Malik Harris über Kindheit, «Rockstars» und ein komisches Gefühl
Deutschlands ESC-Hoffnung für Turin im Interview
Mit gerade mal 24 Jahren denkt Malik Harris schon wehmütig an seine Kindheit zurück. In seinem Lied «Rockstars» singt er über diese Zeit, die er als wunderschön empfand. Doch eine Sache stimmte den deutschen Kandidaten des Eurovision Song Contests damals nachdenklich.
Von Cordula Dieckmann, dpa
Am 14. Mai braucht Malik Harris starke Nerven. Denn an diesem Tag wird er abends auf der Bühne stehen, vor Millionen Fernsehzuschauern in ganz Europa. Zum 66. Mal findet der Eurovision Song Contest statt, im italienischen Turin. Und Harris singt seinen Song «Rockstars» für Deutschland (MANNSCHAFT berichtete).
Wie geht es ihm kurz davor? «Bei mir knallt die Aufregung immer erst ein paar Sekunden, bevor ich auf die Bühne gehe, richtig rein. Bis dahin bin ich noch ganz entspannt und freue mich», sagt der 24-Jährige, der im Städtchen Landsberg am Lech südwestlich von München lebt.
Ausgerechnet Landsberg – wo es doch andere Musiker nach Köln, Hamburg oder Berlin zieht. «Man kann es auch aus München schaffen», ist Harris überzeugt. «Ich habe wahnsinnig viele Familie und Freunde hier, in Landsberg aber auch in München.» Und auch das Tonstudio, in dem er seine Songs aufnimmt, ist für ihn ein Wohlfühlort, an dem er gerne auch mal eine Nacht auf dem Sofa schläft.
Zurück in die Traumwelt Schöne Zeiten, heile Welt, Nostalgie, damit hat auch sein ESC-Beitrag zu tun. Nicht mit echten Rockstars. Der 24-Jährige sinniert darüber, wie schnell die Zeit vergeht und dass er sich einen Weg zurück in diese Traumwelt wünschen würde.
«Es geht um die Kindheit und Jugend, als wir alle noch so kleine Rockstars waren, die sich über nichts Gedanken gemacht haben, die sehr unbekümmert und unbeschwert durchs Leben gegangen sind», erklärt er. «Ich hatte letztes Jahr die Erkenntnis, dass man diese Unbeschwertheit der Jugend so ein bisschen verloren hat und dass wir das alle tun, wenn wir älter werden.»
Über seine Kindheit im Dorf Issing bei Landsberg kann der 24-Jährige nur Schwärmen, die sei nämlich «super, super schön» gewesen: «Ich bin mit dem Fahrrad rumgefahren, mit Freunden auf Bäume geklettert, wir haben Wasserschlachten gemacht, sind in Seen gesprungen».
Doch manches irritierte ihn, und das hatte damit zu tun, dass er wie sein Vater, der Ex-Talkmaster Ricky Harris, schwarz ist. «Was bei mir in der Kindheit immer ein komisches Gefühl ausgelöst hat, war das Spiel ‹Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?›», sagt der Sänger.
Was bei mir in der Kindheit immer ein komisches Gefühl ausgelöst hat, war das Spiel «Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?»
Seine Familie sei voll mit schwarzen Männern. «Ich dachte mir, komisch, mein Dad ist ein schwarzer Mann, rennen die jetzt vor ihm weg?» Er habe sich ausgeschlossen gefühlt. «Später habe ich dann begriffen, dass das ein typisches Beispiel dafür ist, dass das integriert ist in dieser Gesellschaft und man sich gar nicht gross Gedanken drüber macht. Aber für Leute, die betroffen sind, ist es halt echt hart.»
Dann kam 2020 das Video aus den USA, in dem ein Polizist minutenlang auf dem Hals des Afroamerikaners George Floyd kniet, der dann nicht mehr genug Luft bekommt und stirbt. Ein Schock. «Gleichzeitig war ich wie viele in meiner Familie schon ein bisschen taub», sagt Harris.
Teil einer Bewegung Er sei mit dieser Art Videos aufgewachsen. Zudem sei es immer dasselbe nach solchen Ereignissen: Ein kurzer Aufschrei, «und langsam klingt alles wieder ab und keiner redet mehr drüber.» Erst in München bei einer Demonstration habe er das Gefühl gehabt, Teil einer Bewegung zu sein. «Das hat bei mir viel ausgelöst, in so einer Traube von Leuten in München zu stehen, die alle ‹Black Lives Matter› schreien.»
Harris veröffentlichte dazu den Song «Faith» und die Dokumentation «Time For Wonder», auch weil es ihm wichtig ist, sich zu Themen wie «Black Lives Matter» zu positionieren. «Ich habe das Gefühl, dass wir jetzt in einer Zeit leben, in der wir Dinge verändern müssen und auch können, weil viel mehr Bewusstsein entsteht.»
Nun also der ESC. «Ich fühl mich ultra geehrt, dass ich da ausgewählt wurde.» Dass deutsche Sänger*innen in vergangenen Jahren meist auf hinteren Plätzen landeten, stört ihn nicht. «Jetzt kann ich sagen, Deutschland war immer mies und du kannst eigentlich fast nur besser sein.» Zudem sehe er das Ganze weniger als Wettbewerb, eher als «ein schönes Zusammenkommen», auch wenn er natürlich sein Bestes geben wolle.
Ein Sieg von Kalush Orchestra aus der Ukraine mit dem Song «Stefania» aus Solidarität, das wäre für Harris okay. Doch das habe die Band nicht nötig. (MANNSCHAFT berichtete über die Wetteinsätze für die Ukraine.)
«Ich habe den Song der Ukraine gehört und der ist echt stabil, unabhängig von allem könnte der auch gewinnen.» Sein Bestes geben will der 24-Jährige trotzdem. Und egal, wie es für ihn ausgehen wird, feiern und geniessen will er in Turin auf jeden Fall: «So oder so, es wird eine kurze Nacht». (MANNSCHAFT berichtete über Marius Bear, der die Schweiz beim ESC mit «Boys Do Cry» vertritt.)
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