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In Kinderbüchern sollte das Anderssein nicht unterstrichen werden

Bild: PeopleImage/iStock

Kinderbuchexpertin Elisabeth Eggenberger spricht mit der Mannschaft über Kinderbücher mit LGBT-Inhalten und erklärt, warum das Thema Andersartigkeit mit Vorsicht angegangen werden sollte.

Frau Eggenberger, was macht ein gutes Kinderbuch aus?
Eine schwierige Frage, die man mit einer Vielzahl von weiteren Fragen beantworten kann. Grundsätzlich sind die Kriterien zur Wahl eines Kinderbuches dieselben wie bei einem Buch für Erwachsene. Für wen ist das Buch bestimmt? Ist die Sprache klar und verständlich, ist die Handlung stilistisch spannend gestaltet? Ist das Buch zum Vorlesen gedacht, und wenn ja, holpert es nicht beim Erzählen? Sowohl die erzählende Person als auch das zuhörende Kind sollen aus der Lektüre etwas gewinnen können. Wenn es dem Erwachsenen keinen Spass macht, wird es beim Kind auch nicht der Fall sein. Die Geschichte braucht einen Spannungsbogen, angerissene Themen müssen aufgelöst werden.

Bei einem Bilderbuch nicht zu vergessen ist der künstlerische Aspekt. Interagieren Text und Bild? Geben Illustrationen bloss die Handlung wieder oder fügen sie eine weitere Ebene hinzu? Wichtig sind auch der Stil und die Farben. Diese vermitteln die Stimmung.

Elisabeth Eggenberger ist Redaktorin der Zeitschrift «Buch&Maus» beim Schweizerischen Institut für Kinder-
und Jugendmedien SIKJM.

Haben sich Kinderbücher in den letzten fünfzig Jahren stark verändert?
Definitiv. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand bei Kinderbüchern die Darstellung einer heilen Welt im Zentrum. Um 1968 folgte ein grosser Einschnitt in der Kinder- und Jugendliteratur. Themen wie Scheidung und Gewalt kamen aufs Tapet, aber auch literarisch machte das Kinderbuch einen grossen Wandel durch. Man begann, Geschichten aus der Perspektive des Kindes zu erzählen. Wie geht es ihm, was geht in ihm vor?


Die Kinderliteratur reagiert grundsätzlich sehr schnell auf gesellschaftliche Themen. Menschen auf der Flucht sind gegenwärtig ein grosses Anliegen. Eine ganz neue Entwicklung ist das Thema Transgender. Allerdings muss man sagen, dass der Markt für Kinder- und Jugendbücher sehr gross und differenziert ist. Im deutschsprachigen Raum alleine erscheinen im Jahr zirka 8500 Bücher zu den verschiedensten Themen. Natürlich liegen im Buchhandel nicht alle vorne in der Auslage. Um das richtige Buch für ein bestimmtes Kind zu finden, muss man manchmal etwas suchen.

«Eine ganz neue Entwicklung bei Kinderbüchern ist das Thema Transgender.»

Welche Rolle nimmt das Buch bei Kindern im Vorschulalter ein?
Kinder reagieren sehr gut auf Bücher und Geschichten. Das Buch soll zum Gesprächsanlass werden. Gemeinsam mit einem Kind ein Buch zu entdecken und an die eigenen Erlebnisse anzuknüpfen, ist ein passender Ansatz, um ein Thema anzugehen. Sehr wichtig ist aber auch, dass ein Buch nicht nur Mittel zum Zweck ist: Es darf und soll auch einfach Freude bereiten.

Sind Regenbogenfamilien und gleich­geschlechtliche Paare ein relativ neues Phänomen bei Kinderbüchern?
Solche Bücher finden sich vermehrt ab den Nullerjahren. Vorher gab es nur sehr vereinzelte Titel.


Gibt es bei diesen Büchern einen bestimmten Trend?
Im letzten Jahr ist mir aufgefallen, dass immer mehr gleichgeschlechtliche Paare in Kinder- und vor allem auch in Jugendbüchern vorkommen, ohne dass diese Lebensweise explizit thematisiert würde. Das zeugt von einer gewissen Selbstverständlichkeit – eine spannende und sehr schöne Entwicklung.

Viele hoffen, dass Kinder durch solche Bücher einen selbstverständlichen Umgang mit alternativen Lebensweisen und Familien­formen erhalten. Ist das so einfach?
Natürlich können Bücher nicht reale Erfahrungen ersetzen. Aber Bücher können dabei helfen, eine Vielfalt von Lebensformen kennen zu lernen und sich in die Protagonisten/-innen hineinzuversetzen. Für Kinder ist es wahnsinnig wichtig, dass sie dazugehören und sich in einer Erzählung wiederfinden können. Es ist daher wichtig, dass alle Kinder sich repräsentiert fühlen können.

«Jedes Kind ist auf irgendeine Art anders.»

Worauf muss man achten, wenn man ein Buch mit dieser Thematik für ein Kind oder für den Kindergarten auswählt?
Eher ungünstig finde ich, wenn das Anderssein unterstrichen wird. Überspitzt formuliert: «Du bist in Ordnung, obwohl du anders bist» oder «du hast zwei Papas, aber wir haben dich trotzdem lieb». Wie ich vorhin schon erwähnt habe, verfügen Kinder über einen starken Drang, dazugehören zu wollen. Statt die Unterschiede aufzuzeigen, wäre es besser, die Gemeinsamkeiten hervorzuheben, denn jedes Kind ist auf irgendeine Art anders.

Einen sehr schönen Ansatz liefert das Buch «Alles Familie!» von Anke Kuhl und Alexandra Maxeiner. In diesem Sachbilderbuch werden viele Familien vorgestellt, darunter Regenbogen- und Patchworkfamilien, aber auch traditionelle Familienformen und alleinerziehende Elternteile. Das Anderssein, das hier angesprochen wird, bezieht sich nicht auf die Familienkonstellation. Einige Familien sind laut, andere eher leise. In einigen Familien unternimmt man gerne etwas, andere machen sich lieber einen schönen Tag zuhause. Aber der Ausgangspunkt ist derselbe: Alles sind Familien.

Ihre Mutter hatte Hanna nie kennengelernt. «Also wurde ich adoptiert! Von Papa Paul und Papa Konrad!» («Das Zebra unterm Bett»)

Oft sind es Bücher aus Eigenverlagen, die Homosexualität und Regenbogenfamilien thematisieren.  Kann jeder ein Kinderbuch schreiben?
Es ist wunderbar, dass jeder sein eigenes Buch verlegen kann. Hinter diesen Büchern stecken sehr engagierte Menschen, die eine Geschichte zu erzählen haben. Hingegen gelten beim Lektorat eines Kinderbuchverlags hohe Qualitätsstandards. Eine Geschichte wird über einen längeren Zeitraum überarbeitet und verfeinert – das fehlt bei einem Selbstverleger. Wirklich tolle Bücher aus Eigenverlagen sind daher selten.
Ein Kinderbuch in einem Eigenverlag herauszugeben, ist aber eine Alternative für Debütanten, die unbedingt ein eigenes Buch in den Händen halten wollen, da Verlage von Manuskripten oft überschwemmt werden.

Gibt es Bücher zum Thema, die Sie unseren Lesern empfehlen können?
Da wäre zum Beispiel «Das Zebra unterm Bett» zum Selberlesen ab der zweiten Klasse. Wir erleben die kleine Hanna, die eines Morgens ein Zebra unter dem Bett findet. Das Zebra fragt, ob Hanna immer bei offenem Fenster schlafe. Sie nickt: Ihre Papas sagen, nur bei frischer Luft könne man gut schlafen. «Deine Papas?» «Ich hab zwei davon.» «Was fürn Glück!» «Ja, find ich auch», erwidert Hanna. Im Buch wird die Regenbogenfamilie am Rande erwähnt, ohne zu sagen «sitz mal hin, wir müssen über etwas reden».

Ein anderes ist das Bilderbuch «Luzie Libero und der süsse Onkel». Es handelt von einem Mädchen, das Fussball spielt und gerne Zeit mit ihrem Onkel verbringt. Wäre da nicht immer dieser Mann, der ihn begleitet und die kleine Luzi nervt. Als sie jedoch erfährt, dass er gut Fussball spielt, gewinnt sie ihn lieb. Die eigentliche Thematik dieses Buches ist Eifersucht und eignet sich besonders zum Vorlesen, ohne mit dem Finger auf den Onkel und seinen Partner und deren Andersartigkeit zu zeigen.

Die Thematik in «Luzie Libero und der süße Onkel» ist nicht die gleichgeschlechtliche Beziehung des Onkels, sondern die Eifersucht der kleinen Luzie. Sie will ihren Onkel mit niemandem teilen.

In welche Richtung entwickeln sich Kinderbücher im Allgemeinen?
Eine schwierige Frage. Wie ich vorhin schon erwähnt habe, ist der Kinderbuch­markt sehr vielfältig und differenziert sich immer mehr aus. Es gibt sehr kunstvolle und anspruchsvolle Kinderbücher, aber auch sehr schnell und unsorgfältige gemachte 08/15-Bücher, Massenware der Globalisierung.
Die Kinderliteratur ist die Sparte des Buchhandels, die im Gegensatz zu den Erwachsenenbüchern sogar leicht zulegt. Man schenkt dem Patenkind immer noch lieber ein Buch als ein E-Book.


Besser angezogen fürs stilvolle Dinner

Selbstversuche, Studentenpartys, Sex