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Erdogan über Herausforderer: «Eine LGBT-Person» und «Säufer»

Opposition und Regierung in Türkei schwören Anhänger*innen auf Wahl ein

Kemal Kilicdaroglu
Kemal Kilicdaroglu (r), ist bei einer Wahlkampfveranstaltung auf einem Banner abgebildet, daneben ist ein Bild von Kemal Atatürk (Bild: Mirjam Schmitt/dpa )

Der Ausgang bei den Wahlen in der Türkei kommende Woche ist völlig offen. Opposition und Regierung kämpfen um jede Stimme. Präsident Erdogan wird dabei zunehmend ausfallend.

Eine Woche vor richtungsweisenden Wahlen in der Türkei haben Regierung und Opposition ihre Anhänger*innen bei Grossveranstaltungen in Istanbul auf die Abstimmung eingeschworen. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu rief am Samstag im Stadtteil Maltepe seine Zuhörer dazu auf, «eine autokratische Führung mit demokratischen Mitteln auszuwechseln.»

Präsident Recep Tayyip Erdogan beschimpfte seinen Herausforderer*innen am Sonntag vor Hunderttausenden Anhänger*innen in Istanbul als «Säufer und Betrunkenen». Er warf dem Oppositionsführer zudem einmal mehr vor, mit «Terroristen» zusammenzuarbeiten. Erdogan versprach zudem, die Beamt*innengehälter im Falle eines Wahlsieges anzuheben.

Erdogan, der zwischenzeitlich krankheitsbedingt eine Wahlkampfpause einlegen musste, geht den Oppositionsblock und Teile der Gesellschaft immer wieder mit scharfer Rhetorik an. Er äusserte sich etwa wiederholt queerfeindlich und machte Teilen der Opposition den Vorwurf, sich für die Rechte von LGBTIQ auszusprechen (MANNSCHAFT berichtete).


«Wir wissen, dass Herr Kemal eine LGBT-Person ist», hattte Erdogan am Donnerstag bei einer Kundgebung in der Stadt Giresun laut IFP News behauptet. «CHP ist LGBT, IYI-Partei ist LGBT, HDP ist LGBT», fuhr er fort und listete damit die politischen Fraktionen in Kilicdaroglus Sechs-Parteien-Block National Alliance auf.

Zwar ist Kilicdaroglu kein ausgesprochener Befürworter der Menschenrechte von LGBTIQ, hat aber versprochen, die Istanbul-Konvention im Falle seiner Wahl wieder einzuführen. Die 2011 von 45 Ländern plus der Europäischen Union unterzeichnete Konvention zielt darauf ab, die rechtlichen Strafen für Gewalt gegen Frauen zu verschärfen, aber die Türkei zog sich 2021 zurück (MANNSCHAFT berichtete) und erklärte, sie sei «von einer Gruppe von Menschen entführt worden, die versuchten, Homosexualität zu normalisieren». Dies war möglicherweise ein Hinweis auf die Erwähnung von trans Frauen in dem Vertrag.

Bei der Parlaments- und Präsidentenwahl am 14. Mai zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Erdogan und seinem Herausforderer Kilicdaroglu hab. Kilicdaroglu tritt als gemeinsamer Kandidat für eine Allianz aus sechs Oppositionsparteien unterschiedlicher Lager an. Gewinnt keiner der Kandidat*innen in der ersten Runde die absolute Mehrheit, kommt es am 28. Mai zu einer Stichwahl.


Seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 hat Erdogan so viel Macht wie noch nie. Kritiker*innen fürchten auch deswegen, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohner*innen vollends in die Autokratie abgleiten könnte, sollte Erdogan erneut gewinnen. Der Wahlkampf steht im Zeichen einer Wirtschaftskrise und der schweren Erdbeben im Februar mit Zehntausenden Toten in der Südosttürkei.

Kilicdaroglu verspricht, das Land wieder in eine parlamentarische Demokratie zu überführen. Am Samstag sagte er: Ein demokratischer Regierungswechsel wäre auch ein «Geschenk an die Weltpolitik» in der Türkei. In einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur betonte er zudem, dass er die Beziehungen zu Deutschland verbessern werde.

Was sie auch tun, die Stimmen des Volkes sind wertvoll und das müssen sie akzeptieren

Er kritisierte Äusserungen von Regierungspolitiker*innen, die einen Wahlsieg der Opposition mit einem Putsch gleichsetzten. «Das zeigt, dass sie nicht an Demokratie glauben», sagte er. «Was sie auch tun, die Stimmen des Volkes sind wertvoll und das müssen sie akzeptieren.»

Aussenminister Mevlüt Cavusoglu wies dagegen Bedenken zurück, das die Regierung eine Wahlniederlage nicht einräumen werde. Man akzeptiere, was auch immer das Volk entscheide, sagte Cavusoglu dem Sender Habertürk am Sonntag.

Der oppositionelle Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu brach unterdessen einen Auftritt in der Erdogan-Hochburg Erzurum ab. Er sei mit Steinen beworfen worden, dabei seien alle Scheiben des Wahlkampfbusses zerbrochen, teilte ein Mitarbeiter mit.

Unglaublich! In der Stadt #Erzurum in der #Türkei wurde die Kundgebung des oppositionellen Istanbuler OB İmamoğlu angegriffen & dabei einige Menschen verletzt. Einer der Angreifer schreit: „Verbrent sie.“ Diese Gewaltbereitschaft der #Erdogan-Anhänger ist einfach nur ekelhaft. pic.twitter.com/0EuefJWkcK

— Serdar Akin 🧊 (@akinserdara) May 7, 2023

«Wir mussten das Gebiet zur Sicherheit unserer Bürger*innen verlassen.» Imamoglu von der grössten Oppositionspartei CHP soll im Falle eines Wahlsieges Vizepräsident werden. Zuvor hatte die Opposition bemängelt, dass Behörden versucht hätten, den Auftritt zu verhindern.


Türkei zensiert: Religiöse Kräfte verhindern queerfreundliche Konzerte. Ein Beispiel ist der Fall der Sängerin Gülsen


Die Teilnehmendenzahl bei seiner Veranstaltung in Istanbul gab Erdogan mit 1,7 Millionen an. Kilicdaroglu war am Samstag bei einer Grossveranstaltung ebenfalls vor zahlreichen Anhänger*innen in Istanbul aufgetreten – eine offizielle Anzahl wurde nicht genannt.

In Nürnberg hingen Plakate für Erdogan (Foto: Sven Grundmann/News5/dpa)

Nach Kritik an der Genehmigung von Wahlplakaten der türkischen AKP von Erdogan will die Stadt Nürnberg nun die Rechtslage ändern. Die Satzung solle überarbeitet werden, teilte ein Sprecher der Stadt mit Blick auf eine Sondernutzungssatzung mit. Dadurch solle verhindert werden, dass künftig Wahlplakate ausländischer Parteien für Wahlen im Ausland im öffentlichen Raum aufgehängt oder aufgestellt werden. Die Überarbeitung werde aber sicher bis Juni oder Juli dauern, so der Sprecher.

Erdogan will «aktiv» gegen LGBTIQ-Community vorgehen: Wenige Wochen vor den Wahlen in der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdogan neue Drohungen in Richtung der LGBTIQ-Community ausgesprochen (MANNSCHAFT berichtete).


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