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«Ich bin als Lesbe weder überholt, im Unrecht noch bösartig»

Eine lesbische Nachlese zum Pride Month

New York
Pride Parade in New York 2021 (Foto: Mathias Wasik/dpa)

Ahima Beerlage («Riss in der Zeit») schrieb zu Beginn des Pride Monats Juni bei Facebook: «Worüber alle reden sollten, die #lesbischeSichtbarkeit als Hashtag nutzen: Liebe zwischen Frauen und Mädchen, lesbische Unsichtbarkeit in der Geschichtsschreibung, Kämpfe in lesbischen Beziehungen, in denen sich Tücken weiblicher Sozialisation potenzieren» etc. Im Samstagskommentar* erklärt die Autorin, ob sich ihre Hoffnungen erfüllt haben.

«Pride» heisst Stolz. Stolz war es sicher auch, den die ersten Demonstrierenden ein Jahr nach dem Aufstand vor dem Stonewall Inn empfunden haben. In der Christopher Street befanden sich die Lokale, in denen sich Lesben, Schwule, Dragqueens und -kings, Schwarze, Latinos und Latinas und andere am Rande der weissen, heterosexuellen Gesellschaft trafen. Die Bar in Stadtteil Greenwich Village in New York bot ihnen Luft zum Durchatmen im täglichen Kampf. Doch immer wieder zermürbte die New Yorker Polizei die Barbesuchenden mit Razzien und Verhaftungen, bis in der Nacht vom 27. Juni zum 28. Juni 1969 die Gäste zurückschlugen. Tagelange Unruhen folgten (MANNSCHAFT berichtete).

Damit endeten nicht die Verfolgungen und Demütigungen. Aber es gab den Schwulen und Lesben und allen anderen das Gefühl, nicht mehr ohnmächtig und allein zu sein. Die erste Pride-Parade, also Demonstration des Stolzes, folgte ein Jahr später und legte den Grundstein für die gemeinsame Arbeit von Schwulen, Lesben und Anderen gegen ihre Verfolgung. Mitte der Siebziger Jahre wurde klar, dass bis auf die Homosexualität Lesben und Schwule und andere nicht viel gemeinsam hatten. Die Schwulen kämpften gegen die Illegalität ihrer Liebe, die Lesben sahen in der lesbischen Beziehung die Probleme als Frauen in der Gesellschaft potenziert. Schwarze und Menschen anderer Herkunft wandten sich häufig mehr gegen Rassismus. Trans Personen und Dragkings- und -queens kämpften sogar häufig um ihr blosses Überleben. Am Christopher-Street-Day gingen aber alle gemeinsam gegen die weisse Heterogesellschaft auf die Strasse.

Die erste Pride hatte Solidarität geschaffen. Und so gab es für viele Lesben kein Zögern, sich an die Seite der Schwulen zu stellen, als unter Schwulen HIV und AIDS wütete und die Gesellschaft sich gegen sie wandte. Die LGBTIQ-Zusammenarbeit war geboren.


In den letzten Jahren aber scheint es immer weniger darum zu gehen, am CSD die Gemeinsamkeit in der Unterschiedlichkeit zu feiern, sondern es wird zunehmend nach einer Gleichheit unter dem Schirm Queer gestrebt. Wer sich darin nicht wiederfindet oder eigenen Raum sucht, gerät schnell unter Beschuss. #lesbischesichtbarkeit wird dabei schnell zum Hashtag für alle gesehen, die sich jenseits von schwul und hetero befinden. Für Lesben, die über Jahrzehnte eng angelehnt an die Frauenbewegung auch für Selbstbestimmung und geschützte Räume für Frauen gekämpft haben, ist das nicht immer leicht zu akzeptieren. Viele Themen, die von Lesben mit den Jahrzehnten bearbeitet wurden, gelten heute als überholt oder werden sogar als TERF (Trans-ausschliessender radikaler Feminismus) oder CIS denunziert.

Doch die Themen haben sich nicht in queerem Rauch aufgelöst. Worüber ich also weiterhin reden will? Lesbische/weibliche Unsichtbarkeit in der Geschichtsschreibung, Literatur und Kunst. Ich will darüber reden, dass wenn zwei Frauen zusammenleben, die in Pflegeberufen oder anderen vorwiegend «weiblichen» Niedriglohnberufen arbeiten, ihre Situation oft prekär ist. Ich möchte darüber reden, dass Mädchen aus konservativen oder streng gläubigen Familien immer noch nicht lesbisch sein können. Ich will darüber reden, warum butchige lesbische Mädchen häufig gefragt werden, ob sie trans sind. Ich will darüber reden, wie schwierig es ist, in lesbischen Beziehungen mit männlicher Gewalt aus ihrer Vergangenheit umzugehen. Ich will über neue Beziehungsmodelle unter Frauen reden.

Ich frage mich, wie die Versorgung von Lesben im Alter gewährleistet werden kann.

Ich will Körperhass durch das Frauenbild der Mediengesellschaft thematisieren. Ich will die Frage klären, warum sich immer mehr Parteien von Frauen abwenden und Frauenprojekte streichen. Ich frage mich, wie die Versorgung von Lesben im Alter gewährleistet werden kann, wenn sie durch jahrzehntelange ehrenamtliche Arbeit im Feminismus oder in unterbezahlten «Frauenberufen» von winzigen Renten leben müssen, wie ihre Selbstbestimmung als Lesben in Alten- und Pflegeheimen gesichert werden kann. Ich will auch eine klare Positionierung gegen Beschimpfungen und Gewaltandrohungen gegen Frauen aus der queerfeministischen Szene.


Ich bin eine Frau, ich liebe Frauen, und ich bin eine politische Lesbe. Der Weg dahin war steinig. Es war und ist mein Weg, den ich nie GEGEN andere, sondern FÜR mich eingeschlagen habe. Diese Liebe macht mich nur zur Schuldigen, wenn eine Person die Perspektive an sich reisst und sie aus Überzeugung oder Religion gegen mich wendet. Ich muss mich für meine lesbische Liebe nicht rechtfertigen, nicht mehr stumm danebenstehen, wenn ich beleidigt oder abgewertet werde. Ich will mich auch nicht schlecht fühlen, weil mich jemand für sein erlittenes Unrecht anklagt, wenn ich persönlich dieses Unrecht nicht verursacht habe.

Es trifft mich, jeden Tag aufs Neue lesen zu müssen, dass ich als Lesbe überholt, im Unrecht, bösartig und schrecklich bin und durch meine lesbische Liebe anderen Menschen vermeintlich ihre Daseinsberechtigung abspreche, denn ich weiss, dass ich es nicht tue – und das tut auch die immer grösser werdende stumme Mehrheit der frauenliebenden Frauen nicht.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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