LGBTIQ? «Solche Leute haben wir hier nicht» – Sachsen wählt (2)
In der Politik oder der Kinder- und Jugendhilfe versucht man das lästige Thema Vielfalt oft abzuwimmeln, aber die LAG Queeres Netzwerk ist hartnäckig
LGBTIQ gehören zur Lebensrealität in Sachsen, heisst es im Landesaktionsplan Vielfalt. Damit das nicht nur eine Floskel bleibt, sorgt die LAG Queeres Netzwerk auch für Sichtbarkeit queerer Menschen im Freistaat. Und hat dieses Jahr die erste Dunkelfeldstudie über LGBTIQ-feindliche Gewalt vorgelegt. Teil 2 unserer Serie zur Landtagswahl.
2014 wurde im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD der Auftrag für den Landesaktionsplan Vielfalt verankert, Im Vorwort von Petra Köpping (SPD), der sächsischen Staatsministerin für Gleichstellung und Integration, die aktuell wegen Morddrohungen unter Polizeischutz steht, heisst es: «Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgeschlechtliche, Transgender, Intersexuelle und queere Menschen gehören zur Lebensrealität in Sachsen.» Zum 1. Januar 2016 trat die erweiterte Richtlinie zur Förderung von Chancengleichheit in Kraft, die die Umsetzung des Landesaktionsplans regelt.
«Leider handelt es sich meist um Prüfaufträge für die einzelnen Ministerien, konkrete Fristen für Massnahmen werden kaum benannt», erklärt Vera Ohlendorf von der Landesarbeitsgemeinschaft LAG Queeres Netzwerk Sachsen. «Aber wir unterstützen die Landesregierung aktiv bei der Umsetzung und sind Teil des Projektbeirats, der sich im Staatsministerium für Gleichstellung und Integration alle sechs Monate trifft.»
Die Reaktion nach Verabschiedung des Plans auf Seiten der Politik war grösstenteils: «Sowas brauchen wir nicht, weil es solche Leute hier nicht gibt» – ein Satz, den Vera und ihre Kolleg*innen recht häufig hören.
Beispielhaft für Sachsen: Pirna eröffnet LGBTIQ-Zentrum
«Trotzdem hat sich einiges bewegt. Fast alles was im Landesaktionsplan steht, wurde umgesetzt». Zudem habe man jetzt auch fast in jedem Ministerium Ansprechpartner*innen. Einer der Erfolge der Arbeit der LAG: «LGBTIQ ist Thema in allen Lehramtsstudiengängen. Alle Student*innen müssen verpflichtend entsprechende Lehrveranstaltungen besuchen, und es ist Prüfungsthema.» Das Thema in den Lehrplänen der Schulen unterzubringen, bleibt schwierig. Immerhin arbeitet man gerade an einer Broschüre etwa zum Thema trans – es sind kleine Schritte, aber immerhin.
Vera arbeitet seit eineinhalb Jahren im queeren Dachverband LAG Queeres Netzwerk Sachsen. Deren Gründungsmitglieder der LAG Queeres Netzwerk Sachsen sind u. a. RosaLinde Leipzig e.V., Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland e.V. (TIAM e.V.) in Zwickau und Gerede – homo, bi und trans e.V., in Dresden – alles Vereine, die mit queeren Menschen zu tun haben oder im Interesse queerer Menschen arbeiten. Zu Veras vorigen Stationen gehörten u. a. der CSD Leipzig und das kommunale Kino, ebenfalls in Leipzig, wo sie für die Programmarbeit zuständig war. «Da hatten wir auch einen emanzipatorischen Anspruch, aber das war mir nicht nachhaltig genug.»
Nun steht in Sachen die Landtagswahl an. «Was nach dem 1. September passiert, ist unklar», sagt Vera. «Sollte es eine Regierungsbeteiligung der AfD geben, wird es das Amt des Sächsischen Staatministerin für Gleichstellung und Integration wohl nicht mehr geben. Das ist kein eigenes Haus, sondern gehört zum Sozialministerium. Mit ihr würden wohl auch die Töpfe verschwinden, die sie verwaltet.»
Gute Erfahrungen in Mittelsachsen und Bautzen Auch für die LAG wäre es dann vorbei, denn aus den genannten Töpfen werden Vera und ihr zwei Kollegen bezahlt zu 90 % bezahlt, den Rest muss die LAG selber finanzieren, etwa über kleinere Kooperationen. Damit hat man im Freistaat unterschiedliche Erfolge: Während die Arbeit für LGBTIQ im Erzgebirge eher schwierig ist, hat man gute Erfahrungen etwa in Mittelsachsen und in Bautzen .
Doch wo immer man hinkommt, die erste Reaktion lautet meist: «Solche Leute» (gemeint sind LGBTIQ) haben wir hier nicht.» So versucht man in der Politik, in der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch im Gesundheitsbereich das lästige Thema Vielfalt erstmal abzuwimmeln. Aber Vera weiss: «Wenn man aber eine Weile miteinander redet – jedenfalls gilt das für Menschen, die mit Menschen arbeiten -, dann fällt denen doch ein, sie kennen da jemanden.
Mit coolen Plakaten für Selbstbestimmungsrecht von trans Personen
Im ländlichen Raum haben es LGBTIQ in Sachsen schwer. Oft fehlt ihnen soziale Anbindung, bei trans und inter kommt das Problem dazu, dass die medizinische Versorgung oft unterirdisch ist. «Selbst in einer Stadt wie Chemnitz findet man gerade keinen Therapeuten, der eine zugewandte nach dem TSG vorgeschrieben Therapie machen oder und das nötige Gutachten erstellen kann.» Durch die Arbeit der RosaLinde weiss sie von einer trans Person in Mittelsachsen, die sich nicht traut, die Regionalbahn zu nehmen und nach Leipzig zu fahren, wo der Verein sitzt, weil sie in der Öffentlichkeit wie etwa in der Bahn Diskriminierungserfahrungen gemacht hat und immer wieder blöde Sprüche hört. «Diese Person ist allein und isoliert.»
Alle grossen Vereine in Sachsen bieten Schulberatungsprojekte an, u. a. geht man mit Peer-Bildungsprojekten in Schulen. Junge queere Menschen machen Projekttage. Die sind zunehmend stark nachgefragt, erzählt Vera. Für den Rest des Jahres sind die Ehrenamtlichen bereits ausgebucht. «Leider sind diese Projekttage nicht verpflichtend. Viele Schulen nehmen sie darum gar nicht in Anspruch.»
Hooligan sitzt im Stadtrat Zum IDAHIT (so inter-inklusiv nennt man hier den IDAHOT) hat die LAG eine Aktionswoche veranstaltet und war sieben Tage lang jeden Tag in einer anderen «schwierigen Kleinstadt», wie Vera sagte, mit einem Infostand auf dem Markt. Manche Bürger*innen gingen murrend vorbei. Richtig bedrohlich war der Tag in Wurzen, dort gib es eine rechte Vereinigung, die seit Mai auch Stadtrat sitzt: Das Neue Forum für Wurzen stellt nun drei Parlamentarier, einer davon ist als Hooligan stadtbekannt.
Wir konnten nicht vom Bahnhof ohne Polizeibegleitung zu dem Platz gehen
Nachdem das LAG seinen Infostand angemeldet hatte, erfuhren Vera und ihre Kolleg*innen, dass das Neue Forum am selben Tag zur selben Zeit am selben Ort sein würde, um dort eine Wahlkampfveranstaltung zu machen. Es brauchte viele Gespräche mit der Polizei, um die beiden Veranstaltungen räumlich zu entzerren. «Es war dann trotzdem sehr bedrohlich: Wir konnten nicht vom Bahnhof ohne Polizeibegleitung zu dem Platz gehen», erzählt Vera.
Passiert ist in Wurzen nichts, aber Gewalt gegen LGBTIQ ist in Sachsen ein Thema. Das ist schon länger bekannt, aber bisher liess sich das nicht mit Zahlen belegen. Zwischen 2001 und 2017 registrierte der Kriminalpolizeiliche Meldedienst im Bereich Hasskriminalität für das Unterthema Sexuelle Orientierung lediglich 55 Fälle in ganz Sachsen. Von Seiten des sächsischen Innenministeriums hiess es bisher stets, es gebe im Freistaat kein Problem mit Gewalt gegen LGBT. Die Zahlen sind gering, also sehen wir keinen Grund, Massnahmen zu ergriffen, so die Begründung. «Aber das ist eine Tautologie», sagt Vera. «Die Zahlen sind so gering, weil niemand Massnahmen ergreift. Deshalb mussten wir nachweisen, dass es diese Fälle gibt.» Das hat die LAG auch getan.
1672 Fälle vorurteilsmotivierter Gewalt binnen fünf Jahren Seit Juni liegt nun eine Dunkelfeldstudie auf dem Tisch, deren Co-Autorin Vera ist. Darin berichteten homo- bi oder transsexuelle Personen von insgesamt 1672 Fällen vorurteilsmotivierter Gewalt in den vergangenen fünf Jahren: Davon waren 198 Erfahrungen mit schwerer oder leichter Körperverletzung, in 868 Fällen ging es um Beleidigungen sowie Eigentumsdelikten, Bedrohungen und Stalking. Nur angezeigt werden solche Fälle viel zu selten, offenbar fehlt das Vertrauen in die sächsische Polizei.
Brutal töteten sie schwulen Mann: Urteil wegen Totschlags
Zu den Forderungen der LAG auf Basis der Studie gehören die Schaffung von LGBTIQ-Ansprechpartnern bei der Polizei und eine verbindliche Sensibilisierung von Polizeibeamten für LGBTIQ. Dass solche Massnahmen unter einer Regierung mit AfD-Beteiligung Wirklichkeit werden, ist schwer vorstellbar.
Mehr zur Wahl in Sachsen und zur Situation der LGBTIQ-Vereine im Freistaat steht in der September-Ausgabe der MANNSCHAFT (Deutschland): Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.
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