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Finger weg von unserer Regenbogenflagge, Kanzler!

Olaf Scholz und sein offensichtliches Pinkwashing

Olaf Scholz
Foto: Olaf Scholz/Facebook

Deutschland und Frankreich haben also doch noch beschlossen, dem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen das LGBTIQ-feindlich regierte Ungarn beizutreten. Warum das nur bedingt Grund ist zum Jubeln, dazu der Samstagkommentar*.

Anlass der Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ist das ungarische Anti-LGBTIQ-Gesetz aus dem Jahr 2021. Das aus Russland abgekupferte Gesetz gegen «LGBTIQ-Propaganda» verbietet die Darstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans und inter und queeren Menschen sowie die Berichterstattung über queere Themen in den Medien und an allen Orten, an denen sich Kinder aufhalten könnten, also: so gut wie überall (MANNSCHAFT berichtete).

Sven Lehmann, Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, erklärte am Freitag, er freue sich sehr, «dass die Bundesregierung diesen Schritt geht und damit zeigt, dass sie die Grund- und Menschenrechte von Lesben, Schwulen, trans und allen queeren Menschen in Europa verteidigt». Nun ja.

Neben dem EU-Parlament sind Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie Belgien, Dänemark, Finnland, Griechenland, Irland, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien und Spanien sind dem Verfahren beigetreten. Viele davon schon vor Wochen, die Benelux-Länder brauchten gar nur 48 Stunden. Selbst Österreich war schneller als Deutschland. Ein Land, das von Schwarz-Grün regiert wird, dominiert wiederum von der Kanzlerpartei ÖVP, der man nun wirklich nicht unterstellen kann, besonders LGBTIQ-freundlich unterwegs zu sein. Selbst diese Regierung konnte sich darauf einigen, der Klage beizutreten.



Die Katholische Kirche verurteilt Ugandas Anti-Homosexuellen-Gesetz. Im schlimmsten Fall droht dort bald die Todesstrafe 


Und Deutschland? Wartet mit der Entscheidung bis kurz vor Toreschluss, nutzt die (schon verlängerte) Frist fast vollständig aus (MANNSCHAFT berichtete). Es gab wohl, so war es im Tagesspiegel zu lesen, einen Dissens zwischen Auswärtigem Amt, geführt von der Grünen Annalena Baerbock, und dem Scholz’schen Kanzleramt. Der SPD-Mann hatte einst angekündigt: «Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.» Hi hi. Genau mein Humor. Schon bei der Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine hat sich gezeigt, dass es sich hier um reines Wunschdenken und Kanzler-Blabla handelt.

Dass sich Scholz in eine Regenbogenfahne gehüllt zeigte, entpuppt sich spätestens jetzt als Pinkwashing allererster Kajüte.

Noch so eine Scholz’sche Pointe gefällig? «Es muss egal sein, wen man liebt, ob man als Mann oder als Frau geboren ist und wie man leben möchte. Nicht nur hier in Deutschland, sondern überall auf der Welt» – das hatte Olaf Scholz letzten Sommer zu Protokoll gegeben. Leere Worte auch hier, wie man nun sieht. Dass er sich dazu in eine Regenbogenfahne gehüllt zeigte (MANNSCHAFT berichtete), entpuppt sich spätestens jetzt als Pinkwashing allererster Kajüte.


Denn LGBTIQ – mindestens die in der Welt, die in Ungarn jedenfalls, leider einem Mitgliedsland der EU – die gehen ihm glatt an seinem Kanzlerallerwertesten vorbei.

Der Queer-Beauftragte Lehmann sagt: «Der Beitritt Deutschlands als Streithelferin an der Seite der Europäischen Kommission setzt das starke Zeichen, dass Deutschland aktiv für den Schutz und die Rechte von LGBTIQ in ganz Europa einsteht.» Auch wenn man dem Grünen-Politiker unterstellen darf, dass er den Beitritt gerne früher verkündet hätte – klingt gut, stimmt aber nicht.

Stark wäre das Zeichen gewesen, wenn sich die Ampel-Regierung, die sich vor eineinhalb Jahren Queerfreundlichkeit gross auf die Fahne geschrieben hat, in den ersten Tagen entschlossen gezeigt hätte. Deutschland, ebenso wie Frankreich, hatte ein siebenwöchiges Fenster, um sich zu entscheiden. Anstatt sich alsbald und queerfreundlich aus selbigem zu lehnen, hat man viel zu lange gewartet und intern, so scheint es, gestritten.

Dabei hätte man, gemeinsam mit Frankreich (Stichwort: Deutsch-Französischer Motor) möglicherweise mehr Länder animieren können, der Klage beizutreten. Nun sind es 15. Das ist nicht so schlecht, aber auch kein Erfolg, wenn knapp die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten nicht mitmacht. Und die befinden sich fast alle im Osten Europas. Dass Polen und Rumänien nicht dabei sind, wird niemanden verwundern. Aber vielleicht hätten sich Zypern oder die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen dem Druck gebeugt, wenn die Front der Untersützer*innen der Klage zu einem früheren Zeitpunkt klarer und grösser geworden wäre. Wen will man noch überzeugen, wenn man erst auf den letzten Drücker seine Entscheidung fällt?

Chance vertan, Kanzler! In der kommenden Pride-Saison bitte die Regenbogenflagge im Schrank lassen. Wobei, die war sicher eh nur geliehen.


Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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