LGBTIQ im Stadion: «Bin ich allein hier? Wo sind die anderen?»
Queere Fussballfanclubs kämpfen für Akzeptanz
Es gibt sie, die vielen queeren Fussball-Fanclubs, die ohne viel Geld und Medienpräsenz für Akzeptanz kämpfen. Was macht ihre Arbeit aus und wo liegen die Widerstände?
Die EM läuft, und die Debatten rund um Queerness im Fussball sind nach dem ausgefallenen Massenouting von Profi-Spielern im Mai erstaunlich ruhig geworden. Einzig die Amazon-Doku «Das letzte Tabu» lief kürzlich im ZDF. Wieder einmal ging es dort um nicht sichtbare queere Spieler im Männerfussball. Um grosse Erwartungen und grosse Enttäuschungen. Dabei bleibt eines meistens ganz im Schatten: Es tut sich etwas im Fussball, aber nicht unbedingt oben, oder gar an der Spitze, sondern unten und in der Breite.
«Wir möchten Präsenz zeigen und sagen: Hey, wir sind queere Fans, wir sind ein queerer Fanclub und wir möchten halt auch ein Teil des Ganzen sein – und wir erwarten auch Verständnis dafür», sagt René Schnettler von QFF, den Queer Football Fanclubs. René selbst ist in dem Hamburger Fanclub «Volksparkjunxx» organisiert, dem queeren Fanclub des HSV.
Viele Vereine haben queere Fanclubs. Und sehr viele davon sind bei den QFF versammelt. Diese Vereinigung hat sich nach der WM 2006 aus den queeren Fanclubs der «Hertha Junxx» in Berlin, den «Stuttgarter Junxx» und den «Rainbow Borussen» aus Dortmund gegründet. Mittlerweile sind mehr als 35 Fanclubs dort vertreten. Neben vielen aus Deutschland unter anderem auch die «Letzi Junxx» aus Zürich oder «Queerpass Basel».
René und seine Freund*innen aus dem HSV-Fanclub machen dabei auch ganz konkrete politische Arbeit vor Ort. So haben sie beispielsweise durchgesetzt, dass es im Stadion des HSV nun dauerhaft genderneutrale Toiletten gibt. Sonst waren die immer nur während internationaler Ereignisse aufgebaut, betont René. Daneben treten die «Volksparkjunxx» auch etwa für Schutzkonzepte oder Schutzräume ein, in denen Menschen Sicherheit finden, wenn es mal zu Auseinandersetzungen kommt.
Wie aktiv das queere Fanclubleben sein kann, das zeigt der Film «United in Pride», den die QFF selber in Auftrag gegeben haben. Darin kommen Fanclubs aus verschiedenen Städten vor, die trotz unterschiedlicher Vereins- und Fankulturen – und der Gegnerschaft während der Spiele – doch eines eint: das gemeinsame Anliegen, für mehr Queerness im Fussball zu kämpfen.
Die ältesten Fanclubs, die bei den QFF vertreten sind, stammen aus den 2000er Jahren. Damals war die Fankultur auch noch etwas anders strukturiert, erklärt Almut Sülzle von der KoFas, der Kompetenzgruppe Fankulturen und sportbezogene Soziale Arbeit in Berlin. So hätten vor Gründung der Fanclubs vor allem schwule Männer beim Fussball oft das Gefühl gehabt, dort allein zu sein und nicht so recht hinzupassen.
Gegenwärtig sei es vielmehr so, dass diese Gefühle eher trans und nicht-binäre Fans hätten. Viele fragten sich oft: «Bin ich allein hier? Wo sind die anderen?» Für Lesben hingegen, so Almut, bot der Fussball schon länger ein Zuhause. Aber auch sie mussten und müssen sich gegen Abwertungen durchsetzen; weniger gegen Lesbenfeindlichkeit, als gegen Sexismus.
Aktuell seien in den queeren Fanclubs bisher eher mehr schwule Männer zu finden als lesbische Frauen, erklärt Almut. Dafür seien aber auch einige hetero-Frauen, in den queeren Fanclubs, weil sie die Umgebung angenehmer fänden. Zugenommen habe zuletzt die Zahl der trans Personen, sagt Almut. Gerade für nicht-binäre, trans oder «tuntig auftretende» Menschen sei es besonders schwer, ins Stadion zu gehen. Sie entsprächen nicht dem Normbild von Fans und müssten Diskriminierung und Gewalt befürchten.
Diese vielen, wenn auch kleinen, Fanclubs, sind neben ihrer politischen Arbeit aber vor allem auch eines: sichtbare Zeichen im Stadion und im Vereinsalltag. Sie können die Vereine als queere Organisation ansprechen. Und das tun sie auch, wie René von den «Volksparkjunxx» berichtet. Er begrüsst die gute Zusammenarbeit mit dem HSV, beklagt aber insgesamt dennoch, dass bei den Vereinen insgesamt noch viel zu tun sei. «Wir würden uns wünschen, dass die Vereine viel, viel offener mit der Thematik Queerness umgehen würden.» So müssten die Vereine überhaupt erst damit anfangen, etwa bei einem möglichen Outing richtig vorbereitet zu sein, sagt René.
Denn wenn ein Spieler von sich aus bereit sei, diesen Schritt zu tun, dann müsse er das Gefühl haben, ihn auch tun zu können und von seinem Verein unterstützt zu werden. Weil das Coming-out aber immer eine sehr persönliche Sache sei, «sollte keine dritte Person eingreifen oder etwas fordern», sagt René. Deswegen sahen die QFF das geplante Coming-out am 17. Mai am IDAHOBIT (MANNSCHAFT berichtete) auch nicht besonders positiv. «Das ist der leider völlig falsche Weg und es war auch sehr, sehr schade, dass wir queeren Fanclubs nie angesprochen oder eingebunden worden sind», beklagt René. So hätten er oder andere queere Fanclubs dabei helfen können, zu zeigen, wie vielfältig der Fussball schon sei.
Wo die Widerstände gegen mehr Queerness im Fussball genau liegen, und wie gross sie sind, darüber lassen sich immer nur Vermutungen anstellen. Einen kleinen Einblick gab zuletzt eine Umfrage von Yougov. 44 Prozent der befragten deutschen Fussball-Fans sehen demnach Homophobie im Fussball nicht als grosses Problem an. Zum Vergleich: In Frankreich sind nur 27 Prozent der dortigen Fussball-Fans dieser Meinung.
Ebenfalls aufschlussreich in der Umfrage: Die Fans befürchten negative Reaktionen auf Outings – allerdings vor allem immer nur von den gegnerischen Fans. Im Vergleich zu den anderen Ländern in der Umfrage – Frankreich, Spanien, Italien und Grossbritannien – halten besonders die deutschen Fans Outings in nächster Zeit für am wenigsten wahrscheinlich.
So vermittelt die Umfrage insgesamt den Eindruck: so queerfreundlich ist das Klima unter allen Fans dann offenbar doch nicht. Aber was sind die Gründe dafür, die nicht nur den Spielern, sondern auch queeren Fans das Leben so schwer machen?
«Im Männerfussball ist die schlimmste Beleidigung, jemandem die Männlichkeit abzusprechen», sagt Almut von der KoFas. Männlichkeit im Fussball basiere auf Härte, Dominanz und der Abwertung von Weiblichkeit und Queerness. «Schwule gelten da eher als verweichlicht, auch wenn einzelne schwule Kollegen ernsthaft herzlich aufgenommen werden.» Hinzu komme, wie Almut aus ihrer Erfahrung berichtet: Viele dieser Männer sähen dieses Männerbild auch selbst nicht mal als problematisch an.
Und dieses Bild werde beständig reproduziert: «Auf dem Fussballplatz, im Leistungszentrum und in den Medien wird jungen schwulen Spielern ein Männlichkeitsbild vermittelt, das auf Überlegenheit gegenüber Frauen und Schwulen setzt. So macht es für einen Spieler keinen Sinn, sich zu outen.»
Gleichzeitig gäbe es aber schon auch die andere Seite, wie Almut mit ihren Kolleg*innen in ihrer Arbeit immer wieder feststellen. Wenn etwa eine Person sich über die binär organisierten Einlasskontrollen beschwere, versuchten die Vereine immer wieder ernsthaft, Lösungen zu finden. Dennoch dominiere im Profifussball der Männer aber zu oft eine Haltung, die sage: «Was sollen wir uns so detailliert um diese Minderheit kümmern? Es reicht doch wohl die Regenbogenfahne rauszuhängen!» Es stünden sich eben zwei Ziele widersprüchlich gegenüber: Dieses Männlichkeitsideal und der Anspruch, offen für alle sein zu wollen, sagt Almut.
So verfestigt diese Strukturen offenbar sind. Man müsse beharrlich dagegen vorgehen, fordert die Antidiskriminierungsexpertin von der KoFas. Der Fussball müsse sich fragen, wo in seinen Strukturen überall Heteronormativität stecke und wo Abwertung von Weiblichkeit und von queeren Menschen stattfinde.
Letztlich könne aber auch jeder einzelne Fan etwas gegen Queerfeindlichkeit tun, sagt Almut: «Nämlich gegen jegliche Art von Diskriminierung, insbesondere gegen Sexismus und schwulenfeindliche Sprüche laut zu sein und sich zu wehren. Man weiss ja nicht, wie viele queere Menschen um einen herum stehen. Aber die sehen ja, wenn ich mich dafür einsetze.»
VfB-Boss Alexander Wehrle heiratet im August seinen Partner (MANNSCHAFT berichtete.
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