«Dieses dunkle Kapitel Bundeswehrgeschichte» nicht schliessen!
Reaktionen auf das Gesetz zur Rehabilitierung, das am Mittwoch im Kabinett beschlossen wurde
Bis ins Jahr 2000 wurden homosexuelle Soldaten bei der Bundeswehr diskriminiert. Jetzt werden sie rehabilitiert. Die Verteidigungsministerin sagt, sie wolle die Würde der Betroffenen wiederherstellen.
Sie freue sich sehr, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) am Mittwoch nach dem Beschluss im Kabinett. Sie hoffe, dass der Deutsche Bundestag nun schnell den Weg frei mache. Der Arbeitskreis queerer Soldat*innen, QueerBW, dankte der Ministerin für das «wichtige Zeichen». Deren Vorsitzender hatte zuvor in einem MANNSCHAFT-Gastbeitrag Zweifel an einem ernsthaften Interesse an einem Wertewandel in der Bundeswehr angemeldet.
Zum Gesetz zur Rehabilitierung erklärten Sven Lehmann, Sprecher für Queerpolitik, und Tobias Lindner, Sprecher für Sicherheitspolitik der Grünen Bundestagsfraktion: «Wir begrüssen ausdrücklich, dass die Entschädigung der bis zum Jahr 2000 andauernden Diskriminierung in der Bundeswehr endlich auf den Weg gebracht wird und zusätzlich eine Studie zur Aufarbeitung der systematischen Diskriminierung und Benachteiligung von homosexuellen Soldaten in Auftrag gegeben werden soll.»
Jens Brandenburg, Sprecher für LGBTI der FDP-Bundestagsfraktion, erklärte, der politische Druck habe gewirkt: «Noch im Frühjahr hat die Verteidigungsministerin unsere Forderung nach einer Rehabilitierung diskriminierter Bundeswehrangehöriger vehement abgelehnt. Heute legt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, der unsere Forderungen zum grossen Teil aufgreift. Die Ministerin ist über ihren eigenen Schatten gesprungen und das freut mich sehr. Der Gesetzentwurf ist ein überfälliges und wichtiges Signal an die Betroffenen. Jahrzehntelang haben die Bundeswehr und auch die NVA homosexuelle Soldaten mit unehrenhaften Entlassungen und Berufsverboten schikaniert. Kein Gesetz der Welt kann das ungeschehen machen. Die Aufhebung truppendienstgerichtlicher Urteile und eine finanzielle Anerkennung sind wir den Betroffenen schuldig.»
Die Entschädigung für diskriminierte homosexuelle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und der Volksarmee der DDR komme zu spät, kommentiert die Frankfurter Rundschau (FR) am Mittwoch.
«Das Verteidigungsministerium hat sich viel zu viel Zeit gelassen, für dieses symbolische Zeichen – rund 20 Jahre nach dem offiziellen Ende der institutionellen Diskriminierung in der Armee. Und 3000 Euro für verhinderte oder gar zerstörte Karrieren sind alles andere als grosszügig. Da kann, da sollte nachgebessert werden. Und schon gar nicht sollte «dieses dunkle Kapitel Bundeswehrgeschichte» geschlossen werden. Luftwaffe, Marine und Heer sollten vielmehr diesen Teil ihrer Historie erforschen und dokumentieren, wie es den Betroffenen über die Jahrzehnte ergangen ist.» Auf diesem Wege könnten sie all jenen gerecht werden, die nicht die Vorgaben des Gesetzes erfüllen und leer ausgehen. Zusätzlich könnte weiter gegen die verbale Diskriminierung vorgegangen werden, über die Einzelne nach wie vor berichten, so der Kommentar in der FR.
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Homosexuelle Soldaten sollen für erlittenes Unrecht rehabilitiert und mit dem symbolischen Betrag von 3000 Euro entschädigt werden. Das Kabinett beschloss am Mittwoch den Entwurf eines Gesetzes, das Urteile der Truppendienstgerichte wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen aufhebt. Die finanzielle Entschädigung erhalten neben den verurteilten Soldaten auch diejenigen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung entlassen, nicht mehr befördert, degradiert oder nicht mehr mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut wurden. Das gilt sowohl für Bundeswehrsoldaten als auch für Angehörige der ehemaligen Nationalen Volksarmee der DDR.
Das Verteidigungsministerium schätzt, das etwa 1000 Betroffene die Entschädigung beantragen werden. Der Gesetzentwurf muss noch vom Bundestag beschlossen werden. Die Zustimmung des Parlaments gilt aber als sicher.
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, die sich in diesem Jahr überraschend auf die queeren Angehörigen der Bundeswehr zubewegt hatte (MANNSCHAFT berichtete), nannte den Gesetzentwurf ein «grosses Zeichen gegen Diskriminierung». Zwar könne man erlittenes Unrecht nicht wiedergutmachen. Mit der Rehabilitierung und Entschädigung setze man aber «ein Zeichen der Wiederherstellung der Würde dieser Menschen, die nichts anderes wollten, als Deutschland zu dienen», sagte die CDU-Chefin. «Das ist ein grosses persönliches Unrecht, das diesen Menschen widerfahren ist, und es ist ein Zeichen dafür, dass die Bundeswehr lange Diskriminierung in ihren eigenen Reihen geduldet, ja systematisch auch erlaubt hat.»
Homosexuelle Handlungen waren in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 eine Straftat und beschäftigten auch die Truppendienstgerichte. Homosexuelle Soldaten mussten in den Anfangsjahren der 1955 gegründeten Bundeswehr zudem damit rechnen, degradiert oder entlassen zu werden. Später konnten sie zwar in den Streitkräften bleiben, wurden aber nicht mehr mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut. Erst durch die Aufhebung eines Erlasses zur Personalführung homosexueller Soldaten am 3. Juli 2000 wurde die institutionelle Diskriminierung von Schwulen und Lesben bei der Bundeswehr beendet.
Mitte September veröffentlichte das Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr unter dem Titel «Tabu und Toleranz» eine Studie zum Umgang der Bundeswehr mit homosexuellen Soldaten. Die Diskriminierungen fingen danach im Truppenalltag mit Redensarten wie «79 Zentimeter sind schwul, 81 Zentimeter sind Fahnenflucht» an. Das bezog sich auf die 80 Zentimeter Abstand, die man beim Marschieren im Gleichschritt zum Vordermann zu halten hat.
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Drastische Konsequenzen drohten Soldaten, deren Homosexualität bekannt wurde. Klaus Storkmann, der Autor der mehr als 400-seitigen Studie, zitiert aus zahlreichen Urteilen der Truppendienstgerichte. Nur ein Beispiel aus dem Jahr 1964: Einem 32-jährigen Familienvater wurde wegen «gleichgeschlechtlicher Unzucht» die Versorgungsansprüche gestrichen und er wurde – obwohl schon aus dem Dienst ausgeschieden – vom Stabsunteroffizier zum Obergefreiten degradiert. «Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats müssen homosexuelle Verfehlungen eines Soldaten disziplinar streng geahndet werden, weil ein derartiges Verhalten die soldatische Gemeinschaft, die Kameradschaft und die Sauberkeit der Truppe in hohem Masse gefährdet», hiess es in dem Urteil.
Bis 1979 war Homosexualität auch ein Ausmusterungsgrund für Wehrpflichtige. Homosexuelle Offiziere und Offiziersanwärter wurden als generelles Sicherheitsrisiko angesehen. Der bekannteste Fall ist der Vier-Sterne-General und damalige stellvertretenden Nato-Oberbefehlshaber in Europa, Günter Kießling, dem 1983 Erpressbarkeit wegen angeblicher Homosexualität vorgeworfen wurde. Er wurde vorzeitig in den Ruhestand versetzt, später aber rehabilitiert, nachdem sich die Gerüchte als haltlos erwiesen.
Noch 1984 konstatierte die Personalabteilung des Verteidigungsministeriums: «Ein Offizier oder Unteroffizier, der angibt, homosexuelle Neigungen zu haben, muss damit rechnen, nicht mehr befördert oder mit höherwertigen Aufgaben betraut zu werden.» Erst im Jahr 2000 änderte sich diese Haltung. Den Schlusspunkt setzte wieder die Personalabteilung des Ministeriums mit folgender Verfügung: «Homosexualität stellt keinen Grund für Einschränkungen hinsichtlich Verwendung oder Status und somit auch kein gesondert zu prüfendes Eignungskriterium dar.» (dpa)
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