Marcel Mann: Hanni und Nanni for President!
Die neue Ausgabe der MANNSCHAFT-Kolumne «Mannstruation»
Dem Comedian Marcel Mann fehlt die Bühne. Aber er hat ja immer noch uns und diese Kolumne, und wir haben ihn …
Ein Jahr ist nun her, dass ich meinen letzten regulären Auftritt als Stand-Up-Comedian hatte. Hinter der Bühne des Quatsch Comedy Clubs erfuhr ich wie alle anderen Comedians, dass der Club schliessen würde. Vorerst. Hätten wir damals gewusst was nun auf uns zu kommt, hätten wir das Toilettenpapier aus dem Hotel mitgehen lassen. Also alle Rollen.
Inzwischen bin ich wohl zum Influencer verkommen. Gut, ich hab mich noch nicht eingeölt und crispy ausgeleuchtet in erotischen Alltagssituationen präsentiert, um Likes und Bestätigung einzuheimsen, aber meine Seele riecht nacht Babyöl – so schmierig finde ich dass Rangewanze an die Internetzielgruppe. Schreibt mir in die Kommis, was ihr von diesem langen Satz haltet.
Ein Hoch auf die Tage, als ich frisch geduscht (ich bin so anders als andere Comedians) und mikrofoniert auf einer Bühne stand, richtige echte anwesende Menschen zum Lachen brachte. Okay, nicht alle haben immer gelacht. Es gab in jeder Show mindestens ein Paar, welches die erste Reihe als ihr Habitat ausgewählt hatte und mich mit vor der Brust verschränkten Armen skeptisch fixierte, als ob ich vorhätte ihnen die Brustwarzen zu stehlen. Wie ich diese Kleinstadtmisanthropen vermisse. Fast wie die echten Tropen. Aber des Reise-Thema hatten wir schon beim letzten Mal.
Denkt jemand auch mal an die Singles?
Nun habe ich gelernt, die wichtigste Währung ist Reichweite. Quantität vor Orginalität. Ich war kurz davor, mein Meerschweinchen zu schminken, um den Haustier-Beauty-Tutorial-Markt für mich zu erschliessen, aber dann hab ich lieber eine YouTube-Reportage über Bio Bauernhöfe im Elsass geguckt. Und dann noch eine über Ökolandbau in Südtirol und eine über Kinder von Einwanderen, denen ein Hochzeitssaal in Kiel, der fast tausend Leute fasst, gehört. Ja der Algorythmus. Fast so verrückt wie der Plot im Actionfilm „Aquaman“. Wer hätte gedacht dass ein Film, der in der Tiefsee spielt so flach sein kann? Ich schweife ab.
Mir fehlt die Bühne, mir fehlt die echte Arbeit mit Publikum. Aber vor allem fehlt mir die Figur, die ich nie mit 20 hatte. An was es mir also nicht fehlt, ist ein gutes Gedächtnis. Irgendwann wird der Tag kommen, da werde ich wieder im ICE von Rostock nach Zürich (keine Direktverbindung) sitzen und mir wünschen, ich wäre Sozialversicherungsfachangestellter im inneren Dienst geworden. So ein Mumpitz. Das wünsche ich mir nie. Ab und zu träume ich davon, wie es wäre, hätten Hanni und Nanni einen Drogenring im Internat «Lindenhof» aufgezogen und damit mehrere Generationen Bad-Ass Businesswomen inspiriert. Aber das ist eine andere Geschichte.
P.S. Keine Macht den Drogen!
P.P.S. Hanni und Nanni for President.
Jetzt gerade würde ich gerne diesen Bühnengeruch einatmen, diese ganz bestimmte Atmosphäre, die gegen 20.30 Uhr hinterm Vorhang herrscht, nachdem die Show schon Fahrt aufgenommen hat, uns aber der Grossteil des Abends noch bevorsteht. Oder diesen ersten Schluck Rotwein nach einer gelungenen Show mit den Kollegen an der Bar schmecken. Das schreibe ich aber nicht, sonst denkt ihr noch ich hätte ein Alkoholproblem. Das kann ich mir nach dem Statement mit den Drogen gerade nicht leisten. Apropos: Es wäre eine Merlot. Ein erfolgreicher Post auf Facebook kann das nicht ersetzen.
Was ich stattdessen tue? Stories auf Instagram hochladen, Reels produzieren, Leute verlinken, live gehen, Fotos bearbeiten, super woke unter relevanten Posts kommentieren und zwischendurch mit den Tränen kämpfen und weitermachen. Dabei trage ich sogar eine echte Hose. Noch bin ich nicht gebrochen. Nächste Woche melde ich mich vermutlich bei TikTok an. Dann bin ich gebrochen. Ich muss durchhalten, irgendwann wird alles besser. Mein Meerschweinchen darf kein Vollwaise werden!
Ich hoffe, diese Kolumne hat eure Glocken aktiviert. Folgt mir … auf der Strasse, falls das eure Bewährungsauflagen zulassen.
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