«Drag Queen Märchenstunde» – Diversity auf Schwedisch
Die weltweiten Vorleseaktionen sollen Kindern zeigen, wie man Gendernormen durchbrechen kann. In Schweden gibt's jetzt 1,7 Mio. Kronen vom Staat für das Projekt
Die schwedische Regierung wird 1,7 Millionen Kronen in ein Projekt investieren, bei dem Drag Queens in Kindergärten, mit Jugendlichen und mit Behinderten sogenannte «Märchenstunden» abhalten. Das entspricht umgerechnet 162.000 Euro.
Die Förderung kommt aus dem Schwedischen Erbschaft Fonds («Allmänna arvsfonden»), einer staatliche Organisation, die Gelder verwaltet, welche Schweden hinterlassen, die ohne schriftliches Testament und ohne direkte Angehörige sterben.
Das bringt die November-Ausgabe der MANNSCHAFT!
Das Geld wird hauptsächlich weitergegeben an die Stiftung «Kulturföreningen Mums» in Stockholm, deren Ziel es ist, das kulturelle Angebot in Schweden zu erweitern, mit besonderen LGBTIQ-Fokus sowie Augenmerk auf Diversity und Gleichberechtigung.
«Das Projekt wird die gängigen [hetero]normativen Märchenerzählungen weiterentwickeln in Form von Drag Shows – zusammen mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderungen», sagt ein Vertreter von Schwedens allgemeiner Kulturstiftung. «Gemeinsam mit verschiedenen Organisationen, darunter die Gruppe ‹Unter Drachen und Drag Queens›, werden neue Märchen entwickelt, die die Bedürfnisse und Erfahrungen der Zielgruppe reflektieren.»
Die Initiative wird Projekte unterstützen, die «auf den Bedürfnissen und Wünschen der Zielgruppe basieren», dazu gehören Drag-Show-Workshops rund um Drag-Queen-Vorleseaktionen mit Kinderbüchern in öffentlichen Bibliotheken.
Weitere grössere Beträge aus dem Erbschaft Fonds gegen an linke Gruppen, u. a. eine, die sich dafür einsetzt, bei jungen Menschen einen «stärkeres Bewusstsein für Klimaschutz» zu fördern.
Diversity positiv besetzen Vorleseaktionen mit Drag Queens erfreuen sich aktuell einiger Beliebtheit weltweit, als unterhaltsame und erzieherische Massnahme, die Diversity positiv besetzt und Kindern Raum bietet, Menschen zu erleben, die sich nicht an gängige Gendernormen halten.
«Ich kann an dem Projekt nur Positives sehen», schreibt die schwedische Trans-Aktivistin Maria Hanssen auf Twitter. «Kinder im Allgemeinen und besonders Kinder mit Behinderungen sehen Drag Künstler*innen nicht so, wie das Erwachsene tun. Es geht nicht darum, Kinder [mit neuen Inhalten] zu beeinflussen. Die Märchenbücher sind die gleichen, die wir alle aus Bibliotheken ausleihen.»
Die Idee der Drag-Queen-Märchenstunde stammt ursprünglich aus San Francisco und New York und wurde schnell zu einem globalen Phänomen, allerdings liess der Widerstand nicht lange auf sich warten.
Anfang 2019 musste eine Veranstaltung in Houston (Texas) abgesagt werden wegen Morddrohungen durch fundamentale Christen. Auch in Kanada wurden jüngst Drag-Queen-Märchenstunden gestört von aufgebrachten Christen, die in Ottawa eine Veranstaltung stürmten und den Kindern erklärten, sie würden «in einen See aus Feuer geworfen werden» wegen der Teilnahme an solch einem Event.
Deutsche Version Auch in Deutschland gibt es die «Drag Queen Story Hour», wo Drag Queens, Drag Kings und andere Drag Künstler*innen vorlesen und mit Kindern interagieren. In Berlin veranstaltete die Kinder- und Jugendbibliothek in der Amerika Gedenkbibliothek dieses Jahr in einer «Queeren Woche» eine solche Aktion zum 50-Jahre-Stonewall-Jubiläum.
Die Initiatorinnen sind Evyonne Muhuri und Dora Andoulika, die solche Leseaktionen üblicherweise selbst finanzieren bzw. Gelder bei Eltern einsammeln. Für die «Drag Queen Story Hour» im CSD-Jubiläumssommer wurden sie allerdings von der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) eingeladen und auch bezahlt. Die Veranstalterinnen luden daraufhin die bekannte Aktivistin Kaey sowie Candy Crash als Vorleserinnen ein, die sich über ein übervolles Auditorium in der AGB freuen durften.
Subversivität gehört dazu Drag Queen Gaby Tupper sagt zu MANNSCHAFT, mit Blick auf die neue Aktion in Schweden: «Natürlich finde ich es grundsätzlich gut, wenn solche Projekte eine öffentliche Förderung bekommen und würde mir so etwas auch für Deutschland wünschen. Aber wir alle kennen das bürokratische deutsche System und wissen, wie schwer es ist, so etwas abzurechnen. Das würde der Subversivität der ‹Drag Queen Story Hour› ein bisschen die Kraft nehmen.»
Und Subversivität soll schliesslich auch vermittelt werden!
Gaby Tupper war 2019 selbst in ein ähnliches Projekt eingebunden, das «CSD an der Schule» hiess. Sie wurde dafür in eine Oberschule in Berlin-Dahlem eingeladen, um den Schülern und Schülerinnen dort im Rahmen eines Projekttages etwas zu Homosexualität und Transidentität zu erzählen. Dafür setzte sich Tupper mit Gruppen von je 15 Teilnehmenden in einen Klassenraum und beantwortete alle Fragen, die ihr gestellt wurden – unter der Bedingung, dass keine Lehrer und keine Eltern dabei sind.
«Die meisten wollten wissen, immer wieder und wieder, ob meine Brüste echt sind und ob ich eine Frau sein will», erinnert sich Tupper. Diese Art des direkten Gesprächs und Fragens ist ihrer Meinung nach wichtig, findet aber auf einer anderen emotionalen Ebene statt als eine Märchenstunde. «Märchen berühren Kinder auf ganz andere Weise», sagt Tupper. «Denn Kinder kennen die Märchengeschichten, sie sind mit ihnen vertraut, deswegen gibt es erst mal eine gewissen Grundsicherheit, die ihnen hilft, die Angst vor diesem fremden grossen bunten Wesen zu überwinden, das da vor ihnen steht.»
Vertrauen schaffen Das schaffe sofort Vertraulichkeit. Auch deshalb, weil Kinder mit einer solchen Vorlesesituation meist Menschen assoziieren, die zu ihrer engsten Familie gehören, auf alle Fälle Menschen, bei denen sie sich sicher fühlen. «Mit dieser Ausgangssituation erreicht man Kinder ganz anders», so Tupper zu MANNSCHAFT.
Die deutsche Gruppe hat eine eigene Facebook-Seite mit dem Titel «Over The Rainbow – Story Time», organisiert von Dora Andoulika. Dort kann man ganze Fotoserien anklicken, die zeigen, wie harmonisch die Berliner Veranstaltung im Sommer 2019 verlief. Was angesichts von «besorgten Eltern» keine Selbstverständlichkeit ist. Kaey erinnert sich, dass es nur eine einzige «dumme Email» gab, von einem anonymen Absender, der wissen wollte, ob die Veranstalter die Drag Queens denn «auf Vorstrafen gescannt» hätten, um möglichen Kindesmissbrauch zu verhindern.
Ansonsten berichtet Kaey im Gespräch mit MANNSCHAFT, wie offen die Kinder waren: «Es interessiert sie überhaupt nicht, was du anhast und wer du bist. Sie wollen die Geschichten hören.»
Spielgruppe weist Kinder ab, weil sie zwei Papas haben
Die Eltern interessiert es natürlich schon eher. Umso positiver war Kaey überrascht, dass auch eine muslimische Frau mit ihren beiden Söhnen dabei war, ungefähr 3 und 5 Jahre alt. Die Jungs hörten sich erst die Märchen an, sie liessen sich anschliessend auch von den Vorleserinnen schminken. Ohne Probleme!
Kaey sagt, dass solche Events regelmäßig stattfinden sollten und nicht nur in Berlin, sondern bundesweit. Bislang sei dies allerdings nicht passiert. Um das möglich zu machen, würden hierzulande 162.000 Euro sicher auch helfen, 1,7 Millionen noch mehr. Subversivität hin oder her.
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