«In der Ukraine gilt es, auch LGBTIQ Rechte zu verteidigen»
Ein Einmarsch Russlands soll bevorstehen
Von US-Seite war der heutige Mittwoch als Tag eines möglichen Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine genannt worden. Dies sei noch immer möglich, hiess es am Dienstag aus westlichen Sicherheitskreisen. Allerdings könne ein Angriff jederzeit passieren, es sei wichtig, sich nicht zu sehr auf ein Datum zu fokussieren.
«Selbst für Experten ist es schwer vorherzusagen», sagt Viktor Pylypenko gegenüber MANNSCHAFT. Russlands Präsident Putin habe soviel Macht auf sich konzentriert; nur er könne wissen, wie es weitergeht. Viktor hat im Jahr 2018 die «Vereinigung von LGBT-Soldaten, Veteranen und Freiwilligen» gegründet und gilt als erster offen schwuler Kriegsveteran der Ukraine (MANNSCHAFT+)
«Ich fürchte aber, dass dieser Einmarsch kommt. Wir können nicht leichtfertig mit der Bedrohung umgehen.» Es seien schliesslich Hundertausende Soldaten nahe der Grenze zur Ukraine aufgezogen.
Wie geht man damit um, wenn man fast täglich damit rechnen muss, dass es zum Krieg kommt? «Wir versuchen die gesunden Instrument des Körpers einzusetzen: Humor zum Beispiel. Wir lachen über diese Invation. Aber beängstiend ist es allemal.»
Sollte es Krieg geben, wird er kämpfen. Veteranen wie er, die Kampferfahrung haben, stehen an vorderster Stelle, eingezogen zu werden. «Ich wollte ursprünglich gar keine militärische Karriere anstreben», sagt er. Genauso wenig wollte er in den Krieg ziehen, wie nach dem Einmarsch 2014. «Krieg ist ein Desaster. Jeden Tag werden Menschen verletzt oder getötet.» Er hat sich damals als Freiwilliger an der Front gemeldet und fast zwei Jahre in dem Krieg gekämpft. Als Gewehrschütze, Sanitäter und Bediener von Granatwerfern übernahm er im Freiwilligenbataillon Donbass gleich mehrere Aufgaben.
Und jetzt wird er es wieder tun, wenn es nötig ist. «Ich muss meine Familie und meine Freunde verteidigen.» Darüber hinaus gilt es es auch, LGBTIQ-Rechte und andere Errungenschaften zu verteidigen.
Es gab natürlich Homophobie in der Armee, aber das hat nachgelassen.
Mit der Gründung des Vereins vor vier Jahren nutzte man das hohe Ansehen, das jene im Land geniessen, die das Land verteidigen. «Es gab natürlich Homophobie in der Armee, aber das hat nachgelassen. Auch in der Veteranen-Community, unter den Patrioten, hat die Akzeptanz gegenüber LGBTIQ zugenommen. Wir sind mit unserer Arbeit noch nicht am Ende, aber wir haben die Narrative verändert.»
Aus den ursprünglich vier Mitgliedern sind mittlerweile über 120 geworden. «Wir helfen uns gegenseitig, wenn es Diskriminerung in der Truppe gibt. Und die Vorgesetzten helfen dabei, Mobbing zu stoppen oder auch die Mobber zur Rechenschaft zu ziehen. Früher hat es das nicht gegeben. Es gibt gute Entwicklungern.»
Viktors aktuelle Sorge vor einer Invasion betrifft auch die Truppen aus Tschetschenien, die jenseits der Grenze lauern. Machthaber Ramsan Kadyrow drängt Putin immer wieder, einzumarschieren. Ende 2021 erklärte er, er würde mit der Ukraine fertig werden, Bereits 2014 hatte er Truppen in den Donbas geschickt, um die dortigen Separatisten gegen die ukrainische Armee zu unterstützen.
«Das Ausmass an Homophobie in Tschetschenien ist unglaublich hoch», sagt Viktor im Gespräch mit MANNSCHAFT. Es gibt Berichte über Konzentrationslager dort. Familien sollen ihre Söhne töten, wenn sie schwul sind.» (MANNSCHAFT berichtete)
Von LGBTIQ-Rechten kann auch in Russland keine Rede sein. «Es wäre für mich ein doppeltes Problem, sollte es einen Einmarsch geben: Ich würde verfolgt als Veteran und als offen schwuler Aktivist. Bei einer russischen Invation gäbe es 100%-ig Rückschlage für LGBTIQ, es gäbe Folter und Verfolgungen von Schwulen.»
Angesichts der Bedrohung wenden sich Freund*innen an ihn und fragen um Rat. Vor allem LGBTIQ aus Charkiw, dort gibt es eine grosse Community. «Die sind noch stärker besorgt als wir ins Kiew.» (Im Jahr 2019 wurde die Pride in Charkiw von Neonazis überfallen – MANNSCHAFT berichtete)
Die Stadt liegt im Nordosten des Landes, nur 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. «Es gab Berichte, dass diese Stadt als erstes von Russen überfallen würde. Natürlich will niemand, dass die Stadt besetzt wird. Freunde rufen mich an: Was sollen wir tun, wenn es zur Invasion kommt?»
Er rät ihnen dann, sich beim Zivilschutz zu melden. Dort lerne man Erste Hilfe, aber auch Wege zur Verteidigung. «Es ist gut, sich dort zu engagieren. Ich kenne viele Homosexuelle, die das tun, Männer wie Frauen. Sie werden derzeit schon trainiert. Das hilft die Angst zu lösen, eine Art Empowerment.»
Des weiteren schlägt er ihnen auch vor, Reserven anzulegen, Konserven zu kaufen. «Wenn die Russen Städte einnehmen und blockieren, gibt es dort kein Essen mehr. Für eine bestimmte Zeit wird es helfen, wenn auch nicht lange, leider.»
Der Konflikt zwischen Russland und der Nato wegen der Spannungen an der ukrainischen Grenze beunruhigt einer Forsa-Umfrage zufolge die Mehrheit der Deutschen. Nur acht Prozent der Befragten zeigten sich unbeeindruckt. 43 Prozent der Befragten sind demnach sehr beunruhigt, 47 Prozent sagen, sie seien etwas beunruhigt. Das ergab eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage des Forsa-Instituts für das RTL/n-tv-Trendbarometer.
Den bisherigen Umgang der Bundesregierung mit der Krise finden 29 Prozent zufriedenstellend. Hingegen sind zwei Drittel (66 Prozent) weniger oder gar nicht zufrieden damit, wie der Konflikt seitens der Bundesregierung gehandhabt wird.
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