Kilian Jerome: «In der Community fehlt es an Offenheit»

Der 26-jährige Walliser veröffentlicht den Song «The Beauty of Diversity»

Kilian Jerome stand bei «Die grössten Schweizer Talente» auf der Bühne. (Bild: zvg)
Kilian Jerome stand bei «Die grössten Schweizer Talente» auf der Bühne. (Bild: zvg)

Andere Hautfarbe, andere Sexualität: Newcomer Kilian Jerome über seine erste Single «The Beauty of Diversity» und wie es ist, als Adoptivkind in den Alpen aufzuwachsen.

Erfahrungen im Showbusiness sammelte Kilian Jerome mit der Castingshow «Die grössten Schweizer Talente». Nun veröffentlicht der 26-jährige Walliser, der bürgerlich Kilian Imwinkelried heisst, mit «The Beauty of Diversity» seinen ersten Song. Damit will er die Vielfalt feiern und die Gesellschaft zu mehr Offenheit animieren.

Kilian, wie ist dein Song «The Beauty of Diversity» entstanden? Im Lockdown ging es mir nur mässig gut. Ich dachte mir: «Jetzt muss ich etwas machen, sonst halte ich das nicht mehr aus.» Der Produzent Sergio Fertitta und ich wollten schon lange gemeinsam etwas auf die Beine stellen, also fand ich: Warum nicht jetzt? Er kennt mich schon lange und weiss, dass ich schwul bin und aufgrund meiner Hautfarbe schon zu kämpfen hatte. Mir war es wichtig, im Song meine Vergangenheit zu spiegeln und die Vielfalt auf eine Art zu zelebrieren, damit sich auch Heterosexuelle identifizieren können. Denn schliesslich sind wir alle in irgendeiner Weise vielfältig. Sergio hat es geschafft, alles in einen Song reinzupacken.

Was ist die wichtigste Songzeile für dich? Da gibt es viele! Zum Beispiel «Life made me see the beauty of diversity». Nicht nur die guten, sondern besonders auch die schlechten Erfahrungen in meinem Leben haben mir gezeigt, dass wir unsere Andersartigkeit respektieren und feiern müssen.

Du bist in den Bergen, im Wallis aufgewachsen. Wie war deine Jugend? Es war schwierig für mich, denn ich wollte meine Sexualität lange nicht wahrhaben. Ich habe in Musicals mitgewirkt und musste erfahren, dass für viele Menschen das alleine schon reichte, um mich als «schwul» abzustempeln. Das ist schon krass. Ich befand mich lange in Behandlung, auch aufgrund meiner Hautfarbe, und habe gelernt, damit umzugehen. Sonst wäre ich heute nicht dort, wo ich bin. Diese Phase musste ich durchmachen und sie ist heute ein Teil von mir, aber ich bin froh, ist sie jetzt durch.

Kilian Jerome stand bei «Die grössten Schweizer Talente» auf der Bühne. (Bild: zvg)
Kilian Jerome stand bei «Die grössten Schweizer Talente» auf der Bühne. (Bild: zvg)

Was möchtest du jemandem mitgeben, der sich gerade in einer solchen Phase befindet? Hab keine Angst und sei dich selbst – das ist das Allerwichtigste, das ich gelernt habe. Solange du nicht mit dir selbst im Reinen bist und dich selbst nicht magst, wirst du immer gegen eine Wand laufen. Hol dir den Mut bei Menschen, bei denen du dich wohlfühlst.

Wie erlebst du die Bewegungen rund um George Floyd in den USA und in Europa? Ich verfolge das natürlich eng mit, bin aber nicht der Typ, der auf der Strasse demonstriert. Ich setze lieber ein Zeichen, indem ich eben Songs wie «The Beauty of Diversity» produziere.

Vorfälle wegen meiner Hautfarbe gibt es in meinem Alltag immer wieder. Mein schlimmstes Erlebnis war in Brig im Zug, der erste Halt nach Italien. Als Grenzpolizisten mich sahen, kamen sie sofort auf mich zu und forderten mich im schlechtesten Englisch auf, meinen Pass vorzuweisen. Im breiten Walliserdeutsch sagte ich ihnen dann: «Ein bisschen Anstand und Respekt wäre angebracht. Sie können auch ganz normal mit mir umgehen.» Die haben schön blöd geguckt. Einen solch primitiven Umgang lasse ich nicht auf mir sitzen.

Kilian Jerome wuchs in Fiesch im Kanton Wallis auf. (BIld: zvg)
Kilian Jerome wuchs in Fiesch im Kanton Wallis auf. (BIld: zvg)

Erlebst du Rassismus auch in der Community? Offenheit fehlt definitiv auch in der Community. «Du bist mega sympathisch, aber ich stehe nicht auf Dunkelhäutige» höre ich in den Chats immer wieder.

Wie gehst du damit um? Ich sage mir selber: Es ist es nicht wert – ihr Verlust, nicht meiner. Mittlerweile kann ich das gut einstecken.

Du bist in São Paulo geboren und wurdest adoptiert. Wie hast du deine Identitätssuche erlebt? Ich wusste natürlich schon immer, dass ich adoptiert wurde. Als Kind wollte ich aber absolut nichts über meine leiblichen Eltern wissen, wohl aus einer Angst, die adoptiere Kinder immer wieder haben. Wurde ich weggegeben, weil man mich nicht wollte? Meine Adoptiveltern waren sehr verständnisvoll und fragten mich immer wieder, ob ich mehr über meine Wurzeln erfahren wollte. Mit 24 Jahren war ich schliesslich soweit und meine Eltern beschlossen, zu ihrem 30. Hochzeitstag gemeinsam mit mir nach Brasilien zu reisen. Der Namen meiner leiblichen Mutter war meinen Eltern bekannt und so entdeckte ich im Internet per Zufall ein Interview mit einer Frau in São Paulo, die genauso aussah wie ich – ich war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Darauf schrieb ich der Journalistin und erzählte ihr meine Geschichte.

Ein aussergewöhnlicher Zufall. Nicht wahr? Die Stadt zählt über 10 Millionen Einwohner*innen! Jedenfalls schrieb mir die Journalistin zurück und sagte mir, dass sie sich für mich auf die Suche nach dieser Frau machen würde. Lange hörte ich dann nichts von ihr, bis ich dann mit meinen Eltern nach Brasilien reiste. Ich meldete mich nochmals bei ihr und sagte ihr, dass ich nun in São Paulo sei. Auf einmal rief sie mich an: «Wo bist du? Ich habe deine Mutter gefunden!»

Lange wusste ich nicht, wieso ich so anders bin.

Es war also wirklich deine Mutter. Aus Scham hatte sie es lange abgestritten, bis die Journalistin ihr mein Foto zeigte. Dann konnte sie nicht mehr und gab es zu. Ich sah aus wie ihre anderen Kinder, wie mein älterer Bruder, der vor Kurzem in den Favelas ermordet worden war. Noch am selben Abend trafen wir uns im Hotel. Am Anfang war ich wie versteinert und brachte kein Wort heraus. Bis es mich auf einmal packte und ich darauf losheulte. Gemeinsam lachten und weinten wir.

Stehst du heute noch in Kontakt mit ihr? Fast jeden Tag, sofern sie eine Internetverbindung hat. Letztes Jahr besuchte ich sie wieder. Was mir in Erinnerung bleibt, ist das Einkaufen. Für rund 100 Franken deckte ich die Familie mit Lebensmittel und Hygieneartikel ein. Sie kann sich nicht einmal Binden leisten und wusste nicht, wie man ein Deo öffnet. Das war ein grosser Schock für mich.

Was hast du in Brasilien über dich gelernt? Lange wusste ich nicht, wieso ich so anders bin. Das Musikalische, das Tanzen, offen auf Menschen zugehen … ich kannte niemand im Wallis, der so war. Jetzt weiss ich, dass ich in Brasilien eine ganze Familie habe, die so ist.

«Jung und schwul zu sein, ist nicht immer einfach»

Wie sehen deine nächsten Pläne aus? Zurzeit sind zwei weitere Songs in Produktion. Vielleicht versuche ich es nochmals mit einer Castingshow. Mit Auftritten ist es mit der momentanen Corona-Situation natürlich schwierig. Irgendwo als Vorgruppe aufzutreten wäre cool, oder nächstes Jahr an der Zurich Pride auf der Bühne zu stehen.

«The Beauty of Diversity» von Kilian Jerome ist jetzt via Apple Music, Spotify und Youtube erhältlich.

Über Rassismus im Alltag und seine Erfahrungen in der Community spricht auch der Berliner Jonathan Gregory (MANNSCHAFT berichtete). «In Gremien muss ich doppelt so eloquent wirken, damit ich ernst genommen werde», erzählt er.

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