Kurienkardinal erzürnt deutsche Bischöfe mit Nazi-Vergleich
Es geht u.a. um die katholische Sexualmoral
Der Streit zwischen dem Vatikan und den deutschen Katholiken um den Reformkurs Synodaler Weg hat eine neue Stufe erreicht: Jetzt zieht ein römischer Kurienkardinal einen direkten Vergleich zu den deutschen Katholiken in der Nazizeit.
Von Christine Schultze und Christoph Driessen, dpa
Ungewöhnlich scharf hat die Deutsche Bischofskonferenz einen Nazi-Vergleich des Schweizer Kurienkardinals Kurt Koch zurückgewiesen. «Die Vollversammlung der Bischöfe hat mit Entsetzen auf diese Äusserung reagiert, mit der sich Kardinal Koch in der theologischen Debatte disqualifiziert», sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, am Donnerstag in der Abschluss-Pressekonferenz zur Herbstvollversammlung der Bischöfe in Fulda. Es handele sich um eine «völlig inakzeptable Entgleisung». Bätzing forderte eine umgehende öffentliche Entschuldigung von Koch und drohte andernfalls eine offizielle Beschwerde beim Papst an.
Koch ist ein einflussreiches Mitglied der römischen Zentralverwaltung der katholischen Weltkirche, der Kurie. In einem Interview der konservativen katholischen Tagespost hatte der ehemalige Bischof von Basel dazu Stellung genommen, inwieweit die katholische Lehre gegebenenfalls aufgrund von neuen Erkenntnissen weiterentwickelt und angepasst werden kann. Er sagte dazu: «Es irritiert mich, dass neben den Offenbarungsquellen von Schrift und Tradition noch neue Quellen angenommen werden; und es erschreckt mich, dass dies – wieder – in Deutschland geschieht. Denn diese Erscheinung hat es bereits während der nationalsozialistischen Diktatur gegeben, als die sogenannten ‹Deutschen Christen› Gottes neue Offenbarung in Blut und Boden und im Aufstieg Hitlers gesehen haben.»
Bätzing sagte, Koch versuche schon seit einiger Zeit, den derzeitigen Reformprozess der deutschen Katholiken, den Synodalen Weg, zu delegitimieren. So habe er die Mitglieder der Synodalversammlung mehrheitlich als Funktionäre bezeichnet. «Im Sinne der Sache und im Sinne der Gläubigen der katholischen Kirche in Deutschland, die sich im Synodalen Weg engagieren, erwarte ich von Kardinal Koch eine öffentliche Entschuldigung für diese völlig unakzeptable Weise einer Formulierung», sagte Bätzing. «Wenn diese öffentliche Entschuldigung nicht umgehend geschieht, werde ich eine offizielle Beschwerde beim Heiligen Vater einreichen.»
Die Äusserungen von Koch – wiewohl im Ton beispiellose – stehen nicht für sich, sondern fügen sich in eine Serie von Angriffen des Vatikans gegen den Synodalen Weg ein. Zuletzt hatte der päpstliche Botschafter in Berlin, Nikola Eterović, die Bischöfe in einem Grusswort zu Beginn ihres Treffens in Fulda vor «Parlamentarismus» gewarnt. Ausserdem erinnerte er sie daran, dass der Vatikan kürzlich erklärt hatte, der Synodale Weg sei «nicht befugt», die Leitungsstruktur oder die Lehre der Kirche zu verändern. Der Synodale Weg strebt Veränderungen in vier Bereichen an: der Position der Frau in der Kirche, der katholischen Sexualmoral, dem Umgang mit Macht und der priesterlichen Ehelosigkeit (Zölibat).
Vor drei Wochen war in der Vierten Synodalversammlung in Frankfurt der Grundtext «Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik» an der fehlenden Zwei-Drittel-Mehrheit der deutschen Bischöfe gescheitert (MANNSCHAFT berichtete). Hier gab es richtungsweisende Bekenntnisse – zu einer Sexualität, die als Geschenk Gottes verstanden wird und nicht als ein Ort, in dem Menschen mit strengen traditionellen Moralvorstellungen bevormundet werden, zu einer Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identität, die Menschen einbindet, in dieser Vielfalt respektiert und akzeptiert und nicht ausgrenzt und abwertet.
Bätzing sagte, aus Kochs Äusserungen spreche letztlich «pure Angst, dass sich etwas bewegt». Er könne jedoch versprechen: «Es wird sich etwas bewegen, und das wird auch Kardinal Koch – schon gar nicht durch solche Äusserungen – aufhalten können.» Die deutschen Katholiken stünden mit diesen Anliegen auch keinesfalls allein. Die Eingaben für die von Papst Franziskus einberufene Weltsynode zeigten, dass diese Fragen auch in vielen anderen Ländern akut seien. Viele Jahrzehnte sei das alles nicht angesprochen und verdrängt worden, doch das ändere sich gerade: «Der Druck ist so gross, dass es dann auch so eine starke Emotionalität gibt, wenn der Pfropf endlich rausfliegt, ist doch eigentlich kein Wunder.»
Bei der vierten Synodalversammlung Anfang dieses Monats in Frankfurt/Main war einer der Grundtexte zur Erneuerung der katholischen Sexualmoral gescheitert, weil er nicht die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit der deutschen Bischöfe erhalten hatte. Dass es unter den Bischöfen auch Konservative gebe, die die angestrebten Reformen nicht mittragen könnten, sei aber nicht verwunderlich, sagte Bätzing: «Wir sind doch als Bischofskonferenz nicht anders als die Gesellschaft insgesamt.» Die Bischöfe hätten «eigentlich einen Konsens darüber, dass es Dissens gibt und dass wir damit gut umgehen möchten».
Mit dem Synodalen Weg lege man «mit all unserer argumentatorischen und geistlichen Kraft Vorschläge vor für Veränderungen des kirchlichen Lebens in unserem eigenen Land», sagte Bätzing: «Dafür ist die Synodalität die entscheid Türangel, an der alles hängt.»
Im März soll der Reformprozess mit der fünften Synodalversammlung abgeschlossen werden. Anschliessend wollen die deutschen Katholiken einen Teil der Reformen in Eigenverantwortung selbst umsetzen und grundlegende Fragen zur weiteren Besprechung an die in Rom geplante Weltsynode weiterreichen. Das synodale Gespräch zwischen Bischöfen und Laien in Deutschland soll auf Dauer fortgesetzt werden
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