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«Es ist nötig, unsere queere Freiheit auch militärisch zu verteidigen»

Vor einem Jahr griff Russland (erneut) die Ukraine an

Ukraine
24.02.2023, Frankfurt/Main: Eine Frau mit Engelsflügeln in den ukrainischen Farben vor der Alten Oper (Foto: Boris Roessler/dpa)

Unser Autor hätte nie gedacht, dass es einmal notwendig sein würde, Militärisches als demokratisches Recht der Selbstverteidigung zu denken. Heute ist klar: Es gilt auch queere Freiheit zu verteidigen, schreibt er in seinem Kommentar*.

Vorigen Dienstag hielt Russlands Präsident Wladimir Putin, vor einem Gros der politischen Elite seines Landes eine gefühlt stundenlange Ansprache – zwecks Erbauung einerseits, andererseits als Durchhalteansprache an sein Land wie auch in die Welt hinaus. Denn das Land, was Putin bestreitet, führt seit exakt einem Jahr einen mörderischen Krieg gegen die Ukraine, sein Nachbarland. Die Fakten zum russischen Krieg gegen das vermeintlich zu Russland gehörende Nachbarland müssen hier nicht wiederholt werden. Aber es verdient besondere Aufmerksamkeit eine Passage, die vermutlich zur Begründung dessen herhält, warum Russland ein Imperium bleiben will, ein aggressives, nach Putins Darstellung auch bei seiner jüngsten Rede eines, das sich gegen den «Westen» wehren muss.


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Er sagte: «Schauen Sie doch mal an, was sie (der Westen) mit ihren eigenen Völkern tun. Sie zerstören die Familie. Die kulturelle Identität. Sie quälen die Kinder bis hin zur Pädophilie. Sie zwingen sogar die Geistlichen, gleichgeschlechtliche Ehen gutzuheissen.» Das ist natürlich gaga, um nicht zu sagen: eines psychiatrischen Gutachtens würdig. Denn: Hat dieser Mann und seine Gefolgschaft nicht mehr alle Tassen im Schrank? Was er meint, ist: In freien Ländern, wie auch die Schweiz, wie Österreich, wie Deutschland, haben wir als queere Community wesentliche Teile unserer Freiheit erkämpft – und das finden jetzt in all unseren Ländern krass starke Mehrheiten auch gut so.


Qualen gegen Kinder gibt es indes in Russland, wo Jungs sehr früh gewalttätige Erziehungen erfahren. Die kulturelle Identität in Russland kann dieses und jenes meinen, vermutlich Wodka und Matroschkapuppen und eine angebliche seelische Tiefe, die in Wahrheit nur flache Spracharmut bedeutet. Russland, das ist das Land, wo seit vielen Jahren Queeres kriminalisiert wird, sofern es sich öffentlich positiv äussert. Russland, mit anderen Worten, verteidigt sich gegen eine Moderne – und das mit militärisch-mörderischen Mitteln.

Putin sitzt auf einem absteigenden Ast, und Experten wie der queerfeindliche Militärexperte Carlo Masala, sagen das auch: Gegen ein Land wie die Ukraine, das mehr denn je unsere Solidarität und viele Waffen aus den Depots der Bundeswehr bitter braucht, ist kein Kraut gewachsen. Mittelfristig wird die demokratisch-europäische Ukraine nicht nur nicht verlieren, sondern vielleicht auch gewinnen, auf dass Russland selbst wieder Anschluss an moderne Freiheitsansprüche findet. In der ukrainischen Armee dienen schwule Soldaten, lesbische Soldaten, auch trans Soldat*innen, teilweise an den Fronten, teilweise sonst dienlich, als Sanitäter*innen beispielsweise.


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Die Rede von Wladimir Putin zeigt an, worum es uns gehen sollte: Unsere Freiheit, unsere Art zu leben. Denn in der Ukraine wird auch unser Art des gesellschaftlichen Miteinanders verteidigt. Ich bin verblüfft, dass ich solche Zeilen schreiben kann, denn noch 1976, als ich, typisch für meine Generation, den Kriegsdienst verweigerte – der war noch verpflichtend! -, hätte ich gesagt, alles Militärische muss weg, Soldaten saufen nur und sind homophob. Ich würde inzwischen meinen: Wäre ich ein junger Mann noch, würde ich zur Bundeswehr, allerdings gleich eine queere Interessengemeinschaft gründen, auf dass man sich gemeinsam gegen homophobe Sprüche verwahren kann. Ich hätte viel weniger Angst, denn dass die Bundeswehr immer schwulenfeindlich sein muss, ist nicht in Granit gemeisselt, das lässt sich ändern, so wie es in der niederländischen Armee üblich ist.

Auch hätte ich, Kind des Kalten Kriegs, nie gedacht, dass es einmal notwendig sein würde, Militärisches als demokratisches Recht der Selbstverteidigung zu denken. Ich lernte in diesem Jahr des Krieg gegen ein mit Russland vergleichsweise schwaches Land: Die – auch queere – Freiheit zu verteidigen ist nötig. Und es lohnt sich. Es geht schliesslich auch um unsere Kämpfe, die wir gewonnen haben. Ein russischer Freund, der vor zwei Monaten aus seinem Heimatland faktisch desertierte, sagte mir: In der Ukraine wird auch für unsere Befreiung gestritten. Er sei in St. Petersburg ein David, der es mit einer Horde von Goliaths aufzunehmen hat. Der Goliath – das ist Wladimir Putin und seine Gefolgschaft. Sie dürfen nicht gewinnen.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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