Werden bisexuelle Männer von der Gesellschaft «ausradiert»?
Warum werden bisexuelle Männer als ungeoutete «Schwule» eingestuft, bisexuelle Frauen aber als «experimentierfreudige» Heteras?
Eine neue Untersuchung ergab, dass bisexuelle Männer mehrheitlich als ungeoutete «schwule» Männer angesehen werden, während die Befragten die gleiche Logik nicht in Bezug auf bisexuelle Frauen anwandten.
Laut einer neuen Studie mit dem Titel «Bisexual Erasure» – also «Die Ausradierung von Bisexualität» – gibt es eine «systematische Voreingenommenheit» im Umgang mit bisexuellen Männern im Vergleich zu bisexuellen Frauen. Die Forschenden fanden heraus, dass es wahrscheinlicher ist, dass von bisexuellen Männern angenommen wird, sie würden sich mehr für andere Männer als für Frauen interessieren, während die gleiche Annahme umgekehrt nicht bei bisexuellen Frauen gemacht wird. Bei ihnen glaubten die im Rahmen der Studie Befragten, sie würden sich mehr oder weniger gleich angezogen von Männern und Frauen fühlen.
«Attraktionsmuster» Die fünf Psycholog*innen stellten die Ergebnisse ihrer Studie kürzlich im European Journal of Social Psychology vor, wo sie schreiben, dass sie besser verstehen wollten, mit welchen «besonderen Vorurteilen» bisexuelle Menschen leben müssen und welche «Attraktionsmuster» wahrgenommen werden. Muster, die dazu führen, dass bei bisexuellen Männern geglaubt wird, sie seien mehr zu anderen Männern als zu Frauen hingezogen. Das glaubten von den insgesamt 787 Befragung mehrheitlich sowohl die heterosexuellen Teilnehmer*innen, als auch die Schwulen und Lesben.
Thekla Morgenroth von der University of Exeter schreibt als Leiter*in der Studie: «Ich suche mir meine Forschungsgegenstände meist auf Basis von Dingen aus, die mir im wirklichen Leben auffallen. Das war auch hier der Fall. Ich bin selbst Teil der LGBTQ+-Community, ebenso wie viele meiner Freund*innen. Und da bemerkte ich, dass viele von ihnen nicht glaubten, dass Bisexuelle tatsächlich bisexuell sind.» (MANNSCHAFT berichtete über den ersten Bi+Pride in Deutschland 2021.)
Morgenroth erzählte PsyPost in einem Interview: «Es gibt frühere Forschungen die zeigen, dass bisexuelle Menschen dem Stereotyp unterworfen sind, sie seien verwirrt und dass Bisexualität keine echte sexuelle Identität sei. Was mich besonders interessierte war der Umstand, dass dieses Absprechen einer eigenen bisexuellen Identität bei Männern und Frauen verschiedene Formen annimmt.» Weiter heisst es: «Ich sollte erwähnen, dass es natürlich auch nichtbinäre bisexuelle Menschen gibt.» Diese wurden jedoch in der Studie nicht berücksichtigt.
Laut Morgenroth würden Frauen, die sich als bisexuell identifizieren, von anderen als «eigentlich hetero» eingestuft, die «nur ein bisschen herumexperimentieren» wollten. Dem stehen Männer gegenüber, die sich als bisexuell identifizieren. Von ihnen wird angenommen, dass sie eigentlich schwul seien und sich nur noch nicht vollständig geoutet hätten. Die Folge: Sowohl bei bisexuellen Frauen als auch Männern wird angenommen, dass sie sich im Grunde mehr von Männern sexuell angezogen fühlen.
Untersuchung zu Online-Dating Bei der Studie wurde den Befragten gesagt, dass es um eine Untersuchung zu Online-Dating ginge. Allen wurden Profile von Personen gezeigt, die sich als bisexuell bezeichneten. Die Betrachter*innen sollten daraufhin angeben, ob sie glaubten, dass die Person auf dem Profil eher auf Männer oder auf Frauen stehe.
Eine Überraschung bei der Auswertung war, dass es keine Belege für die «Ausradierung von weiblicher Bisexualität» gab, erklärt Morgenroth. Man könne das als Hinweis dafür nehmen, dass weibliche Bisexualität gesellschaftlich akzeptierter sei – also akzeptierter (und begehrter) von heterosexuellen Männern.
«In manchen Fällen ist es auch so, dass Menschen einfach zwei küssende Frauen sehen, ohne dass sie Informationen zur sexuellen Identität haben», so Morgenroth. Sie denken sich demnach nichts weiter, weil Intimität und körperliche Nähe zwischen Frauen in der heteronormativen Welt als «normal» angesehen wird. «Dadurch wird weibliche Bisexualität letztlich allerdings genauso ausradiert wie männliche», mahnt Morgenroth. (MANNSCHAFT berichtete über die Sichtbarkeit von weiblicher Bisexualität.)
«Androzentrismus» Die Forschenden untersuchten auch weitere Faktoren, zum Beispiel «Essentialismus sexueller Orientierung» (also den Glauben daran, dass die sexuelle Orientierung eine starre und feste Kategorie sei), auch die «politische Ideologie» wurde abgefragt (konservativ vs. liberal), ebenso «Androzentrismus» (ein androzentrisches Weltbild versteht den Mann als die Norm, die Frau als Abweichung von dieser Norm). Aber all diese zusätzlichen Faktoren konnten nicht erklären, warum genau die Befragten bisexuelle Männer und Frauen unterschiedlich einordneten.
«Wir wissen nicht, warum das passiert», sagt Morgenroth zu PsyPost. «Anfangs dachten wir, es läge am Sexismus, weil die existierende Forschungsliteratur suggeriert, dass sowohl bisexuelle Frauen als auch Männer sich mehr zu Männern hingezogen fühlen. Das kann sicher kein Zufall sein. Um das zu testen haben wir eine Reihe von Zusatzfragen gestellt bezüglich Sexismus und zur Höherbewertung von Männlichkeit über Weiblichkeit. Wir dachten, dass unsere Ergebnisse vielleicht mit diesen Faktoren zusammenhängen würden. Das war jedoch nicht der Fall.»
Da sich laut neueren Umfragen immer weniger Menschen als eindeutig heterosexuell oder eindeutig homosexuell identifizieren, rückt die Frage nach dem Umgang mit Bisexuellen verstärkt in den Fokus (MANNSCHAFT berichtete). Auch innerhalb der LGBTIQ-Community, wo viele Bisexuelle seit Jahren klagen, dass sie zwar in der Buchstabenreihe mitgenannt, aber oft nicht mitberücksichtigt werden, wenn es um Repräsentation geht und die Berücksichtigung ihrer speziellen Lebenssituation.
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