Mord aus Schwulenhass – Zum 20. Todestag von Matthew Shepard
Der damals 21-Jährige aus Laramie, Wyoming, wurde geschlagen, gefoltert und an einem Zaun zum Sterben zurückgelassen
Aus Schwulenhass wurde vor 20 Jahren der US-Student Matthew Shepard getötet. In der Folge wurden die Rechte von LGBTIQ-Menschen in den USA zunehmend verbessert. Doch seit dem Amtsantritt von Donald Trump glauben sich die Homohasser*innen in den USA wieder im Aufwind.
Text: Dirk Ludigs
Am Abend des 7. Oktober 1998 macht sich der 18-jährige Aaron Kreifels auf eine ausgedehnte Radtour durch eine ländliche Gegend mitten in Wyoming. Plötzlich sieht er aus der Ferne, an einen Weidezaun angebunden, eine seltsame Figur. Es sieht zunächst für ihn so aus, als habe ein Farmer dort eine Vogelscheuche angebracht. Neugierig radelt er näher und was er sieht, entsetzt ihn. Da hängt keine Puppe wie gekreuzigt am Zaun. Es ist vielmehr der reglose Körper eines jungen Mannes, offensichtlich blutig geschlagen und gefoltert. Der Junge ist nicht mehr bei Bewusstsein, aber er lebt offensichtlich noch, muss auf jeden Fall noch gelebt haben, als er an den Zaun gefesselt wurde: Denn durch das verkrustete Blut in seinem Gesicht haben sich Tränen ihren Weg gebahnt.
Der offen schwule Matthew Shepard hatte seine Peiniger am Abend zuvor in der Kneipe «Fireside Lounge» in seinem Heimatstädtchen Laramie kennengelernt. Unter dem Vorwand, ihn nach Hause zu fahren, hatten die fast gleichaltrigen Aaron McKinney and Russell Henderson ihn in jene entlegene Gegend gebracht, ausgeraubt, ihm mit einem Pistolenknauf den Schädel zertrümmert, ihn gefoltert und an diesem Zaun zum Sterben zurückgelassen. Das Motiv, das später im Gerichtsprozess eine Rolle spielte: Schwulenhass!
Matt flehte vergebens um sein Leben. Er starb sechs Tage später im Poudre Valley Hospital in Fort Collins, Colorado. Er wurde nur 21 Jahre alt.
Noch während die Ärzt*innen im Krankenhaus um sein Leben rangen, gingen Menschen in aller Welt auf die Strasse, um ihre Trauer, ihre Wut und ihr Entsetzen zum Ausdruck zu bringen, Lichterketten und Proteste spannten sich quer über den Globus. Gleichzeitig demonstrierten fundamentale Christen, wie der Prediger Fred Phelps mit seiner Westboro-Church gegen Homosexuelle und nannten seinen Tod eine Strafe Gottes.
«Wann immer es sozialen Fortschritt gibt, passiert zur gleichen Zeit auch eine Gegenreaktion», sagt Jason Marsden, ein persönlicher Freund des Opfers und seit neun Jahren Vorsitzender der Matthew-Shepard-Stiftung, die im Herbst ebenfalls ihren zwanzigsten Jahrestag begeht. Zum Jahrestag des Verbrechens gibt es eine ganze Reihe von Veranstaltungen in den USA, Lesungen aus dem Buch «The Laramie Project» in New York und Chicago, das 2016 entstandene Konzertstück «Considering Matthew Shepard» tourt durch den gesamten Mittleren Westen. Am 1. Dezember wird die Stiftung den Welt-Aids-Tag begehen, der gleichzeitig Matthew Shepards 42. Geburtstag wäre – Shepard war HIV-positiv.
Wann immer es sozialen Fortschritt gibt, passiert zur gleichen Zeit auch eine Gegenreaktion
Matt und der vier Jahre ältere Jason hatten sich im Jahr vor Matts Tod durch gemeinsame Freunde kennengelernt. Jason Marsden erinnert sich, dass Shepard sich damals sehr für die Situation in Afghanistan interessierte, als das noch kaum jemand in den USA tat – drei Jahre vor dem Anschlag auf das World Trade Center: «Matt hatte von Anfang an grosses Mitgefühl für Menschen, denen gleiche Rechte und Mitsprache verweigert werden. Besonders die Situation von Frauen im Nahen Osten war ihm wichtig, da er dort einige Zeit verbracht hatte.»
Spendenflut und Solidarität Noch während Matt im Krankenhaus lag, traf bei seinen Eltern Judy und Dennis eine Flut von Beileidskarten und Briefen ein. Rund 25’000 waren es am Ende, und vielen davon war Bargeld beigefügt, mal 10, mal 20, manchmal sogar 100 Dollar. Am Ende hatten die Shepards rund 140’000 Dollar beisammen, von denen sie zunächst nicht wussten, was sie damit machen sollten.
Die Familie entschied sich rasch, das Geld in dem Geist auszugeben, in dem es gespendet worden war. Sie gründeten die Matthew-Shepard-Stiftung (hier geht’s zum Facebook-Profil) mit der Idee, Hass in Liebe und Verständnis zu verwandeln.
Viele Zeitungen in den USA beschäftigen sich dieser Tage mit dem 20. Jahretag des Mordes an Matthew Shepard.
Das erste Ziel: Hassverbrechen wie das an Matthew Shepard künftig besser verfolgen zu können. 1998 gab es zwar ein US-weites Gesetz in Bezug auf Hasskriminalität, aber nur, wenn es um Rasse, Religion oder Geschlecht ging, nicht um sexuelle Orientierung. Das ist heute anders: Am 28. Oktober 2009 unterzeichnete der damalige US-Präsident Barack Obama den «Matthew Shepard Hate Crime Act». Ein Erfolg der jahrelangen Lobbyarbeit der Stiftung.
Grosse US-Konzerne unterstützen die Stiftung Heute finanziert sich die Matthew-Shepard-Stiftung hauptsächlich durch private Spenden. Und sie wächst weiter: von einem Jahresbudget von 400’000 Dollar in den ersten Jahren auf heute 1,16 Mio. Dollar. Auch grosse amerikanische Konzerne engagieren sich: Die Brauerei MillerCoors, Fedex, State-Farm-Versicherungen, Hotelketten wie Marriott und Hilton.
Die Stiftung feiert am 20. Oktober ein Gedenkgala:
Die Arbeit der Stiftung ruht auf drei Säulen: Sie vertritt die Interessen von LGBTIQ-Menschen und ermuntert sie, sich für ihre Rechte zu engagieren, sie informiert und bildet die Öffentlichkeit und sie stellt Ressourcen zu Verfügung. Sie will Eltern von queeren Kindern ermahnen, beim Coming-out-Prozess zu helfen, sie ist ein Ansprechpartner für Jugendliche, die verstossen wurden, und sie will die Botschaft von Akzeptanz und Verständnis weiter verbreiten. Vor allem aber kämpft die Stiftung weiter dafür, dass Anti-Hass-Gesetze dort verabschiedet werden, wo sie noch nicht existieren, und dass LGBTIQ-Menschen hinzugefügt werden, wo das bisher nicht der Fall ist.
Matthew Shepards Mutter Judy war in den letzten 20 Jahren mehrfach bei Anhörungen des Kongresses dabei, um dieses Bewusstsein zu fördern, Polizei und Justiz zu sensibilisieren und die Politik aufzufordern, entsprechende Massnahmen einzuleiten.
Regierung Trump legitimiert den Hass Doch die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen ist seit der Amtsübernahme durch Donald Trump um vieles schwieriger geworden. «Wir spüren derzeit den Hass, der durch diese Regierung quasi legitimiert wird», sagt Stiftungschef Marsden: «Unsere Gegner*innen fühlen sich bestärkt, sie sind sichtbarer geworden, direkter in ihren Aussagen. Sie spüren, dass sie in Präsident Trump einen Alliierten haben.»
Das hört nicht bei Rhetorik oder in den sozialen Medien auf, es gibt auch Veränderungen in der Politik. Das Bildungsministerium hat sich in seiner Unterstützung von trans Jugendlichen in der Schule um 180 Grad gedreht. Die Liste der Verschlechterungen unter Trump ist lang: Das Weisse Haus hat weder dieses noch letztes Jahr eine Erklärung zum Pride-Monat abgegeben, das vorläufige Ende einer Tradition, die über 20 Jahre zurückreicht. Es gibt in mehreren Bundesstaaten Versuche von Anti-LGBTIQ-Organisationen, Gerichtsverfahren anzustrengen, um die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Ehen über Bundesstaatsgrenzen hinweg zu erschweren. Das Arbeitsministerium versucht derzeit, queere Menschen vom Diskriminierungsschutz am Arbeitsplatz auszuschliessen. «In allen Regierungsstellen sitzen Leute, die zutiefst gegen gleiche Rechte für LGBTIQ-Menschen sind», sagt Marsden, «unsere Arbeit geht weiter und ich werde nicht aufhören, daran zu glauben, dass Menschen sich zum Besseren verändern können. Sie tragen es in sich, man muss sie nur dafür begeistern, es auch zu tun.»
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