Outing gegen Homophobie – Sichtbarkeit um jeden Preis?
Meinung: Wer sich outet, möge dies freiwillig tun
Im Dezember ist es 30 Jahre her, dass Rosa von Praunheim in der RTL-Krawallshow «Explosiv – Der heisse Stuhl» neben Hape Kerkeling auch Alfred Biolek zwangsoutete. Ist Sichtbarkeit eine emanzipative Forderung, die alle persönlich gut finden müssen? Das fragt Jan Feddersen in seinem Kommentar*.
Neulich, als Alfred Biolek gestorben ist, hoch in den Achtzigern, flammte diese Diskussion wieder auf: nämlich die ums Outing. Wir erinnern uns, Ältere können das locker: Rosa von Praunheim, die Filmregisseurslegende, der mit dem Streifen «Nicht der Homosexuelle ist pervers …» Anfang der siebiger Jahre im öffentlich-rechtlichen Fernsehen die erste offen schwule Sendung fabrizierte, hatte Anfang der neunziger Jahre auf RTL auf dem «Heissen Stuhl» gesessen, ein gar nicht mal so schlechtes Format – krawallig, klar, aber Rosa von Praunheim hatte zum Thema «Offenes Schwulsein» etwas zu sagen.
Er beklagte nicht nur, dass die Zeiten gar nicht so liberal seien, denn sonst würden sich mehr schwule Männer öffentlich zeigen, auch prominente unter ihnen. Nein, er outete auch. Nämlich Hape Kerkeling und Alfred Biolek – ersterer einer der populärsten Entertainer des Landes, letzterer der populärste Talkmaster, TV-Küchengastgeber und derlei mehr.
Beide wurden durch das Outing geschockt, aber beide räumten einige Zeit später ein, dass sie auf gewisse Weise für das ihnen auferzwungene Ende ihrer Versteckspiele seien. Damals wurde das Wort «Outing» (oder «outen», «geoutet werden») zu einem deutschen Verb: eine Sternstunde der Sprachschöpfung im Fernsehen zur halbwegs besten Sendezeit, von Praunheim sei Dank – und auf ewig eben mit Kerkeling und Biolek verbunden. Aber ist das Outing eine Tugend?
Nein, es gehört sich nicht, jemanden unfreiwillig zu outen. Aber es waren damals andere Zeiten; Biolek und Kerkeling, branchenweit in der Medienwelt als schwul bekannt, outeten sich nicht selbst, weil sie Angst vor negativen Reaktionen hatten – was sich als unbegründet erwies. Aber viele, um nicht zu sagen: Millionen hatten Furcht, als schwul blossgestellt zu werden. Ja, blossgestellt: Schwul ist ja nicht gerade die sexuelle Identität, nach der man sich als Pubertärling sehnt, es ist ein, mit Freud gesprochen, «Triebschicksal», das es anzunehmen, zu akzeptieren gilt. Wer das schafft, ist psychisch von stabiler Art, aber nicht allen ist das gegeben.
Meinen früheren Freund lernte ich in den frühen Neunzigern kennen, ein Mann aus Vorpommern, Ingenieur, nach Hamburg ausgewandert, auch des Berufs wegen, aber auch, weil ihm das sexuelle Leben in der Millionenstadt attraktiver schien. Er wurde über die Jahre eine tüchtige Sauna-Schluse, out bis heute nicht, immerhin wissen es mittlerweile seine Eltern, aber in seinem Jobumfeld niemand. Vor meiner Zeit mit ihm trug sich zu, dass er ein Verhältnis mit einem jungen Mann hatte, der nach einiger Zeit um Geld bat, sonst würde er ihn bei seinem Arbeitgeber als «warmen Bruder“ verpfeifen.
Wie gesagt: Es waren die frühen neunziger Jahre, nur eine Generation ist das her, es gab schon grosse CSDs und viele selbstbewusste Schwule auch. Mein heutiger Ex zog aus dieser Nötigungsandrohung seinen Schluss, bat den Erpresser um ein Treffen an einer keineswegs einsamen Bushaltestelle – traf ihn dort und vermöbelte ihn körperlich bis zur Nasenblutigkeit.
Er hörte nie wieder etwas von diesem Kriminellen, doch diese Anekdote zeigt, wie sehr die Angst vor dem öffentlichen Einstehen und Einstehenmüssen in puncto Homosexualität war – und millionenfach noch ist. Diese Furcht hat jede Menge von tief eingesunkener Homophobie zu tun, damit, dass Schwules nach wie vor, würde ich sagen, für sehr viele Männer ein pures Gift, keine Möglichkeit, glücklich zu werden. Wer sich outet, möge dies freiwillig tun; wer es nicht möchte, mag es unterlassen.
Und dann gibt es noch die Fälle, da wollen die Betreffenden nicht als schwul bezeichnet werden, schon gar nicht öffentlich, weil sie ihr Begehren als selbstverständlich empfinden, aber nicht als Menschen sichtbar sein wollen. Womit wir beim Thema wären: Sichtbarkeit. Überall ist jetzt von Sicht- und Sagbarkeit die Rede – aber ist das wirklich eine emanzipative Forderung, die alle persönlich gut finden müssen? Debattieren wir also: Wie sichtbar müssen wir sein – um als gute Homos zu gelten?
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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