Das Corona-Jahr wird eine Ausnahme gewesen sein
Jan Feddersen macht Mut für die nächste Pride-Saison
Pride-Absagen hier, Demo-Spots dort – die CSD-Saison fällt dieses Jahr aus oder findet so ganz anders statt als sonst, kleiner und weniger spektakulär. Aber, wie Jan Feddersen in seinem Samstagskommentar* schreibt: Corona geht vorbei, und nächstes Jahr paradieren wir wieder in Massen – und sei es mit Masken und gut einem Meter Abstand.
Eigentlich wären wir jetzt mitten in unserer Jahreszeit, CSD-Paraden im Zeichen von Stonewall. Ihr wisst schon, New York City, 1969, Summer of Love, wie es später hiess – queere Leute, schwule Männer vor allem, gleich welcher Hautfarbe, Drags und trans Menschen, Lesben auch, wehren sich militant gegen Epressungen und Nachstellungen der örtlichen Polizei (MANNSCHAFT berichtete). Es flogen Steine und andere Dinge, am Ende war die moderne LGBTI-Bewegung geboren.
«Bi the Way» – Lesben und der Katy-Perry-Stress
Was konkret heisst und hiess: Nicht aufs Verstecken und Verschweigen kam es mehr an, sondern aufs Zeigen und Sagbarmachen. Jahr für Jahr wuchsen die Demos, also Paraden an Menschen, irgendwann wurde es immer jünger, denn die in den frühen sechziger Jahren geborenen Männer und Frauen und, wie Magnus Hirschfeld gesagt hätte, Zwischenstufen waren in immer liberaleren Zeiten gross geworden, mutig und unaufhalbar: CSD – Ehrensache, dort mitzugehen.Und das gilt weltweit. Natürlich, in den arabischen Ländern gibt es keine CSDs, dafür meist die Todesstrafe aufs schwule Erwischtwerden, auch in osteuropäischen Ländern, die dem Sowjetsystem teils hinterhertrauern, ist ein CSD schwer zu haben.
Vor 40 Jahren war ich Mitorganisator des ersten CSD in Hamburg, zwei Tage darauf, am 30. Juni 1980, gehörte ich zum Team um den Theatermann Corny Littmann, das auf Hamburg St. Pauli auf einer Herrentoilette Krawall machte – Littmann schlug mit einem Hammer, ausgeliehen von der Theaterintendant*innendrag Pauline Courage, den Einwegspiegel ein, hinter dem Polizisten sassen, um unsereins auszuspähen und namentlich in so etwas wie Rosa Listen zu notieren. Ob das mutig war? Kann sein, dass andere es so empfinden, aber für uns gab es keine Frage: Die Türen, durch die wir hindurch wollten, standen ja offen – und wir durch sie mit minderer Eleganz, aber umso grösster Entschlossenheit: Die Zeiten der bleiernen Diskretion waren vorbei, mussten es einfach sein.
Bayern feiert «grossen regenbogenfarbenen Erfolg»
CSDs, und zwar egal ob in Linz oder Luzern, Köln oder Berlin, waren Generalprobenbühnen für jedes queere Leben: Man zeigt sich – und das tut meist gut so. Jetzt wäre unsere Saison, die im Mai meist mit dem Eurovision Song Contest beginnt – und mit CSDs irgendwo endet, meist Mitte September. Das geht dieses Jahr nur schwer, in Berlin hat kürzlich ein kleiner, spontan anberaumter CSD stattgefunden, gut so.
Hier gab es vor Jahren sogar mal einen alternativen, wie sie sagten: transgenialen CSD, aber das war zu klein und zu dörflich, wo sie Israel hassten und manche sogar die homo- und transphobe Hamas aus dem Gazastreifen hochleben liessen. Nein, das ging natürlich gar nicht, denn die eigentliche Manifestation des queeren, schwulen und lesbischen Selbstvertrautheitsammelns und Selbstbewusstseins war der fette, mächtige, fast ins Millionenfache gehende CSD rund um die Partymeile zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule in Berlin.
Politisch ist beim ersten Mal vor allem die öffentliche Selbstdarstellung und das Selbstsein
Manche kritisierten diesen CSD, eben die vom transgenialen CSD, als unpolitisch. Aber das war sowieso ein Irrtum, denn für queere Flüchtlinge und migrantische Homos und trans Personen war der grosse CSD die Familie, die sie willkommen hiess. Und politisch, das ist ein jeder, eine jede, der oder die sich aufrafft, nicht mehr versteckt zu leben – womöglich gegen die Einsprüche von Eltern und Verwandten. Politisch ist, wenn einer sagt: Mir reicht es mit dem Heterodasein, das ohnehin verlogen war. Politisch ist, so gesehen, das öffentliche Sein, beim ersten Mal vor allem, die Selbstdarstellung und das Selbstsein.
Was ich sagen will: Corona geht vorbei, und nächstes Jahr paradieren wir wieder in Massen – und sei es mit Masken und gut einem Meter Abstand. Dieses Jahr wird eine Ausnahme gewesen sein – für alle, überall und an allen Punkten der Welt. Gut,dass wir diese Saison haben – beglückend, dass wir diese Zeit zu unserer gemacht haben. Happy Pride allen! Wir können wissen, wo der Hammer hängt.
*Die Meinung der Autor*innen von Kommentaren spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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