in ,

Kaum Angebote zu sexueller Gesundheit für Trans und Nicht-binäre

Es liegen erstmals Daten vor

Arzt
Foto: Pixabay

Eine Studie der Deutschen Aidshilfe und des Robert Koch-Instituts zur sexuellen Gesundheit von trans und nicht-binären Menschen deckt eklatante Versorgungslücken auf – und weist den Weg zu besseren Angeboten.

Medizinische Einrichtungen und Beratungsstellen zu Fragen der sexuellen Gesundheit in Deutschland sind auf trans und nicht-binäre Menschen nicht ausreichend vorbereitet. Dabei unterliegen diese besonderen Risiken und sind zum Beispiel deutlich häufiger von HIV betroffen als der Durchschnitt der Bevölkerung (0,7 statt 0,1%).

🆕Erste Daten zur sexuellen Gesundheit und #HIV/sexuell übertragbaren Infektionen in trans und nicht-binären Communitys in Deutschland.
Die #TASG-Studie des #RKI und der @Aidshilfe_de liefert erstmals quantitative und qualitative Daten.
Die Ergebnisse und weitere Informationen ⬇️

— Robert Koch-Institut (@rki_de) May 15, 2023

Das sind die zentralen Ergebnisse der Studie «Sexuelle Gesundheit und HIV/STI in trans und nicht-binären Communitys» der Deutschen Aidshilfe und des Robert Koch-Instituts (RKI), deren Abschlussbericht an diesem Montag veröffentlicht wurde.

Damit liegen laut einer Mitteilung der Deuschen Aids-Hilfe erstmals Daten und wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse zur sexuellen Gesundheit dieser vielfältigen Gruppen in Deutschland vor. Der Abschlussbericht gibt ausserdem Empfehlungen, wie Lücken geschlossen und die Qualität der Versorgung gesteigert werden könnten.


«Mit Blick auf HIV und Geschlechtskrankheiten ist ein leichter Zugang zu kompetenten Angeboten für Beratung, Tests und Behandlung unverzichtbar. Trans und nicht-binäre Menschen können sich darauf in Deutschland noch nicht verlassen. Sie müssen mit Unwissenheit und Diskriminierung rechnen – und damit, dass sie schlicht nicht mitgedacht werden. Das muss sich dringend ändern!», sagt Sylvia Urban vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe.


Sextoys, Gummis und Massageöle: Zu Besuch bei Madame Condomeria in Zürich. Wie hat sich das Bewusstsein für Sex und Lust in der Gesellschaft entwickelt? (MANNSCHAFT+)


Für die genannte Studie befragte das Robert Koch-Institut mehr als 3.000 Menschen mit einem Online-Fragebogen. Die Deutsche Aidshilfe sprach in Workshops und Interviews mit 59 Personen ausführlich über ihre Erfahrungen. Die gemeinsame Studie wurde partizipativ durchgeführt: Die Zielgruppen waren in jede Phase des Forschungsprojektes eingebunden, die Forschenden gehörten teilweise selbst zu den erforschten Communitys.


Die Ergebnisse bestätigen, was in der internationalen Forschung bereits bekannt war: Trans und nicht-binäre Menschen sind generell erhöhten gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Psychische Belastungen entstehen etwa durch Diskriminierungserfahrungen und Stigmatisierung, aber auch, weil der eigene Körper oder bestimmte Körperteile als unpassend empfunden werden (Geschlechtsdysphorie). Die physische Gesundheit ist zum Beispiel durch fehlende Kompetenz bei Ärzt*innen gefährdet.

Sexualität ist für trans und nicht-binäre Menschen ein besonders sensibles Thema. Eine wichtige Rolle spielt für viele der Aushandlungsprozess, welche Art von Sexualität stattfinden soll und welche Körperteile beteiligt sein dürfen und welche nicht. Das sexuelle Wohlbefinden wird oft beeinträchtigt durch Angst vor Ablehnung und Diskriminierung sowie verinnerlichte Abwertung und Erwartungshaltungen.


WHO hebt Gesundheitsnotstand wegen Affenpocken auf: Das Virus könnte sich verändern und ansteckender werden, hiess es noch vor einer Woche 


So gaben 79% in der Online-Befragung an, dass sie schon mindestens einmal das Gefühl hatten, in sexuellen Situationen ihre Geschlechtsidentität durch ihr Verhalten beweisen zu müssen. 55% fällt es nicht leicht, ihre Bedürfnisse beim Sex zu äussern und diesen aktiv mitzugestalten. 31% der online Befragten fällt es schwer, Nein zu Sex zu sagen, den sie nicht möchten. Einige Teilnehmer*innen berichteten, dass sie sich nicht trauten, auf ihre Safer-Sex-Wünsche zu bestehen.

«Mein Körper ist schon ein Umstand für die andere Person, da mag ich nicht noch weitere Forderungen stellen», erklärt eine befragte Person in der qualitativen Studie.

Beratung von trans und nicht-binären Menschen müsse daher psychosoziale Komponenten besonders berücksichtigen und dabei unterstützen, ein positives Selbstbild zu entwickeln, die eigene Sexualität zu erkunden und zu entwickeln sowie Bedürfnisse zu äussern und durchzusetzen.

Trans und nicht-binäre Menschen träfen jedoch auf ein Gesundheitssystem, das sich noch immer fast ausschliesslich an der überkommenen Einteilung in lediglich zwei Geschlechter orientiere – vom Aufnahmebogen über Beratung und Medikation bis zur Abrechnung.

Lediglich 32% gaben an, dass bei ihrer letzten Beratung zu HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen der selbstgewählte Name, die geschlechtliche Identität und das gewünschte Pronomen erfragt wurden. Werden Anamnesebögen geschlechtsspezifisch verteilt, stimmen die darauf abgebildeten Genitalien und Schleimhäute oft nicht mit den körperlichen Gegebenheiten der Ratsuchenden überein. Ein strukturelles Hindernis bestehe zum Beispiel, wenn Gynäkolog*innen die Gebärmutterhalskrebsvorsorge nicht abrechnen können, weil bei der Krankenkasse das Geschlecht männlich gespeichert ist.

Auch in der Beratung mangele es oft an entscheidenden Kenntnissen: Wenn eine beratende Person zum Beispiel nicht wisse, dass einige trans Männer aufnehmenden Vaginalsex praktizieren, kann das bei der Beratung zur HIV-Prophylaxe PrEP gefährliche Folgen haben: Für aufnehmenden Vaginalverkehr gelte ein besonderes Einnahmeschema, weil es länger dauert, bis sich in der Vaginalschleimhaut ein ausreichender PrEP-Schutz aufgebaut hat.

«Auf trans und nicht-binäre Menschen sind weder Mediziner*innen noch Berater*innen ausreichend vorbereitet. Sie fühlen sich im Medizinsystem deswegen oft nicht willkommen und gesehen, sondern gefährdet. Wenn Ratsuchende zunächst ihre Berater*innen aufklären müssen, ist das kontraproduktiv und inakzeptabel», sagt Projektleitung Chris Spurgat.

Nicht spezialisierte Angebote würden dementsprechend häufig mit Skepsis betrachtet und mit Erwartungen von Diskriminierung, fehlender Sensibilität und mangelndem Fachwissen zu trans und nicht-binären Körpern verknüpft. 17% der online Befragten gaben an, sie hätten aus Angst vor Diskriminierung bereits auf bestimmte Leistungen verzichtet, etwa auf Beratung zu Fragen sexueller Gesundheit oder Tests auf HIV und andere sexuelle übertragbare Infektionen. Das könne lebensgefährliche Folgen haben, etwa, wenn HIV-Infektionen unbehandelt blieben oder Krebserkrankungen erst spät entdeckt würden.

Ich kenne viele trans Personen, die seit Jahren keine Vorsorgeuntersuchungen gemacht haben.

«Ich kenne viele trans Personen, die seit Jahren keine Vorsorgeuntersuchungen gemacht haben, gynäkologische zum Beispiel, weil es nicht funktioniert. Sie bleiben zu Hause, obwohl sie Beschwerden haben», fasst eine in der Beratung tätige Person das Problem zusammen.

Um etwas an der desolaten Situation zu verändern, gebe der Abschlussbericht Empfehlungen für eine bessere Versorgung für trans und nicht-binäre Menschen. Zentrale Punkte seien aus Sicht der Deutschen Aidshilfe z.a. mehr Test- und Beratungsangebote speziell für trans und nicht-binäre Menschen – communitynah und mit Profis, die selbst aus den adressierten Gruppen stammen sowie
– Das Thema muss in der Ausbildung und bei Fortbildungen für medizinisches und beraterisches
Personal berücksichtigt werden. Dringend erforderlich seien flächendeckende Grundlagenschulungen.

Nicht zuletzt spiele die medizinische Versorgung von trans und nicht-binären Personen bezüglich Transitionen auch eine wichtige Rolle für ihre sexuelle Gesundheit. Ein diskriminierungsfreier Zugang müsse sichergestellt, Hürden müssen abgebaut werden, heisst es in der Presssemitteilung der DAH.

«Das Recht auf vollständige Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Massnahmen muss gesetzlich verankert werden, wie es die Bundesregierung im Aktionsplan Queer Leben versprochen hat», sagt DAH-Vorstand Sylvia Urban.

«Was benötigt wird, ist jetzt wissenschaftlich genau beschrieben. Nun liegt der Ball bei der Politik, den Bundesbehörden und medizinischen Einrichtungen sowie Test- und Beratungsangeboten gleichermassen. Auf allen Ebenen gibt es grossen Handlungsbedarf!», so Urban.


Tatort

Tod des schwulen Drogenkuriers – «Tatort» wieder Quotensieger

Regenbogen

Frankreich: Fussballer wollen Regenbogen-Trikot nicht tragen