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«James Webb»-All-Teleskop – Homophobie-Vorwürfe gegen Namensgeber

Das grösste und leistungsfähigste Weltraumteleskop soll kommende Woche starten

Künstlerische Darstellung des «James-Webb»-Weltraumteleskops (Foto: D. Ducros/ESA/dpa)

Jahrzehntelange Planung, Kostenexplosionen, Verschiebungen und dann auch noch eine Namens-Kontroverse wegen schwulenfeindlichen Verhaltens: Der Entstehungsweg von «James Webb» war lang und steinig, aber jetzt soll das grösste und leistungsfähigste Weltraumteleskop endlich starten. Von Christina Horsten und Oliver Pietschmann, dpa

Seit Jahrzehnten arbeiten und fiebern Astronomen und Weltraum-Ingenieure auf der ganzen Welt auf diesen Tag hin: Am kommenden Mittwoch soll das «James Webb Space Telescope» (JWST) nach zahlreichen Verschiebungen nun wirklich ins All starten – und dabei handele es sich nicht einfach nur um ein weiteres Weltraumteleskop, sondern um den unumstrittenen Star der Flotte, wie Nasa-Managerin Jane Rigby sagt. «Webb hat dermassen transformative Fähigkeiten, dass ich davon ausgehe, dass es eine neue Zeitrechnung markieren wird – es wird eine Zeit davor und eine Zeit danach geben.»

Das JWST ist eine rund zehn Milliarden Dollar teure Kooperation der Weltraumagenturen der USA, Kanadas und Europas und soll mit dem Start vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana das grösste und leistungsfähigste Teleskop werden, das jemals ins All gebracht wurde. Es soll Nachfolger des «Hubble»-Teleskops werden, das seit mehr als 30 Jahren im Einsatz ist, 1,5 Millionen Kilometer weit ins All fliegen und unter anderem mit Hilfe eines 25 Quadratmeter grossen Spiegels neue Bilder aus dem frühen Universums liefern. Das Teleskop soll die ersten nach dem Urknall entstandenen Galaxien beobachten.

Der bisherige Weg des gigantischen Teleskops war allerdings so lang und steinig, dass das Fachmagazin «Nature» schon vom «teuersten astronomischen Risiko der Geschichte» schreibt. Ende der 80er Jahre kam erstmals die Idee eines solchen Teleskops auf, seitdem wird geplant und gebaut. Immer wieder passierten dabei kleinere Missgeschicke, die Planung verzögerte sich, die ursprünglich auf rund 500 Millionen Dollar geschätzten Kosten schnellten in die Höhe. 2007 hatte das JWST ganz ursprünglich einmal starten sollen – aber der Start verschob sich immer wieder nach hinten, zuletzt, weil sich ein Klemmband ungeplant löste.


Zudem gibt es eine Kontroverse um den Namen, der auf den zweiten Direktor in der Geschichte der Nasa zurückgeht. Webb stand in den 60er Jahren der Nasa vor – zu Zeiten, in denen die Behörde die ersten Menschen ins All schickte, aber auch zu Zeiten, in denen ein Mitarbeiter entlassen wurde unter dem Verdacht, dass er schwul sein könnte. Zahlreiche Wissenschaftler haben bereits eine Umbenennung gefordert, aber der derzeitige Nasa-Chef Bill Nelson lehnt das bislang ab. «Wir haben zum derzeitigen Zeitpunkt keine Hinweise gefunden, die eine Namensänderung notwendig machen.»

Clifford Norton wurde wegen «Schwulen-Aktivitäten» festgenommen.

Eine Petition zur Umbenennung weist indes auf Beweise zur Entlassung des NASA-Mitarbeiters Clifford Norton hin, was unter Webbs Führung geschah. Norton wurde wegen «Schwulen-Aktivitäten» festgenommen, von der Polizei verhört und von der NASA zu seinen sexuellen Aktivitäten befragt. Die NASA entliess Norton wegen «unmoralischen Verhaltens» und aufgrund von Persönlichkeitsmerkmalen, die ihn «für eine weitere Anstellung bei der Regierung ungeeignet» machten. Obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass Webb zu diesem Zeitpunkt von dem Vorfall wusste, sagt die Kosmologin Chanda Prescod-Weinstein von der Uni New Hampshire gegenüber National Public Radio (NPR), dass ihn das nicht entlastet.

«Entweder war er ein völlig inkompetenter Administrator und wusste nicht, dass sein Sicherheitschef Mitarbeiter in NASA-Einrichtungen verhörte, oder er wusste genau, was vor sich ging, und er war in gewisser Weise daran beteiligt, die Verhöre von jemandem über sein Schwulsein zu beaufsichtigen», glaubt Prescod-Weinstein.


Viele Wissenschaftler*innen hoffen indes darauf, dass ein erfolgreicher Start all diese Kontroversen nun endlich in den Hintergrund rücken lässt – und den Weg frei macht für nie da gewesene Forschungsmöglichkeiten. Sie hoffen auf einen Blick zurück in die Frühzeit des Weltalls nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren: Auf Bilder von Sternen, die älter sind als unser Sonnensystem und vielleicht nicht mehr existieren – und möglicherweise sogar auf Hinweise auf eine zweite Erde.

Nach dem Start an Bord einer «Ariane»-Trägerrakete soll der Weg bis zum Zielorbit etwa vier Wochen dauern, zudem braucht das Herunterkühlen und Entfalten des riesigen Spiegels und eines Tennisplatz-großen Sonnenschutzes über rund 130 Einzelmechanismen und somit Monate. Bis zu ersten Untersuchungen werden wohl ungefähr sieben Monate vergehen, erste Bilder werden frühestens für den Sommer erwartet. Während «Hubble» im optischen und ultravioletten Bereich arbeitet, untersucht «James Webb» im infrarotnahen. Damit könne das Teleskop, sagte einmal der Astrophysiker John Mather, sogar «von der Erde aus eine Biene auf dem Mond aufspüren».

Die Lebensdauer von «James Webb» ist erstmal auf zehn Jahre angelegt, dann geht ihm quasi der Treibstoff aus. Dass das Teleskop so weit weg fliegt, birgt dabei auch ein Risiko: Während «Hubble» in 500 Kilometern Höhe mit Shuttle-Flügen mehrfach repariert und gewartet wurde, geht das beim «James Webb Space Telescope» in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung nicht mehr.

Nun überwiege aber erstmal die Aufregung zum Start, sagt Astronomin Heidi Hammel, die seit Jahrzehnten an der Entwicklung des Teleskops mitarbeitet. «Es gibt nicht viele Dinge im Leben, wo man an der Schwelle zu etwas so Grossem steht. Da sind viele Emotionen mit im Spiel.»

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