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Pride als neuer Karneval? Das ist auch gut so

Warum man bei der Parade ruhig Spass haben darf

Christopher Street Day in München
Der CSD München 2022 (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Den Vorwuf an die CSDs hierzulande, der Vorwurf des Nichtpolitischen, oft versehen mit dem Wörtchen «kommerziell», gibt es seit Jahrzehnten fast. Als ob bei einer politisch inspirierten Parade nicht von Herzen gefeiert werden dürfe, schreibt unser Autor in seinem Kommentar*.

An diesem Samstag, erbringt Hamburg seinen Teil zur monatelangen CSD-Saison. Im April begann in Schönebeck die Jahreszeit der Regenbögen, im September folgt z.B. noch Salzburg; im hessischen Herleshausen endet die Pride-Saison – im November (!). An Hamburg, meiner Heimatstadt, hänge ich natürlich besonders, mein Mann lebt dort – in queerer Hinsicht war ich am ersten Hamburger CSD organisatorisch mitbeteiligt. Das ist 42 (!) Jahre her, die Kanzlerkandidaten in der Bundesrepublik hiessen Franz Josef Strauß von der Union und der amtierende Regierungschef Helmut Schmidt, SPD, ausserdem existierte noch der § 175.

Die Ehe für alle hatten damals nicht mal die wenigen nicht-studentischen Teilnehmer*innen phantasiert, also bürgerrechtliche Gleichstellung. Damals waren wir ungefähr 500 Menschen, Lesben und Schwule, vielleicht noch 1500 Menschen sonstwie am Rande der Hamburger Innenstadt. Wir waren überschaubar und wussten zugleich, was wir tun wollten: Sich nicht verstecken, nicht im Üblichen der öffentlichen Oberflächen der Heterowahrnehmung verschwimmen.

Und ich muss es so lakonisch und nüchtern sagen: Das hat sich ins Gegenteil verkehrt – und wie ich inzwischen hörte, ist das, was ich aus meiner Heimatstadt berichte, so ziemlich an allen CSD-Orten das Mass der Dinge. Voriges Wochenende in Hamburg, wir bummelten über die Reeperbahn, besuchten die legendäre, keineswegs hippe Bar «Piccadilly» im gewöhnlichen Wohnviertel zwischen Elbhang und Partykultur auf St. Pauli – und sahen hier und da Menschentrauben. Nächtliche Führungen durch das Viertel. Irritierend, angenehm irritierend war, dass alle Führungen von Drag Queens à la Olivia Jones (eine Lokalgrösse, in der Tat) dirigiert wurden. Am Tage in der U-Bahn auf dem Screen des U-Bahn-Fernsehen: Werbung für die Hamburg Pride, garniert mit dem Lebenstipp: Regen Sie, regt Eurem Gegenüber ein Coming-out an! Ich stelle mir vor, vor 45 Jahren, als ich, kaum mehr als ein überlebenswilliger junger Mann, auf dem Weg zu schwulem Leben von einem Gegenüber in der U-Bahn angelächelt worden wäre mit den Worten: «Coming-out – trauen Sie sich, das wird ihnen gut tun.» Vermutlich hätte ich vor Schreck und Schock die Notbremse gezogen …


Sei’s drum: Pride, Parade, CSD etc. pp. – das sind inzwischen Partyveranstaltungen, die zumindest die Jungen und Jüngeren nicht nur okay finden, sondern bei denen sie mitmachen. Ähnlich war es am Wochenende zuvor, in Berlin. Wir sassen mitten in Kreuzberg, weinselig noch am sehr späten Abend – und sahen auf dem breiten Fussweg sehr viele Menschen an uns vorbeiziehen, definitiv weder schwul noch lesbisch oder gar trans, die, teils geschminkt und mit Glitter und Flitter versehen, vom CSD auf kamen: Hey, queer ist offenbar cool – und heterokompatibel.


In Zürich versuchte eine Gruppe weiss gekleideter, vermummter Männer, den Pride-Gottesdienst in der katholischen Kirche St. Peter und Paul zu stürmen (mehr)


Ist das nun das Ende von politischen CSDs, wie wir sie kennen, wie wir sie etwa 1980 und 1981 planten und ins Werk setzten? Den Vorwuf des Nichtpolitischen, oft versehen mit dem Wörtchen «kommerziell», gibt es seit Jahrzehnten fast. Hinter dieser Kritik verbirgt sich meist eine übellaunige Welthaltung, als ob eine politisch inspirierte Parade nicht Spass machen darf. Ich finde hingegen, dass die Coolness, die Heteros den CSDs nun attestieren, genau jene Gemütshaltung ist, die wir haben erringen wollen: Dass man für die Präsenz von Queers ist – und mit ihnen dies feiert.


Das Resultat ist mittlerweile, dass es absolut ein No Go ist, Homos zu dissen. Wer dies tut, riskiert gesellschaftliche Ausgrenzung – jedenfalls in den Kreisen, auf die es politisch ankommt.
CSD, wie jetzt in Hamburg, haben karnevalesken Charakter – und das ist auch gut so, wie der frühere Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit es formulierte, als er sich selbst vor über 20 Jahren outete, um nicht homophoben Gifteleien aussetzen zu müssen (MANNSCHAFT berichtete). Die klassischen Karnevals – in Brasilien, im Rheinland, in der Schweiz – waren einst Feiern der Rebellischen gegen Fürstenwillkür und Kirchenmacht. Inzwischen sind es Volksfeste. So zu werden, ist auch uns mit den Paraden und Prides beschieden.

Besser geht’s nicht, oder?

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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