«Ich liebe die Pride – und sie macht mich wütend»
Von der Bedeutung und den Herausforderungen einer wachsenden Bewegung
Die Pride-Bewegung hat sich stark entwickelt, doch mit ihrem Wachstum stellen sich neue Herausforderungen. In ihrem Kommentar* reflektiert unsere Autorin, Anna Rosenwasser, ihre Ambivalenz als Teilnehmerin der Zurich Pride und thematisiert Sichtbarkeit, Kommerzialisierung und politische Bedeutung.
Wenn du rausfinden willst, ob dein Gegenüber queer ist, dann frage, ob es an die Pride geht. Nicht, weil ein Ja auf Queersein und ein Nein auf Nicht-Queersein schliessen lassen würde. Und doch wird die Antwort des Mitmenschen viel über ihn aussagen. Er könnte euphorisch vom letzten Umzug schwärmen. Berichten, wie er seine lesbische Mutter begleitet hat. Schimpfen, warum er die Pride boykottiert. Oder entgegnen, dass er noch nie da war, weil es ihm zu gross ist. Oder aber, weil es ihm zu queer ist.
Ich bin jedes Jahr Teil der Zurich Pride, mal mit einer Rede, mal moderierend, ich organisiere Treffpunkte und mache Werbung für den Anlass. Gleichzeitig nimmt mich jedes Jahr irgendeine Form der Irritation ein: über die Präsenz von Grosskonzernen, über Toilettenpreise, über rechte Parteien (These: Das ist alles miteinander verwandt).
Letztes Jahr landete ich während des Umzugs aus Versehen im Block von Google, um mich herum alles so einheitliche Shirts und so ein artifizieller Firmen-Vibe, das war das Gegenteil von «Born This Way».
Womöglich ist es die wachsende Grösse von Prides und CSDs, die mir diese Sorgen beschert. In Zürich sind es Zehntausende mehr als noch vor wenigen Jahren. Gleichzeitig hau’ ich mir auf meine linksradikalen Finger und erinnere mich daran: Mainstream ist nicht immer schlimm. Eine grosse, kommerzielle Pride bedeutet eben auch Sichtbarkeit, Zugänglichkeit und politische Schlagkraft. Dass so viele Verbündete da sind – oder kritischer ausgedrückt: dass manche Prides nicht-queere Menschen ansprechen wollen – , ermöglicht ungeouteten Menschen einen einfacheren Zugang.
Sie sind dann offiziell dort als Verbündete und können gleichzeitig Regenbogenluft schnuppern. Dass Verbündete willkommen sind, hat sowieso einen grossen Wert: Du kannst dein trans Mami, deine pansexuelle beste Freundin oder dein nichtbinäres Kind begleiten. Letztes Jahr bin ich an der Pride dem Vater eines nicht-binären Mitmenschen von mir begegnet. Er ist Pfarrer.
Ich liebe die Pride, und sie macht mich wütend.
Was vor allem wir politischen Aktivist*innen nicht vergessen dürfen: Die Prides und CSDs erreichen oft Menschen und soziale Schichten, die queere Verbände kaum erreichen. In Zürich, wo ich lebe, fand die Pride letztes Jahr im Zeichen von trans Menschen statt. Happig, dass es das erste Mal war.
Eindrücklich aber, wie präsent trans Identitäten waren, auch in der Kampagne drumherum, in Zeitungen, auf Plakaten, in Podcastformat. Auch das ist möglich, weil eben Geld fliesst. Gleichzeitig ist die meiste Arbeit dahinter ehrenamtlich. Es ist kompliziert: Ich will nicht, dass unsere Community von Grosskonzerngeldern abhängig ist, aber ich liebe die Vorzüge, die das mit sich bringt.
Diese Ambivalenz muss ich aushalten. Ich liebe die Pride, und sie macht mich wütend. Ich bin Teil von ihr, und ich kritisiere sie. Ich glaube, diese Widersprüchlichkeit ist Teil des Queerseins. Immerhin empfinde ich sie, während ich mit zehntausenden Queers für ein lebenswertes Leben demonstriere.
Bi the way
«Bisexuell, Berufsaktivistin und Büsi*-Fanatikerin. Anna Rosenwasser ist Polit-Influencerin und lebt in Zürich.»
[email protected] *Büsi ist Schweizerdeutsch für Katze Illustration: Sascha Düvel
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*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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