«Leben und leben lassen» – Homosexualität im Sport enttabuisieren!
Die EuroGames 2024 kommen nach Wien
Grosse queere Veranstaltungen werfen ihre Schatten voraus: Seit letzter Woche steht fest, dass die EuroGames 2025 in Lyon stattfinden (MANNSCHAFT berichtete). Im Jahr davor ist Wien Gastgeber der EuroGames.
Seit Ende Dezember 2021 steht fest: Wien hat sich als Ausrichterin der EuroGames 2024 gegen Birmingham durchgesetzt. Aufschlag Wien, der grösste österreichische Sportverein für LGBTIQ sowie die österreichische einzige LGBTIQ-Trainingsgruppe für Erwachsene im Schwimmsport, die Kraulquappen Wien, hatten sich beworben. «Das Bundesministerium für Sport und Kultur, BMKÖS, wie auch die Stadt Wien unterstützen diese grösste LGBTIQ-Sportveranstaltung Europas mit einer finanziellen Förderung in der Höhe von jeweils 150.000 Euro, um diese im Sommer 2024 in Wien durchzuführen», sagt Gerhard Marchl, der Präsident vom Sportverein Aufschlag Wien. Mitte März hatten die Veranstalter*innen Verein Fairplay VIDC, Sportverein Aufschlag sowie das Bundesministerium für Sport und Kultur (BMKÖS) und EGLSF (European Gay and Lesbian Sport Federation) eingeladen, um zum Thema «Queer im Sport oder was Sport gegen LGBTIQ-Feindlichkeit tun kann» im Haus des Sports in Wien zu diskutieren. Michael Berger vom ORF Sport hat die Veranstaltung moderiert.
Mit dabei war Oliver Egger, Obmann der Ombudsstelle «Fussball für Alle», die die Vertreter*innen des Österreichischen Fussballbunds, ÖFB, und der Österreichischen Fussballbundesliga gegen Homophobie im Fussball installiert haben (MANNSCHAFT+). Egger ist der erste offen geoutete männliche Fussballspieler Österreichs. Er spielte im Nachwuchs von Sturm Graz, zurzeit ist er beim FC Gratkorn aktiv. «Es war ein jahrelanger Prozess, bei dem ich mich sogar selbst verleugnet habe und auch meine gesamte Familie sowie meine Teamkollegen angelogen habe, weil ich nicht gewusst habe, wie ich mit meinem Schwulsein klarkommen soll», sagt der Fussballspieler. Schliesslich habe er sich plakativ öffentlich geoutet.
Seit dem Tag seines Coming-outs, als er demonstrativ vor allen seinen Freund geküsst und abgeschmust habe, laufe alles wie immer, mit Rückhalt von seinem Fussballverein und vom Präsidenten seines Vereins unterstützt. Ein paar Unverbesserliche, die auf den Rängen der Fanzone sitzen und stets homophobe Sprüche wie beispielsweise «schwule Sau» oder «schwuler Pass» brüllen, gebe es immer wieder, aber Homophobie muss verurteilt werden, sagt der 29-jährige Fußballspieler, der vor allem Zivilcourage auf den Tribünen einfordert, um diese homophoben Sprüche zu stoppen. Er fühle sich von seinem Team FC Gratkorn gestärkt, das – auch durch seine Teammitgliedschaft – im Bereich der Homosexualität sensibilisiert wurde, sodass homophobe Aussagen von seinen Mitspielern auch nicht mehr zu hören seien, sagt Egger.
Jennifer Klein hat schon vor einigen Jahren in Deutschland bei FC Hoffenheim Fussball gespielt. Sie wurde bereits fünfzehn Mal für das österreichische Frauenfussball-Nationalteam von ihrer Bundestrainerin eingesetzt und spielt derzeit beim niederösterreichischen Bundesligaverein SKN St. Pölten Frauen. Sie ist ebenfalls geoutet, lebt mit ihrer Frau zusammen und sagt: «Es ist traurig, wenn ich die Geschichte von Olli höre.»
«Sport gilt als gesellschaftlicher Ansporn die Menschen zu sensibilisieren, egal egal ob sexistische, rassistische oder homophobe Sprüche oder Verhalten, auch im Sport gilt es aufzuzeigen und Stop zu sagen, wenn es diskriminierend ist», sagt Klein.
Im Frauenfussball fordern wir allerdings kein Coming-out, weil jede Frau so im Team anerkannt ist, wie sie ist.
Nicht nur in Deutschland, sondern auch beim österreichischen Frauenfussball seien die Spielerinnen und Fussballfans in der Fanzone schon viel weiter und toleranter. Homosexualität beim österreichischen Frauenfussballteam sei ganz normal und viel offener als beim Männerfussball gelebt. Allerdings sei die Fankultur beim Frauenfussball auch kleiner und familiärer als beim Männerfussball, wodurch es den Frauen oft einfacher mache als lesbische Fussballspielerinnen zu leben, sagt Klein, «Im Frauenfussball fordern wir allerdings kein Coming-out, weil jede Frau so im Team anerkannt ist, wie sie ist, nach dem Motto: Leben und leben lassen.»
Die Spielerinnen können miteinander in einem familiären Team reden und müssen keine aussenstehende Beratungsstelle aufsuchen. Sie seien ein Team und haben alle dasselbe Ziel beim Fussballsport. So sollen die Menschen in der Gesellschaft vorangehen, wie es die Spielerinnen beim Frauenfussball bereits leben und infolge mehr angesehen werden sollten, sagt Klein. «Das Miteinander ist wichtiger als die Differenzierung zwischen Geschlecht, Aussehen oder sexueller Orientierung.»
«Alles was sich in der Gesellschaft abspielt, fokussiert sich im Sport, was auf weite Bereiche auch ein Abbild der Gesellschaft ist, vor allem bei den populären Ballsportarten wie beim Fuss- oder Handball. Es ist daher wichtig auch im Sportbereich Bewusstsein zu schaffen, um für maximale Gleichstellung, Gleichberechtigung und vor allem für Antidiskriminierung Platz zu schaffen», sagt der österreichische Bundesportminister und Vizekanzler der Grünen, Werner Kogler. In diesem Sinne sehe er die Sportler*innen als sogenannte Botschafter*innen der besseren Sache. Dafür gebe es bereits Projekte und geförderte Initiativen auch in Österreich: Zum Beispiel den Verein «Hundert Prozent Sport», der als Aussenstelle vom Sportministerium positioniert sei und die gleichgeschlechtliche Vielfalt als Schwerpunkt seiner Vereinsarbeit habe, sagt Kogler.
Der Verein könne Beschwerden entgegennehmen und in die Verbände und Vereine hineinwirken. In Österreich werde die Sportpolitik auf Bundesebene mit Förderungen gesteuert, da Sport eine Landesangelegenheit sei. Aber langfristig seien diese finanziellen Fördervergaben vorauszusetzen, damit sich auch im Sport in Richtung Gleichstellung mehr bewege, sagt der österreichische Bundessportminister, der schliesslich auch den Verein VIDC mit seiner antidiskriminierenden Arbeit im Bereich des Fussballsports als positives Vorzeigebeispiel der Initiativen gegen Homophobie erwähnt.
Der Geschäftsführer der Handball Ligen Austria, Christoph Edelmüller, stellte das Projekt «Anti-Diskriminierung: Homosexualität im Burschen- & Männerhandball» vor, das vom BMKÖS, Bundesministerium für Kultur, Öffentlicher Dienst und Sport, gefördert wird. Dieses Projekt erziele Bewusstseinsbildung und Enttabuisierung des Themas Homosexualität, einerseits im Kinder- und Jugendbereich, andererseits bei den Mannschaften der ersten und zweiten Liga.
«Sport ist mehr, lebt von der Öffentlichkeit und reflektiert auch wieder die Öffentlichkeit», sagt Edelmüller. «Die soziale Verantwortung ist auch von jedem Sportler und jeder Sportlerin wahrzunehmen im Zeichen der Vielfalt, was bei den Kleinen anfängt bis hinauf zu den Profi-Sportler*innen». So sieht es auch der Handballspieler Edelmüller genauso wie der österreichische Vizekanzler und Bundessportminister Kogler. Es müsse von der Basis kommen, um authentisch zu sein. Edelmüller setze bei seinem österreichischen Handballsportverein auch medienwirksame Zeichen der Vielfalt in der Öffentlichkeit, sowohl nach aussen wie auch nach innen. Beispielsweise tragen sie Regenbogenfarben in den Trikots oder halten Workshops zu dem Thema Homosexualität im Sport ab. «Homophobe Sprüche und Gesänge sind beim österreichischen Handballsportverein nicht mehr öffentlich zu hören, dennoch findet auch hier Homophobie noch statt, was im Sportverein angesprochen werde, um dafür ein Bewusstsein zu schaffen», so der Geschäftsführer des Handballsportvereins Edelmüller.
Sarah Townsend, die Vizepräsidentin der European Gay and Lesbian Sport Federation (EGLSF) lebt in Frankreich, delegiert als Mitglied der Fédération Sportive Gaie et Lesbienne, FARE, das Netzwerk «Fussball gegen Rassismus in Europa“ und leitet die «Erasmus und Sport»-Projekte. Beim Thema «Homosexualität im Sport» habe sie in den letzten zehn bis zwanzig Jahren schon viele Fortschritte gemacht, sagt Townsend.
«Sehr viele Spieler und Spielerinnen in den verschiedenen Sportarten haben sich durch unsere Netzwerkarbeit bereits geoutet und können nun auch sie selbst sein“. Fussball sei die letzte Bastion und der grösste Sportbereich, wo sich die Spieler und Spielerinnen laufend outen, dadurch seien hier immer noch Probleme vorhanden bei der Fankultur. So werde zum Beispiel etwas Harmloses gesagt, was die Menschen stark treffe.
«Vor allem bei den Basisfanklubs im Fussballsport passiert sehr gute Arbeit», sagt Townsend, «Beschwerden tragen wesentlich dazu bei, etwas weiterzugehen, zu verändern und verbessern, sich mit der Politik und mit Institutionen, die vorwiegend im Fussballsport tätig sind, zusammenzuarbeiten. Aber auch Bildung und Sprache sind dafür wichtige Faktoren, um bereits ab der Schulzeit zu beginnen aufzuklären und homophobe Verhalten öffentlich entgegenzuwirken.»
Schliesslich seien auch Begriffe wie «anders» oder «normal» zu überdenken, was es im Zusammenhang mit Homosexualität bedeute, sagt Egger. Mit seiner persönlichen Lebensgeschichte mache er anderen Mut, indem er seine eigenen positiven Erfahrungen in beratenden Gesprächen weitergebe. «Allerdings bei der ,Ombudsstelle Fussball für alle‘ kommen vor allem Männer, die einfach froh über diese Initiative ,Fussball für alle‘ sind, um ungezwungen über eigene Erfahrungen mit Homosexualität zu sprechen», so Egger über diese wichtige Basisarbeit gegen Homophobie im Sport, wodurch eine Art Safe Space entstanden ist, um mehr Mut zum Coming-out im Sportbereich zu schaffen. «Alle Vereine und Verbände sind dadurch gefordert, darauf zu achten, wie homofreundlich sie und die eigenen Statuten und Strukturen des Vereins sind und wie queer offen und aufgeschlossen sie sind», sagt Egger. Dort müsse angesetzt werden.
«Sport ist eine bestmögliche Plattform um Grenzen aufzubrechen, weil Sport auch in die Breite wirkt», sagt der österreichische Bundessportminister Kogler. Die Vizepräsidentin der EGLSF Townsend sehe die Emanzipation auch als eines der wichtigsten Werte bei der Sportveranstaltung EuroGames, die auch im Bereich der Menschenrechte dem Sport eine sehr wichtige Rolle zuschreibe, um Herausforderungen und Gemeinschaften zu bilden und zusammenzukommen, sagt Townsend, dabei sollten auch in der Sprache Tabus gebrochen werden, um im Sport grundsätzlich die Menschenrechte hochzuhalten.
Als homosexuelle Sportler*innen sichtbarer zu werden, sei wichtig, um positive Vorbilder auch im Sport zu haben, damit sich Jugendliche orientieren können, das Gefühl zu bekommen, das Gleiche zu schaffen oder auch ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl zu bekommen, sagen die beiden FussballspielerInnen Jennifer Klein und Oliver Egger.
Im Anschluss der Pressekonferenz im Haus des Sports überreichte der Geschäftsführer des Handballsportvereins Edelmüller dem österreichischen Bundessportminister ein mit Regenbogenfarben versehenes, signiertes Trikot seines Handballsportvereins. «Möglichst viele Sportvereine sollen dazu angeregt werden, Zeichen der Toleranz und Akzeptanz von Homosexualität im Sport zu setzen und ihre Sporttrikots in Regenbogenfarben zahlreich sichtbar zu tragen und zu verbreiten», sagt Edelmüller.
Rund 19 verschiedene Sportarten und unterschiedliche Kategorien werden bei dieser zahlenmässig grössten Sportveranstaltung der EGLSF ausgeübt. Die Veranstalter*innen der EuroGames erwarten bis fünftausend Teilnehmer*innen, um in dieser sportlichen Umgebung zu interagieren. «Trotz stattfindende sportliche Preisverleihungen und Wettkämpfe, sei EuroGames mehr als nur eine Sportveranstaltung, es sei ein internationales, regenbogenfarben-buntes Zusammenkommen, das in unterschiedlichen Kategorien in einen Raum für alle, egal ob binär oder non-binär, gemeinsam Sport zu machen», so Townsend abschliessend in Vorfreude auch auf die EuroGames 2024 in Wien.
In Bern sind die Spiele im Jahr 2023 zu Gast: Das Multisport-Event als Zeichen von Vielfalt und Inklusion soll gleichzeitig mit der Bern Pride stattfinden (MANNSCHAFT berichtete).
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