In Sachen Vielfalt hat der Filmpreis Lola viel Nachholbedarf
Vielfalt wird beim Deutschen Film immer noch verklausuliert thematisiert, wie die Preisverleihung am Freitag zeigt
Der deutsche Filmpreis Lola wurde am Freitag verliehen – und mal wieder zeigt sich, dass queere Menschen so wie queere Themen so gut wie unsichtbar sind. Ein Gastbeitrag von Kai S. Pieck, Regisseur/Autor und Initiator der Queer Media Society, einem ehrenamtlich organisierten Netzwerk nicht-heteronormierter Medienschaffender.
Es war im Jahr 1991: Rosa von Praunheim outet Alfred Biolek und Hape Kerkeling bei RTL. Ein Skandal! Und zwar nicht, weil die beiden Fernsehlieblinge schwul sind (was damals noch strafbar war), sondern weil Praunheim es ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen tat. Beide bestätigen später, was für ein Befreiungsschlag es letztlich für sie war – auch wegen der souveränen Reaktionen des Publikums, das ihnen die Treue hielt.
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28 Jahre später: Paragraf 175 ist Geschichte. Aber noch immer herrscht dieselbe Angst prominenter Menschen sich zu outen, weil Entscheider*innen ihnen einreden, «das Publikum» akzeptiere es nicht, wenn geoutete homosexuelle Schauspieler*innen den hetero Love Interest verkörpern oder ebensolche Sportler*innen im Wettkampf ihr Land vertreten.
Privatleben soll tabu sein Ungeoutete Schauspieler*innen behaupten dazu: «Wenn ich mich oute, werde ich nicht mehr besetzt» oder „dann bekomme ich nur noch homosexuelle Rollen angeboten» (von denen es eh kaum welche gibt). Bei den Stars, die eigentlich ein besonders gutes Standing haben müssten, heisst es: «Mein Privatleben ist generell tabu» und «wenn ich es einmal sage, dann werde ich von der Presse nur noch darauf angesprochen.»
Erstaunlicherweise schaffen es letztere aber, sich mit der Presse zu arrangieren, wenn es darum geht, nicht auf ihr Privatleben angesprochen zu werden – gerade wenn bekannt ist, dass er*sie homosexuell ist. Warum soll dann also nicht auch steuerbar sein, dass man nicht nur darauf reduziert werden will? Dass andererseits viele geoutete Prominente sich für alle möglichen Themen einspannen lassen ausser für die Belange der eigenen Community, läuft im Endeffekt auf dasselbe hinaus.
Es ist auch nicht verwunderlich, dass beim diesjährigen Deutschen Filmpreis Hape Kerkelings Biopic Der Junge muss an die frische Luft eine Lola erhielt, in dem – im Gegensatz zur autobiografischen Buchvorlage – seine Homosexualität mit keinem Wort erwähnt wird. Sein «Anderssein» wird zwar liebevoll dargestellt, aber eben nur stereotyp bebildert: der Kleine interessiert sich für männliche Unterwäsche-Models, will als Karnevalsprinzessin gehen und Oma ist sicher, er wird Junggeselle bleiben. Auch wenn all das vielleicht wirklich so passiert ist, aber wird hier nicht wiedermal versucht, das breite Publikum übervorsichtig mit einem «Nischenthema» zu «konfrontieren»?
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Der neue Präsident der Deutschen Filmakademie, Ulrich Matthes, hat in seiner Lola-Eröffnungsrede zwar sehr leidenschaftlich und politisch gesprochen. In puncto Vielfalt aber leider genauso verklausuliert wie in Kerkelings Film thematisiert, dass es zukünftig «diverser» im Deutschen Film zugehen müsse. Anstatt klar für Diversität vor und hinter der Kamera einzutreten und eine Vision für die Akademie selbst aufzuzeigen, wie diese auch hier zukünftig erreicht werden soll. Wann hören wir endlich auf, um den heissen Brei herumzureden und zeigen, um es in Anlehnung an Kerkelings Filmpreis-Laudatio zu sagen: «Respekt für Andersdenkende, Andersfühlende, Andersglaubende und Andersaussehende? Wir verlieren sonst irgendwann den Respekt vor uns selbst!»
Die wichtigsten Gewinner des 69. Deutschen Filmpreises:
Bester Spielfilm: Lola in Gold «Gundermann» von Andreas Dresen, Lola in Silber: «Styx» von Wolfgang Fischer, Lola in Bronze: «Der Junge muss an die frische Luft» von Caroline Link
Beste Doku: «Of Fathers and Sons» von Talal Derki
Regie & Drehbuch: Andreas Dresen für «Gundermann»
Nebendarsteller: Alexander Fehling in «Das Ende der Wahrheit»
Besucherstärkster Film: «Der Junge muss an die frische Luft» von Caroline Link
Ehrenlola für herausragende Leistungen: Regisseurin Margarethe von Trotta
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