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Ein Houseboy für (fast) alle Fälle

Steven, «Holiday Houseboy» aus Vietnam
Steven, «Holiday Houseboy» aus Vietnam, (Bild: Michel Bossart)

Andere Länder, andere Sitten. Wer wünscht sich da nicht einen Einheimischen an seiner Seite, der einem Land und Leute näherbringt? «Holiday Houseboy» hat für einige asiatische Städte einen Houseboy-Service ins Leben gerufen. Die Mannschaft hat denjenigen in Ho-Chi-Minh-Stadt getestet, war angenehm überrascht und mit dem Tag im ehemaligen Saigon sehr zufrieden.

Wer kennt das nicht? Man befindet sich auf einer Reise durch ein unbekanntes Land und hat die Möglichkeit, für ein paar Tage eine Stadt anzuschauen. Am ersten Tag sucht man im Reiseführer nach den Attraktionen, die man einfach gesehen haben muss. Am zweiten Tag arbeitet man sich durch Prospekte, die im Hotelzimmer aufliegen oder die man sich in der Touristeninformation besorgt hat. Vielleicht besucht man ein Museum oder einen Park – aber irgendwie fühlt man sich immer etwas fremd. Als Tourist halt, als einer, der vom Ort und den lokalen Begebenheiten im Grundsatz keine Ahnung hat.

Kommt hinzu, dass ein schwuler Mann unter Umständen andere Ansprüche an seine Ferien hat als zum Beispiel eine Familie mit kleinen Kindern. Praktisch wäre es doch, man hätte einen Einheimischen zur Seite, der mit Stadt, Land und Kultur bestens vertraut ist. Besser noch, wenn der Reiseführer selbst schwul wäre oder zumindest akzeptierte, dass seine Gäste es sind. Einen, mit dem man am Abend entspannt ausgehen kann, der einem die Szene zeigt, und das ganz ohne sexuelle Hintergedanken. Lange nicht alle Schwulen suchen auf Reisen nämlich nur das Eine. Es gibt auch Männer, die zum Beispiel geschäftlich nach Bangkok müssen, ohne dass sie gleich vom Trubel der Szene aufgesogen werden möchten. Männer, die die Gesellschaft eines Einheimischen zwar schätzen, aber nicht gleich mit ihm ins Bett steigen wollen.

Diese Idee ist Alan Stables auch gekommen. Der 54-jährige Engländer wohnt seit zwei Jahren in Sri Lanka, zuvor lebte er lange Zeit in Spanien, Hongkong und Malaysia. Er hat gespürt, dass es eine Nachfrage nach lokalen Städteführern gibt, die einem einerseits die allseits bekannten Attraktionen zeigen, andererseits aber dem Reisenden einen einheimischen Blick auf die Stadt ermöglichen.


Eine rein touristische Dienstleistung
So gründete Alan «Holiday Houseboy» und machte sich in verschiedenen asiatischen Städten auf die Suche nach geeigneten Männern. Deren Service – und das betont Alan bei jeder Gelegenheit – ist ein rein touristischer und kein sexueller. Wer einen Callboy sucht, der kann vielleicht seinen Houseboy fragen, wie man einen findet, aber nicht erwarten, dass der Houseboy diesen Service selbst erfüllt. Das gilt natürlich auch umgekehrt: Keiner von Alans Houseboys würde seinen Gästen Avancen in sexueller Richtung machen.

Alan Stables – Gründer von «Holiday Houseboy».

«Es ist», sagt Alan, «wie wenn dir ein Einheimischer seine Stadt zeigt und dir hilft, sich in ihr zurechtzufinden.» Die Houseboys seien angehalten, ihre Gäste nach besten Möglichkeiten zu unterstützen, sodass sie beispielsweise auf dem Markt nicht übers Ohr gehauen werden. Alle Houseboys sprechen neben der lokalen Sprache fliessend Englisch und werden von Alan persönlich eingestellt und instruiert. Alan meint: «Mir ist es egal, ob der Houseboy selbst schwul ist oder nicht, aber ganz klar: Mit dem Schwulsein im Allgemeinen dürfen sie keine Probleme haben.»

Teil der Vermittlungsgebühr geht an Hilfsorganisation
Alans Holiday Houseboys gibt es zurzeit in Ho-­Chi-Minh-Stadt (Saigon), Hanoi, Pattaya, Chiang Mai, Bangkok, Bali, Kuala Lumpur, Phnom Penh, Kathmandu, Kerala und Negombo. Wer in andere Städte reist, kann bei Alan nachfragen, ob er jemanden kennt, der sich als Führer zur Verfügung stellt.


Oft gibt es pro Stadt mehr als einen Houseboy. Auf der Webseite klickt man erst auf die Stadt und erhält dann eine Kurzbeschreibung der zur Verfügung stehenden Houseboys. Hat man sich für einen von ihnen entschieden, schickt man eine Anfrage per Mail oder WhatsApp-Nachricht. Erfragt werden ein paar Informationen über den Gast und natürlich, in welcher Stadt man welchen Houseboy wann buchen möchte.

Einen Teil der Vermittlungs­gebühr spende ich an die Hilfsorganisation Kiva – Alan Stables

Alan klärt die Situation ab und wenn der Houseboy zur Verfügung steht und man ihn buchen möchte, ist eine sofortige Anzahlung über Paypal an «Holiday Houseboys» erforderlich. Diese beläuft sich in der Regel auf die Hälfte des Gesamtpreises. Die andere Hälfte ist der Lohn des Houseboys. Er wird ihm direkt in bar und in lokaler Währung ausgehändigt. Selbstredend bezahlt man dem Houseboy Essen, Getränke, Eintritte, Tickets und dergleichen. Je nach Land und Führer gibt es unterschiedliche Tagespauschalen. Man rechne mit rund 100 Dollar für einen ganzen Tag. Die meisten Houseboys können auch für einen halben Tag oder einen Abend gebucht werden.

«Einen Teil der Vermittlungs­gebühr», sagt Alan, «spende ich an die Hilfsorganisation Kiva. Diese engagiert sich in Drittweltländern für Mikro­kredite. Das ist mein Weg, einerseits den Jungs eine Gelegenheit zu geben, etwas Geld zu verdienen und andererseits etwas an diese Länder zurückzugeben, in dem ich meine Dienstleistungen anbiete.»

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Probe aufs Exempel
Alles gut und recht: Aber funktioniert das auch wirklich so reibungslos? Wir – das sind mein Partner und ich – reisten letzten Februar nach Vietnam. In Ho-Chi-Minh-Stadt, auch unter seinem alten Namen Saigon bestens bekannt, können wir nur einen Tag verbringen.

Ein paar Wochen vor unserer Abreise prüfe ich das Angebot für Ho-Chi-Minh-Stadt. Drei Führer stellen sich vor, wir entscheiden uns für Steven. An die Zentrale schicke ich die gewünschten Angaben und Alan meldet sich einen Tag später mit der Nachricht, dass meine Anfrage eingegangen sei und er Stevens Verfügbarkeit prüfe. Wiederum einen Tag später gibt er grünes Licht, Steven freue sich, uns seine Stadt zeigen zu dürfen. Für seine Achtstundendienstleistung ist eine Anzahlung von 50 Dollar nötig, am Ende des Tages schulden wir Steven dann 1 200 000 Dong, was in etwa 52 Dollar entspricht.

Kaum ist die Anzahlung getätigt, setzt sich Steven mit mir per Mail in Verbindung. Wir vereinbaren einen Zeit- und Treffpunkt. Er werde um 9 Uhr da warten, wo unser Bus uns ablädt und er sei ganz in Blau gekleidet.

Der Verkehr verlangt einem eine gehörige Portion Selbst- und Gottvertrauen ab. Wer beim Überqueren der Strasse hadert, der bringt alles durcheinander.

Es ist bekannt, dass asiatische Städte – um es mit einem englischen Ausdruck zu sagen – sehr «busy» sind. Viele Menschen, viel Verkehr, für Europäer oft ein Tohuwabohu. In Vietnam sind es die Scooter: Sie sind überall und zwar in sehr grosser Anzahl. Alles, so scheint es, wird auf Motorrollern transportiert. Das Gemüse zum Markt, die Kinder in die Schule, die Menschen zur Arbeit und so weiter.

Scooter prägen das südostasiatische Strassenbild. Alle Verkehrsteilnehmende kommen trotzdem erstaunlich gut miteinander zurecht.

Der Verkehr verlangt einem eine gehörige Portion Selbst- und Gottvertrauen ab. Wer beim Überqueren der Strasse hadert, der bringt alles durcheinander. Fussgänger und Rollerfahrer beugen sich einem ungeschriebenen Gesetz. Der Fussgänger überquert die Strasse zügig, der Rollerfahrer passt auf. Trotzdem sind wir froh, haben wir Steven zur Seite. Er führt uns sicher durch und über die Strassen. Wir haben ihn übrigens am vereinbarten Ort zur vereinbarten Zeit getroffen, ganz in Blau gekleidet.

Als erstes spendiert er uns in einem der unzähligen Coffee Shops einen Eiskaffee. Viele wissen nicht, dass Vietnam der zweitgrösste Kaffeeproduzent der Erde ist und über eine gepflegte Kaffeekultur verfügt.

Unser Houseboy ist Grundschullehrer
Saigon ist eine hübsche und relativ übersichtliche Stadt. Viel französischer Kolonialflair ist noch zu spüren. Die meisten Sehenswürdigkeiten können zu Fuss erreicht werden. Steven, der in Wirklichkeit Nguyen Phuoc Cuong heisst, führt uns durch das Kriegsopfermuseum und den Wiedervereinigungspalast, zeigt uns einen buddhistischen Tempel, verhandelt mit dem Taxifahrer und steht für uns an der Museumskasse an. Steven weiss viel über die Geschichte, Land und Leute.

Steven erzählt im Wiedervereinigungspalast seine Anekdote.

Er erklärt, wo gewünscht, fragt nach, wenn er etwas selbst nicht weiss, bleibt aber immer sehr diskret und ist keiner der aufdringlichen oder geschwätzigen Sorte. In einer ruhigen, verkehrsfreien Seitenstrasse – als Book Street bekannt – trinken wir in einem der vielen Bücherläden eine Erfrischung und plaudern locker und ungezwungen. Steven sagt, dass er vom Job als Houseboy im Internet gelesen habe. Er habe sich beworben und Alan hätte ihn in einem Saigoner Hotel interviewt und ihn auf die Liste der Houseboys genommen. Das war 2015; seither führt er rund 16 Mal pro Jahr Touristen wie uns durch seine Stadt.

Steven führt uns durch das Kriegsopfermuseum und den Wiedervereinigungspalast, zeigt uns einen buddhistischen Tempel, verhandelt mit dem Taxifahrer und steht für uns an der Museumskasse an.

Steven ist 29 Jahre alt und gehört zum Sternzeichen Drache, wie er lachend sagt. Nein, schwul sei er zwar nicht, aber was das denn für eine Rolle spiele, fragt er. Im Alltag ist er Grundschullehrer und erteilt Englischunterricht für Erwachsene. Sein grosser Traum sei es, in die USA auszuwandern. Warum gerade die USA? Das könne er nicht genau sagen, sie faszinieren ihn einfach.

Lunch mitten auf dem Markt
Ob wir vietnamesisches Essen mögen, will er wissen. Klar tun wir das. Steven führt uns durch die Markthalle und steuert zielbewusst auf einen bestimmten der schier unzähligen Garküchenstände zu. Das sei der beste und günstigste weit und breit, versichert er. Er bittet uns, mitten im hektischen Markttreiben auf Plastikstühlen Platz zu nehmen, ordert das Essen und Zuckerrohrsaft, wir bezahlen. Die vietnamesische Küche zeichnet sich durch ihre frischen Zutaten und ihre angenehme Schärfe aus. Das Essen schmeckt hervorragend, das Ambiente ist einmalig.

Dank Steven haben wir wohl das Maximum aus unserer Stippvisite herausgeholt: völlig stressfrei und absolut entspannt.

Anschliessend spazieren wir gemütlich durch die Strassen. Er zeigt uns das Rathaus, die Kathedrale Notre Dame und das berühmte von Gustave Eiffel erbaute Hauptpostamt. Zwei Tage in Saigon würden reichen, meint er, um alles in und um die Stadt gesehen zu haben. Wir hatten leider keine zwei Tage und haben trotzdem einen wunderbaren Tag verbracht. Dank Steven haben wir wohl das Maximum aus unserer Stippvisite herausgeholt: völlig stressfrei und absolut entspannt. Und wir haben einen neuen Freund gefunden, am anderen Ende der Welt.

Fotos: Michel Bossart

Anmerkung der Redaktion zur journalistischen Unbefangenheit
Unser Journalist hat von «Holiday Houseboys» keine Gutschrift oder Vergünstigung für diesen Erfahrungsbericht erhalten.


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