. Das Gedenken in der Feierstunde ist der bisher fehlende Schlussstein im Umgang mit der staatlichen Verfolgung von Homosexuellen und Diskriminierung von queeren Menschen in Deutschland. Angefangen von der Aufhebung der Urteile nach § 175 in der Nazizeit, die Entschuldigung bei den Opfern des § 175 in der Nachkriegszeit und letztendlich der Entschädigung und Rehabilitierung der Verurteilten in der Bundesrepublik Deutschland.


Dieser Gedenk-Akt kommt somit spät, leider zu spät, damit noch überlebende Opfer dieser Verfolgung sie miterleben können. Im Jahre 2011 verstarb Rudolf Brazda, der letzte Überlebende, der als schwuler Mann den rosa Winkel im KZ Buchenwald tragen musste. Gerade deshalb ist die Widmung der Gedenkstunde für diese Opfer der Nazi-Diktatur so wichtig, weil wir diesen Menschen im feierlichen Gedenken im Parlament unseres Staates ihre Würde zurückgeben können. Theodor W. Adorno hat dies so treffend benannt: «Die Ermordeten sollen nicht noch um das Einzige betrogen werden, was unsere Ohnmacht ihnen schenken kann – das Gedächtnis.» Gleichzeitig kann und muss es aber auch als Mahnung und Warnung für die Zukunft verstanden werden, die verpflichtende Feststellung des Grundgesetzes nie mehr zu verletzen: «Die Würde des Menschen ist unantastbar.»

Wie aktuell und wichtig dies ist, zeigen die oben genannten Hetzreden aus den Reihen der Rechtspopulisten. Und sie muss leider auch selbst für Mitglieder des Parlaments gelten, wie z.B. die stellvertretende AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch, die vor kurzem die Grünen Abgeordnete und trans Frau Tessa Ganserer beleidigte, als sie sagte, biologisch und juristisch sei und bleibe Ganserer ein Mann (MANNSCHAFT berichtete). So wird auch bei der Gedenkstunde im Januar die AfD erwartbar die einzige Fraktion und Partei sein, die sich bei diesem Gedenken nicht adäquat verhalten wird. Dies belegt aber nur erneut, dass solche Menschen in einem demokratischen Parlament nichts zu suchen haben.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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