Lesbische Sportlerinnen sind praktisch unsichtbar
Über nicht vermarktbare Lesben, schwule Schiris und fussballspielende Aktivistinnen wie Megan Rapinoe
Die Machtallianz zwischen Sport, Medien und Wirtschaft macht lesbische Sportlerinnen seit jeher unsichtbar. Zudem mangelt es dem glamourösen Profibusiness an Diversität.
Text: Marianne Meier
Dagegen schreiben fünf Schweizer Autorinnen an. Im Buch «Vorbild und Vorurteil» porträtieren sie 28 lesbische Spitzensportlerinnen – damit entlarven sie Klischees und schaffen neue Vorbilder (MANNSCHAFT berichtete).
«Was haben sportliche Erfolge mit der sexuellen Orientierung zu tun?», fragte das deutsche Lesbenmagazin L.MAG 2016 und gab im Text gleich die Antwort: «Gar nichts! Deshalb ist es umso schöner, dass immer mehr Lesben und Schwule bei Olympia nicht mehr das Gefühl haben, das verstecken zu müssen». Die Tatsache, dass offen lesbische Spitzensportlerinnen immer selbstverständlicher werden, beweist auch die Präsenz des ersten verheirateten Frauenpaars in der olympischen Geschichte in Rio 2016. Helen und Kate Richardson-Walsh spielten gemeinsam im britischen Hockey-Nationalteam.
Kate war die Spielführerin und meinte in einem Interview: «Es freut uns, wenn sich Menschen bei uns melden und sagen, dass unsere offene Art ihnen geholfen hat, sich mit ihrer eigenen Homosexualität zu befassen oder sich gegenüber ihren Eltern zu outen.» Auch die im Buch «Vorbild und Vorbild» porträtierte Profifussballerin Lara Dickenmann hätte sich in ihrer Jugend Personen im Sportkontext gewünscht, die offen schwul oder lesbisch lebten. Zu ihrer Rolle als heutige Athletin, die Frauen liebt, meinte sie: «Wenn es nur jemandem hilft, sich zu öffnen und sich wohler zu fühlen, dann hat sich mein Coming-out bereits gelohnt.»
Ebenfalls bei den Olympischen Spielen in Rio erhielt die brasilianische Rugbyspielerin Isadora Cerullo vor laufender Kamera und über das Stadionmikrofon von ihrer Freundin einen Heiratsantrag mit rotem Luftballon in Herzform. Auch die Küsse der Fussballweltmeisterinnen aus den USA, die ihren Partnerinnen auf der Tribüne galten, gingen im Juli 2019 von Frankreich aus um die Welt. Und mit dem US-Star Megan Rapinoe, nebenbei eine Aktivistin für LGBTIQ-Rechte mit politischen Ambitionen (MANNSCHAFT berichtete), wurde die beste WM-Spielerin auch als Weltfussballerin 2019 ausgezeichnet. Sie nahm bei ihrer Dankesrede vor der versammelten Weltfussballprominenz kein Blatt vor den Mund und prangerte Sexismus, Homophobie und Rassismus im Sport offen an.
Im Gegensatz dazu: Noch bei der FIFA-Nomination der Schwedin Pia Sundhage zur weltbesten Trainerin des Jahres 2012 wurde die Kameraeinstellung bei der Liveübertragung sofort umgestellt, als sie ihre Partnerin küssen wollte, bevor sie ihren Preis in Empfang nahm. Die öffentliche Sichtbarkeit von frauenliebenden Topathletinnen ist insgesamt zunehmend, aber noch lange keine Selbstverständlichkeit. Die ehemalige Schwimm-Olympionikin Martha McCabe hat sich drei Jahre nach Karriereende als lesbisch geoutet – MANNSCHAFT berichtete.
Wo sind die schwulen Profisportler? Gemäss L.MAG nahmen an den Olympischen Spielen 2016 «mindestens 64 offen lesbische und schwule Sportler*innen» teil. Davon waren nur elf Männer, die fast ausschliesslich im Reit- und Wassersport starteten. Schwule Sportler sind in den Medien insgesamt noch weniger präsent als lesbische Sportlerinnen. Obwohl die geringe Anzahl sichtbarer lesbischer Athletinnen bereits bemängelt wurde, sieht es bei den schwulen Sportlern noch viel prekärer aus.
Die deutsche Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling berät unter anderem schwule Profisportler, darunter auch Fussballer, die ihre Homosexualität nicht öffentlich machen wollen. Eggeling meint, dass schwule Athleten noch ein grösseres Tabu brechen als lesbische Sportlerinnen. Dies erkläre auch, weshalb schwule Fussballer in europäischen Top-Ligen nicht offen zu ihrer Homosexualität stehen (könnten), denn dieser «Makel, kein richtiger Mann zu sein» sei im heutigen Fussballbusiness noch immer nicht wettzumachen.
Der ehemalige deutsche Nationalspieler Thomas Hitzlsperger sorgte mit seinem Coming-out 2014 zwar für Furore, allerdings wagte er diesen Schritt erst nach seiner Aktivzeit (MANNSCHAFT berichtete). Obwohl es immer wieder Stimmen gibt, die sagen, dass ein öffentliches Bekenntnis zur Homosexualität in der heutigen Zeit niemanden mehr interessiere, ist es doch bemerkenswert, dass Hitzlsperger vom damaligen britischen Premierminister David Cameron für seine Offenheit beglückwünscht wurde.
Über sein Coming-out wurde auch in der SRF-Tagesschau und im Heute-Journal des ZDF berichtet. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dazu öffentlich Stellung bezogen: «Jeder, der die Kraft aufbringt, den Mut hat, sollte wissen, dass er in einem Land lebt, in dem er sich eigentlich nicht davor fürchten sollte.» Diese Staatsoberhäupter würden sich wohl kaum zu Wort melden, wenn ein Coming-out im Männerfussball banal wäre. Hitzlsperger fungierte nach seiner Profikarriere als ARD-Fussballexperte und widerlegte Spieltag für Spieltag das unsägliche Klischee, dass Schwule nichts von Fussball verstehen.
Es tut sich was In der Schweiz hat sich der Super-League-Schiedsrichter Pascal Erlachner 2017 öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt und zwar als er noch aktiv auf dem Rasen pfiff. Dies brachte ihm 2018 eine Nomination für den «Prix Courage» ein, der mutige Taten im Alltag auszeichnet. Ein Paukenschlag ereignete sich im März 2020 mit dem Coming-out des Schwingers Curdin Orlik (MANNSCHAFT berichtete). Sehr bemerkenswert aus zwei Gründen: Erstens ist die Sportkarriere von Orlik noch voll im Gang, und zweitens gibt es kaum eine traditionellere und körperkontaktintensivere Sportart in der Schweiz als das Schwingen der «Bösen».
Aus der Schwingszene erhielt der 27-Jährige fast durchwegs positive und sogar bewundernde Reaktionen. Diese erste Akzeptanz wird sich an den nächsten Schwingfesten durch das Verhalten der Zuschauenden, Gegner, Medien und Kampfrichter erst noch bestätigen müssen.
Die Palette von Sportarten, in denen offen schwule Spitzenathleten starten, ist recht beschränkt und beinhaltet vor allem Einzeldisziplinen. Im Wintersport hat sich bei den Männern mit dem US-Amerikaner Gus Kenworthy 2015 ein schwuler Ski-Freestyler an der Weltspitze etabliert. Sein Coming-out war die Titelgeschichte des bekannten Sportmagazins ESPN (MANNSCHAFT berichtete). Im Interview sagte Kenworthy, dass er damit so lange gewartet habe, bis er der beste Freestyler der Welt sei. Er hoffte sich durch den Erfolg schützen und legitimieren zu können.
Lesbische Sportlerinnen nicht vermarktbar? Bei Spitzensportlerinnen scheint Homosexualität weniger Verwunderung hervorzurufen als bei den Männern, da Sportlichkeit historisch gesehen eng mit Männlichkeit verknüpft ist. Und das «Schwulsein» wird oftmals mit weiblichen Attributen beschrieben. Die Sporthistorikerin Gertrud Pfister erachtet die weit verbreitete homophobe Gesinnung auch als Erklärungsansatz für die relativ bescheidene Attraktivität des Frauenfussballs: «Homophobie kann aber auch die Entwicklung einer Sportart insgesamt beeinflussen. Fussball ist immer noch eine Sportart mit männlichem Image. Dies bedeutet, dass Männer im Fussball Heterosexualität und Männlichkeit, Frauen dagegen Homosexualität und Unweiblichkeit signalisieren.» Das Desinteresse der Massenmedien und des potenziellen Sponsorings basiert weitgehend auf dieser zwiespältigen Konzeption, die Fussballerinnen oft dazu verdammt, ihre Spiele vorwiegend vor leeren Rängen auszutragen; auch ohne Corona.
Wie tief dieses Weltbild noch verankert zu sein scheint, kann einem Kommentar im Magazin Focus Online entnommen werden. Dort schrieb 2015 ein User als Reaktion auf das Coming-out der Schweizer Fussballnationalspielerin Ramona Bachmann zynisch: «Wer hätte das geahnt, eine Fussballerin ist lesbisch. Im Ernst, wenn der Focus eine Sensation bringen will, dann lasst einfach eine Fussballerin mal ihren Freund vorstellen.»
Bei der Sichtbarkeit von Persönlichkeiten im Sport spielen Medien eine Schlüsselrolle. Daniela Schaaf und Jörg-Uwe Nieland beschreiben die «Machtallianz zwischen Sport, Medien und Wirtschaft». Diese drei Sektoren boten – offenkundig oder subtil – einen idealen Nährboden für maskuline Hegemonie und Heteronormativität. Dabei entsprächen von der Norm abweichende Menschen, wie beispielsweise lesbische Sportlerinnen, den Prinzipien der Vermarktbarkeit nicht. Im Artikel «Lieber Barbie als Lesbe?» werden die Bemühungen des Deutschen Fussball-Bundes (DFB) im Vorfeld der FIFA-WM 2011, durch eine Feminisierungskampagne mehr Sponsoring für den Grossevent zu generieren, dargelegt.
Nebst dem offiziellen WM-Slogan «20elf von seiner schönsten Seite» beinhalteten die DFB-Aktionen auch «Beauty- oder Modefotos in Publikumszeitschriften sowie das Kätzchenmaskottchen ‹Karla Kick›». Dabei analysierte Daniela Schaaf weiter, dass die sehr weiblich wirkenden «jungen Wilden» des Nationalteams in den Vordergrund gerückt wurden. Es gab auch eine offizielle DFB-Barbiepuppe. Eher burschikos wirkende Athletinnen, die von einem weiblichen Idealbild abweichen, sind im Machtgefüge von Sport-Medien-Wirtschaft daher kaum sichtbar, da eine erfolgreiche Vermarktung nicht erwartet werden kann.
Lesbische Sportlerinnen – auch 2020 noch ein Risiko In den letzten zwei Jahren scheint sich diese heteronormative Mediensportpha- lanx auch in der Schweiz etwas aufzuweichen. Einzelne frauenliebende Frauen der Schweizer Sportwelt werden sichtbarer. So wurden etwa Ramona Bachmann und Alisha Lehmann vom Boulevardblatt Blick wiederholt als «Glamourpaar» oder «Schweizer Traumpaar des Frauenfussballs» bezeichnet, das «anderen lesbischen Frauen Mut machen möchte».
Doch diese anerkennende Berichterstattung hat auch damit zu tun, dass sich die beiden Nati-Fussballerinnen sehr «feminin» präsentieren. Das Schweizer Fernsehen hielt sich im Sport in all den Jahren über das Privatleben von Athletinnen – insofern diese nicht gerade Mutter wurden und mit einem Mann liiert waren – eher bedeckt. Gemäss der Devise «Don’t ask, don’t tell» wurden frauenliebenden Athletinnen, wenn überhaupt, als «Duo» oder «WG-Kolleginnen» bezeichnet.
Natürlich müssen einer intensiveren Berichterstattung aber auch die Frauen selber zustimmen. Und dass ein solches Coming-out, je nach Sportart, auch im Jahre 2020 noch mit einem Verlust von Sponsoring verbunden sein kann, beweisen einzelne Absagen, für das Buch «Vorbild und Vorurteil» interviewt zu werden. Die Downhill-Bikerin Emilie Siegenthaler hingegen ist im Buch vertreten. Sie stand auch bei einer Premiere in der TV-Sendung Sportpanorama vom 1. September 2019 im Rampenlicht. Dabei wurden sie und ihre Partnerin Camille Balanche sowohl als privates Liebespaar als auch als Topathletinnen präsentiert. Dies war ein Novum für lesbische Spitzensportlerinnen im Schweizer Fernsehen und könnte ein Silberstreifen am Horizont sein.
Ein Paradebeispiel dieser Selbstverständlichkeit war im Oktober 2019 in der Luzerner Zeitung zu finden, wo die Fussballerin Géraldine Reuteler porträtiert wurde. Dabei wurde ihr Heimweh als Profispielerin im Ausland thematisiert sowie das simple Rezept dagegen: «Spätestens seit in diesem Sommer ihre Freundin Laila Koch zu ihr nach Frankfurt gezügelt ist, fühlt sich Reuteler sichtlich wohl.» Die Frauenbeziehung wurde mit keiner Silbe thematisiert. So unaufgeregt und simpel könnte es sein.
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