RBB zeigt «Mein wunderbares West-Berlin»

Der Film von Jochen Hick läuft am Sonntag nach dem Christopher Street Day der Hauptstadt im Fernsehen

Der Filmemacher Jochen Hick erkundet die queere Lebenssituation im damaligen Westteil der Stadt und erzählt von schwulem Selbstbewusstsein, Männerkommunen, dem Tuntenhaus, Klappensex, Ost-West-Beziehungen, Lederbars, Drag-Aktionen in der U-Bahn. Der Film ist eine Koproduktion des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) mit Galeria Alaska Productions, gefördert von Medienboard Berlin-Brandenburg, Deutscher Filmförderfonds, MFG Filmförderung Baden-Württemberg und Filmförderung Schleswig-Holstein.

Der Film von Jochen Hick „Mein wunderbares West-Berlin ” (lief im Februar 2017 auf der Berlinale) nimmt den Zuschauer mit auf eine faszinierende schwule Zeitreise: in die 50er und 60er, in denen die West-Berliner zwar noch massiv unter den Einschränkungen und Verfolgungen durch § 175 zu leiden hatten, sich aber dennoch bereits eine lebendige Subkultur mit Szene-Bars und Klubs aufbauen konnten; in die 70er, jene Zeit der bahnbrechenden Emanzipationsbewegungen und gesellschaftlichen Umbrüche; und in die 80er, die geprägt waren von einer Ausdifferenzierung queerer Lebensentwürfe, aber auch den verheerenden Folgen von Aids, die Berlin so heftig trafen wie keine andere deutsche Stadt. 

«Es hat seinen Grund, warum ich nie in den Spiegel gucke»

Jochen, gab es etwas, das Dich beim Drehen oder der Recherche besonders erstaunt oder überrascht hat? Nein. Ich war Ende der 70er das erste Mal mit der Schule in Berlin, seit Anfang der 80er jedes Jahr mindestens einmal im Jahr in Berlin, seit 2000 bin ich regelmäßig hier. Bereits für OUT IN OST-BERLIN habe ich mich auch viel mit West-Berlin ab 1945 beschäftigt. Aber diese inneren Abläufe der Homosexuellen Aktion Westberlin [die HAW war erste Organisation der neueren deutschen Schwulenbewegung, Anm. d. Red.] waren für mich interessant.

Der Umgang der Leute miteinander und so manche These. Z. B. wenn Wolfgang Theis [Gründungsmitglied des Schwulen Museums* Berlin, Anm. d. Red.] die Nähe zum Kommunismus und die Hoffnung, er würde die Schwulen befreien, als großen Denkfehler bezeichnet, weil vielmehr der Kapitalismus die Schwulen befreit hätte. Das ist natürlich eine Interpretation, an der man sich reiben kann.

Jochen Hick (Foto: Galeria Alaska)
Jochen Hick (Foto: Galeria Alaska)

Es gibt eine Interviewsequenz, die es nicht in den Film geschafft hat: Da geht es um eine Gruppe innerhalb der HAW, die beschlossen hatte, dass alle Mitglieder der Gruppe untereinander Sex haben sollten. Damals hat man sich viel mehr mit politischen Theorien wie Sozialismus und Kommunismus auseinandergesetzt.  Es gab Kritik am „Warenwert“ menschlicher Körper in der Szene, denn es ging um freie Liebe. Die war aber gar nicht so frei, sagt Wolfgang Theis. Es gab Männer, die hatten mehr, und solche, die hatten weniger Chancen. Wie will man die verteilen, wenn man eine „sozialistische“ Gruppe ist, die eher was Egalitäres hat? So starteten sie in einer Gruppe den Versuch, dass jeder mit jedem Sex haben sollte. Das war aber Wishful Thinking. Am Ende war es so, dass die, die im landläufigen Sinn besser aussahen oder besser ankamen, auch die meisten Partner hatten.

Das hat also nicht lange funktioniert? Es war zumindest ein Versuch, und ich finde das immer sehr interessant. Es ging damals sonst eher dogmatisch zu. Die Mitglieder der Gruppe haben sich viele Dinge nicht erlaubt. Eifersucht zum Beispiel war total verpönt, auch eheähnliche Zweierbeziehungen. Es gab sie aber natürlich trotzdem.

Wenn man §175 und die AIDS-Krise abzieht: Gab es bei Deinen Protagonisten den Hang zu einer Früher-war-alles-besser-Haltung? Das erlebt man immer, wenn man Filme mit älteren Schwulen macht, mehr noch als mit Lesben, finde ich. Die Wahrnehmung von der eigenen wilden sexuellen Zeit etwa, die scheint für einige ja schon mit 45 oder 50 zu Ende. Es sollte aber kein Film werden, der in der Vergangenheit endet. Deshalb sieht man alle Protagonisten in der heutigen Zeit agieren. Sie sollten alle etwas von sich offenbaren, was man vielleicht noch nicht wusste.

Streit um Regenbogenflagge: Polizei unter Beschuss

Etwa im Gespräch zwischen Udo Walz und René Koch in der Paris Bar. Oder was Wieland Speck über das Altern sagt, über das, was ihn heute sexuell interessiert und was nicht. Da geht es um Veränderungen wenn man älter ist, aber auch um das Gefühl der Entspanntheit. Es ist gar kein Vorwurf, dass, wenn ältere Männer über früher sprechen, oft schon ein Narrativ entstanden ist über die Jahre, eine eigene Geschichtsschreibung. Manche würden vielleicht sagen, es geht in die Selbstdarstellung. Das haben wir versucht, in diesem Film ein bisschen zu brechen und die Protagonisten haben uns dabei geholfen. Darum ist da auch viel Witz und Selbstironie in den Sachen, die sie sagen.

Das Interview mit René Koch und Udo Walz ist sehr lustig, aber man fragt sich, weil Udo Walz so ruppig ist: Mögen die sich so sehr oder eher gar nicht? Naja, abgesehen davon, dass sie kein Liebespaar sind, treffen sie sich ziemlich oft und erleben viel miteinander. Und kennen sich seit den 1960er Jahren. Das hat dann was Symbiotisches, wie bei einem älteren Ehepaar. Udo Walz hat da sein Bestes gegeben, er ist ja sonst immer sehr „korrekt“ charmant. Wobei, so hat es für mich auch seinen Charme.

Du hast auch mit Romy Haag gesprochen, der ersten Trans*Aktivistin. Das war damals aber nicht so ein großes Thema, wie es das heute ist, oder?

Romy Haag (Foto: Galeria Alaska)
Romy Haag (Foto: Galeria Alaska)

Sie war die erste, die damit breit in der Öffentlichkeit auftrat. Und zwar in einer Zeit, wo man als Transfrau eigentlich nur in Läden wie dem traditionellen Travestieclub Chez Nous oder als Prostituierte arbeiten konnte – wie sie berichtet. Mit ihrem Club Chez Romy Haag gelang ihr ein spektakulärer Cross-Over in andere Szenen. Insgesamt kann man sagen, dass es auf der einen Seite ein relativ gutes und friedliches Koexistieren gab in den 70 oder 80ern, während ja heute manche finden, die Unter-Communitys würden auseinanderdividiert. Wobei, eine gewisse Trennung zwischen Schwulen und Lesben gab es immer schon. Ich kann mich an eine frühe CSD-Demo erinnern, bei der es hieß: Männer, bleibt acht Meter vom Frauenblock entfernt! Ich hab für sowas durchaus Verständnis. Es gab zum Frauentag 2017 mehrere Demos in Berlin, mindestens eine nur für Frauen, ich war auf der gemischten. Das erste was passierte, war, dass sich eine Gruppe von Männern mit einer anderen über eine politische Meinungsverschiedenheit prügelte.

Deine MANNSCHAFT-Sommerlektüre ist da!

Du zeigst in Deinem Film einiges zum ersten Mal, was bisher noch in Archiven schlummerte. Für vieles gab es andererseits aber gar auch kein Material. Das Erstaunliche ist, dass das der erste Film ist, der am Beispiel Berlins auch Bilder von 45 Jahren schwuler Geschichte in Deutschland zeigt. Dabei gibt es in den USA gefühlt schon 20 Filme über die dortige LGBTI-Geschichte. Es ist tatsächlich so, dass es filmische Zeugnisse aus den 50ern oder 60ern in Deutschland fast gar nicht gibt, Innenansichten aus Lokalen zum Beispiel. Dort wollte man damals nicht fotografieren, denn wenn jemand drauf zu erkennen gewesen wäre, hätte man ihn nach §175 belangen können. Das Schwule Museum* hat von 1965 einige Fotografien von der Bar Hoppla Sir. Die Lizenzgeber wollten am Ende aber doch nicht, dass wir sie in einem Film zeigen, und das nach so vielen Jahren. Da ist vielleicht bis heute noch ein Schamgefühl, weil es immer diese gesellschaftliche Ächtung gab. Oder immer noch die Angst, „schwule“ Identitäten anderer Gäste preiszugeben, die vielleicht bereits gestorben sind.

Dafür sieht man in Deinem Film exklusiv, wie der Programmleiter der Sektion Panorama der Berlinale Wieland Speck seine schwule WG, in der er 40 Jahre lang wohnte, ausräumt. Das war erst im vergangenen Sommer und hat für den Film super gepasst. Es ist ja nicht immer gegeben, dass diese filmischen Anlässe während der Drehzeit passieren. Am Schluss waren sie nur noch zu zweit in dieser WG, und da war es dann alles zu teuer, und vielleicht war auch der Gedanke des WG-Lebens für Wieland ein bisschen durch. Die anderen Mitbewohner waren schon vor über 10 oder 15 Jahren ausgezogen.

Warum wolltest Du diesen Film machen? Berlin profitiert ja immer auch vom Ruf des Verruchten, des Undergroundigen, da ist diese Vielfalt, das Kreative, dieses Quirlige. Ich wollte sehen, wie viel kommt aus der schwulen oder queeren Community? Was ist in den Mauer-Zeiten damals entstanden, das heute immer noch nachwirkt? Früher wurde immer behauptet, die Schwulen hätten so einen tollen positiven Einfluss auf die Gesellschaft. Das geht immer mehr unter. Dabei gibt es so vieles, was aus der schwulen oder queeren Community kommt, wie Westbam im Film sagt: die Bedeutung des schwulen Clubkultur für die Techno-Revolution damals. Sicher gilt das in anderen Bereichen auch für die lesbische Community – dieser Film muss aber noch gemacht werden …

Von Dir? Nein, das fände ich anmaßend und ich glaube, ich bin dafür nicht der richtige. Es gab den Vorwurf, dass im Film die Lesben fehlen. Für uns war es aber so, wie der Film schließlich entstanden ist, der klarste Prozess. Man hätte sonst vielleicht eine Zahl von vielleicht 15 Protagonisten nehmen und diese paritätisch unter Schwulen, Lesben und Transpersonen aufteilen. Damit wäre man niemand mehr nahe gekommen. Die Entwicklung – Lesben und Schwule – verlief damals eher parallel als gemeinsam. Man hätte also nebenbei noch mehrere sich unterschiedlich entwickelnde Szenen erklären müssen und wäre keiner nur annähernd gerecht geworden. Der Film heißt bewusst Mein wunderbares West-Berlin und nicht Die westdeutsche LGBTIQ-Bewegung 1945-90. Letzteres wäre ein Mehrteiler.

Foto: Schwules Museum
Foto: Schwules Museum

Es ist aber auch so, dass manche Schwule sagen, sie können nicht über sexuelle Sachen reden, wenn da noch eine Frau am Set ist. Umgekehrt ist das natürlich auch bei Lesben so. Ich habe speziell von Lesben sehr viel Zuspruch nach der Premiere des Films bekommen, insbesondere auch dafür, dass nicht versucht wurde, Lesben UND Schwule im gleichen 90-Minüter abzuhandeln. Zudem bilden Lesben das Ende des Films –  als sie mit dem Dyke March 2016 bewusst den schwul dominierten Nollendorfkiez abmarschierten und dabei auch auf Transparenten ihre zunehmende Unsichtbarkeit benennen. Einige Zuschauerinnen des Films hat es darin bestätigt, dass ein Film zu den Lesben überfällig ist. Und ich denke, der fehlt nicht nur zu den Lesben.

«Bei uns haben sich Schwule und Lesben herzlich gern»

Hast Du nie das Gefühl, Dir könnten die Stoffe ausgehen? Nein, die gehen einem nicht aus. Wobei ich sagen muss, dass diese historischen Stoffe natürlich auch anstrengend sind. Es macht im Prozess mehr Spaß, Dinge zu zeigen, mit denen man freier umgehen kann, auch in der Gestaltung. Hier bestand die Herausforderung darin, dass es der erste Film ist, der diese große Zeitspanne umfasst. Egal wie subjektiv man erzählt, das ist immer auch eine große Verantwortung. Und es wird immer Zuschauer geben, die fragen, warum diese Person oder jenes Ereignis fehlt?

Du lebst in Berlin und Hamburg, dort auch schon viel länger. Sind Dir die Hamburger böse, dass du keinen Film über ihre Stadt gemacht hast? Nee, man könnte das durchaus machen. Als Filmemacher mit queeren Themen erfährt man in Hamburg keine sonderliche Beachtung – was auch entspannend ist. Die Größe des Publikums und die alternativen Abspielstätten sind dort begrenzt. Ich gestehe gerne, dass ich zu Hamburg eine Hassliebe entwickelt habe.

Keine andere deutsche Stadt hat vom Exodus ihres kreativen Personals nach Berlin so stark gelitten wie Hamburg.

Hamburg hat eine unabhängige Szene. Es ist aber eine eher bürgerliche Stadt, in der es auch viel um Äußerlichkeiten geht. Irgendwann braucht man dort eine Beziehung, dann geht es darum, dass man gut wohnt, dass man einen guten Job hat, schön verreist usw. und am besten noch das Gleiche für den Partner. Richtig wild zeigt man sich eher woanders. In Hamburg ist es auch so, dass die Schwulen – ganz anders als in Berlin – viel früher aus der Szene verschwinden, wenn sie ein bestimmtes Alter haben. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ich fand Hamburg Anfang der 80er sehr aufregend, St. Pauli hatte damals noch etwas Abenteuerliches. Es fing dann an mit diesen ins Deutsche übersetzten US-Musicals. St. Pauli ist heute eine kommerzielle Sauf-, Amüsier- und Touristenmeile. Ich finde es heute in Hamburg einfach insgesamt kulturell weniger anregend als früher. Aber Hamburg ist auch viel kleiner als Berlin. Und es hat auch keine andere deutsche Stadt vom Exodus ihres kreativen Personals ab Mauerfall nach Berlin so stark gelitten wie Hamburg. Der Fluchtweg war einfach immer zu kurz. Dafür ist es aber eine wunderschöne Stadt, im Vergleich zu Berlin auch sehr erholsam.

Dein Film wurde vom RBB gefördert und wird auch im Fernsehen zu sehen sein. Der zuständige Redakteur war sehr unterstützend, er hat das Potenzial gesehen. Früher gab es TV-Produzenten, die z.B. hinter meinem Rücken laut gesagt haben: „Mit schwulen Säuen drehe ich nicht“.

Heute auch noch? Heute nicht mehr, aber ich könnte mir vorstellen, dass es sie noch gibt. Die sagen so etwas aber mittlerweile leise.

«Mein wunderbares West-Berlin» läuft am Sonntag, 28.7.2019 23:30 im rbb Fernsehen 

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