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Nach dem Terroranschlag: «Die Liebe Wiens gewinnt immer»

Wie verarbeiten die Stadt und die LGBTIQ-Community den Anschlag?

Terroranschlag
Foto: Christoph Pachucki

Nach dem islamistischen Terroranschlag in Wien hat die Regierung vergangene Woche weitreichende Pläne für den Umgang mit Gefährdern vorgestellt. Künftig sollen Terrorismus-Vorbestrafte nach Ende ihrer Haftstrafe in den sogenannten Massnahmenvollzug kommen – ausser, sie haben sich glaubwürdig von radikalen Ideen gelöst. Anfang November hatte ein Islamist in der Hauptstadt vier Menschen getötet, darunter auch eine lesbische Frau (MANNSCHAFT berichtete). 22 weitere Personen wurden verletzt.

Donnerstagabend, kurz vor acht Uhr. Kerzen um mich herum auf dem Pflaster der Wiener Innenstadt. Es ist still. Es wird getrauert, innegehalten und nachgedacht. Denn genau hier, wo ich jetzt stehe, verloren vergangene Woche vier Menschen ihr Leben und 22 weitere wurden teils schwer verletzt. Ein Ort in Wien, der sonst mit Lachen, Lebenslust und Liebe erfüllt ist, wurde am Abend des 2. Novembers 2020 zu einem Schauplatz des Terrors. Und keine Frage, dieser Abend hat seine Spuren hinterlassen. Wer hier steht, merkt, wie viele Fragen in der Luft liegen.

Die Anteilnahme ist gross. Menschen zünden Kerzen an. Tränen fliessen. Stilles Gedenken. Die Frage nach dem Warum. Sie liegt schwer und spürbar in der Luft. Warum ein Mensch so viel Leid anrichten kann? Warum jemand zu solch einer Tat fähig ist? Und warum Unschuldige durch ihre blosse Anwesenheit an diesem Ort an diesem Tag zu Opfern werden? Fragen, die den Menschen um mich herum in ihre Gesichter geschrieben sind.

Die Frage nach den Folgen und nach dem, was vom Terroranschlag bleibt. Auch diese liegt schwer über der Wiener Innenstadt. Denn in einer weltoffenen, liberalen und bunten Stadt wie Wien fürchten viele Menschen Diskriminierung als Folge des Terrors. Pauschale Verurteilungen von Muslimen und dem Islam. Ein rechter Ruck in der politischen Gesinnung vieler Menschen. Mehr Exekutivkontrolle und Einschnitte in die persönliche Freiheit. Davor haben viele Angst, vor allem auch die Wiener LGBTIQ-Szene.


Und dann ist da noch die Frage nach dem Versagen der Behörden. Auch diese liegt an diesem Donnerstagabend neben dem kalten Novembernebel über den kleinen Gassen. Denn nach aktuellem Ermittlungsstand steht fest: Slowakische Behörden haben Österreich über einen versuchten Munitionskauf des 20-jährigen Attentäters im Juli informiert. Insofern relevant, dass der Attentäter bereits einschlägig wegen terroristischer Vereinigung vorbestraft war. Dennoch hat der Verfassungsschutz diese Informationen nicht an die Justiz überliefert. Die Folge: Keine Massnahmen wegen nicht stattfindender Informationsweitergabe.

Schuldzuweisungen, Hass und harte Worte. Davon gab es seit letzter Woche mehr als genug. In sozialen Medien und Zeitungen. In politischen Reden und seitens der Opposition. Genug davon, denn das bringt den Verstorbenen nicht ihr Leben zurück. Und die Suche nach Schuldigen, Hass und harte Worte sind keine Antwort auf den Terror. Auch das liegt spürbar in der Luft.

Liebe. Anteilnahme. Zusammenhalt. Auch das liegt in der Luft. Wien ist stark. Das spüre ich nicht nur hier an Ort und Stelle, sondern auch in der LGBTIQ- und Designszene, in der viele Aktionen und Aktivitäten gestartet wurden. Eine davon ist #lovewiens vom Designerduo Patricia Plasser und Gerald Riedler. «Diese Stadt ist grossartig und das soll so bleiben. Die Liebe Wiens gewinnt immer», so die beiden zu ihrer Kampagne.


Was bleibt also von diesem Terroranschlag? Was bringt uns weiter? Was gewinnt? Nicht der Laut der Schüsse an diesem Abend. Nicht die Fehler der Behörden. Und hoffentlich nicht die Angst vorm Terror, die Diskriminierung Unschuldiger oder die Zerstörung eines positiven Menschenbilds. Nein. Was bleiben soll, ist die Liebe, der Zusammenhalt und die vielen guten Herzen, die es gibt. Und von denen spüre ich hier ganz viele.

Weniger Woche zuvor hatte es einen schwulenfeindlichen Übergriff in Wien gegeben: Ein 25-jähriger Mann war mit Freunden im 1. Bezirk unterwegs, als er von einem unbekannten Mann beleidigt und angegriffen wurde (MANNSCHAFT berichtete).


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