Mehr Forschung zu Diversität in Bayreuth gefordert
Wagner-Verband präsentiert historische LGBTIQ-Künstler aus der Festspielgeschichte
Der Wagner Verband Berlin-Brandenburg widmete sich in einer Veranstaltung diese Woche dem Thema Diversität und LGBTIQ-Inklusion bei den Bayreuther Festspielen.
Nach einem Vortrag des Musikwissenschaftlers (und MANNSCHAFT-Autors) Dr. Kevin Clarke zu den schwul-lesbischen und bisexuellen Künstler*innen, die unter der Festspielleitung von Siegfried Wagner zwischen 1908 und 1930 auf dem Grünen Hügel tätig waren – als Sänger*innen wie Max Lorenz oder Herbert Janssen, Volontäre wie Werner Franz, Assistentinnen wie Luise Reuss-Belce und Evelyn Faltis bzw. Bühnenbildner wie Kurt Söhnlein aus der Familie der Sektfabrikanten – wurde im Rahmen einer Diskussion mit den Verbandsmitgliedern und Prof. Kadja Grönke (Herausgeberin des Buchs «Musik und Homosexualitäten») kritisch hinterfragt, warum das Wagner-Museum in Bayreuth diese Thematik bislang nie in einer Ausstellung behandelt hat.
Es wurde auch darauf eingegangen, dass eine entsprechend fokussierte Geschichte der Bayreuther Festspiele längst überfällig sei, besonders angesichts der Tatsache, wie viel derzeit in Deutschland über Diversität und Inklusion im Arbeits- und Kulturleben diskutiert wird (MANNSCHAFT berichtete).
Dass man eine solche Inklusion in Bayreuth ausgerechnet in den 1920er-Jahren im Schatten des heraufziehenden Nationalsozialismus finde, sei bemerkenswert, sagte Clarke und wunderte sich, dass dieser Aspekt in den vielen Bayreuth-Chroniken zwischen Fragen rund um Nationalsozialismus und Antisemitismus nicht einmal in einem Nebensatz behandelt werde.
Streit um Sopran Frida Leider Clarke und Grönke gingen zusammen mit mehreren anwesenden prominenten Musikjournalisten auch auf die Kontroverse rund um die berühmte Wagner-Sopranistin Frida Leider ein, wo sich die Frauenforscherin Eva Rieger vehement weigert, auf eine mögliche lesbische Seite in ihrer Biografie von Leider einzugehen, in der sie deren Lebenspartnerin Hilde Bahl nicht erwähnt.
Es kam die Frage auf, ob dies ein eklatanter Fall von «Straightwashing» sei, bei dem vorhandene Quellen bewusst ignoriert würden, um vermeintlich kontroverse oder ehrrührige Punkte im Lebenslauf einer verehrten Künstlerin nicht ansprechen zu müssen. (Der Schweizer Radiojournalist Moritz Weber widmete dem Thema «Straightwashing» in der Klassik kürzlich einen Podcast.)
Der anwesende Kulturredakteur Tilman Krause (Die Welt) forderte, dass man das Erzählen der Biografien von solch herausragenden Künstler*innen nicht der Kleingeistigkeit von Menschen wie Rieger oder dem Vorsitzenden der Frida-Leider-Gesellschaft, Peter Sommeregger, überlassen dürfe.
Krause warb auch in einem Schlussplädoyer dafür, dass es an der Zeit wäre, Bayreuth als zentralen Ort der deutschen schwulen Geschichte zu würdigen und endlich entsprechend aufzuarbeiten.
«Operndiven – Operntunten» Das hat bislang nur ansatzweise Rosa von Praunheim in seinem Film «Operndiven – Operntunten» (2020) getan, wo u. a. Barrie Kosky und Nadine Secunde über Wagner und Homosexualität sprechen, ebenso Tilman Krause und Kevin Clarke als weitere Protagonisten. (MANNSCHAFT berichtete über den ersten schwulen Opernführer der Welt.)
Rieger und Sommeregger blieben der Veranstaltung aus Protest fern, obwohl sie beide eingeladen waren. Sie verbaten sich grundsätzlich eine solche Diskussion mit diesen Referenten (die entsprechenden Schreiben liegen der MANNSCHAFT-Redaktion vor).
Die Siegfried-Wagner-Gesellschaft wiederum begrüsste die LGBTIQ-Diskussion, wie schon 2017 mit einer entsprechenden Ausstellung im Schwulen Museum Berlin, die als Kooperation der Siegfried-Wagner-Gesellschaft und dem Richard-Wagner-Museum in Bayreuth entstand. Clarke war damals zusammen mit dem kürzlich verstorbenen Peter P. Pachl und Achim Bahr einer der Kuratoren.
In Berlin eröffnet derweil diese Woche die neue Ausstellung «Richard Wagner und das deutsche Gefühl» im Deutschen Historischen Museum (vom 8. April bis 11. September). Darin geht es zumindest in einem Videostatement von Clarke ebenfalls um die Frage der Diversität im Bayreuth der 1920er-Jahre und darum, warum die Wagner-Forschung diese in ihren Publikationen bislang ignoriert hat.
Vielleicht nutzt der Wagner Verband Berlin-Brandenburg seine Ressourcen, um eine entsprechende Publikation auf den Weg zu bringen?
«Bayreuths Erbe aus andersfarbiger Kiste» Die diese Woche vorgestellten Künstler*innen wurden bislang in dieser Form nur im Buch «Siegfried Wagner: Bayreuths Erbe aus andersfarbiger Kiste» behandelt, die Begleitpublikation zur Ausstellung im Schwulen Museum.
Im Dokumentarfilm zu Max Lorenz aus dem Jahr 2009 wird zwar erwähnt, dass er wegen Paragraf 175 von den Nazis verfolgt wurde – aber ansonsten nur von seinen weiblichen Fans gesprochen sowie von seiner jüdischen Ehefrau und Managerin, die er (genauso wie seine Schwiegermutter) durch die Ehe vor der Deportation schützte.
Übrigens: Als Siegfried Wagner 2019 im Bayreuther Wagner-Museum mit einer eigenen Ausstellung präsentiert wurde – was erst auf Drängen eines Grünen-Stadtrats geschah – kamen alle hier genannten LGBTIQ-Aspekte nicht vor.
Ein Statement der neuen Festspielleiterin Katharina Wagner zum Thema Diversity steht noch aus.
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