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„Die Kirche fördert weltweit die Kriminalisierung von Homosexuellen“

Es war im Oktober 2015, am Vorabend der Weltbischofssynode im Vatikan, als Krzysztof Charamsa sich öffentlich outete und zugab, in einer homosexuellen Beziehung zu leben. Seine Posten als Assistenzsekretär der Internationalen Theologischen Kommission und als Dozent an zwei päpstlichen Universitäten verlor Charamsa sofort, ebenso sein Priesteramt. Er lebt heute mit seinem Lebensgefährten in Barcelona. Nun ist sein Buch „Der erste Stein“ erschienen. Darin rechnet der ehemalige Priester  mit der römisch-katholischen Kirche ab, kritisiert vor allem den homophoben Klerus und verschont auch die Päpste Benedikt XVI. und Franziskus nicht.

Herr Charamsa, Sie beschreiben die Katholische Kirche als Institution, die Seminaristen zu Heuchelei und Unaufrichtigkeit erzieht und funktionierende Soldaten aus ihnen macht. Sie sprechen von sektengleichen Vorgängen: von Bespitzelung und Denunziation, von Feindseligkeit und sogar von Terror. Da Sie davon ausgehen, dass im Vatikan jeder zweite Mann schwul ist: Warum kehren nicht mehr Schwule dieser grausamen Kirche den Rücken?
Keine Frage, es gibt schlechte Seiten an der Kirche, ich habe sie erfahren, aber nach wie vor glaube ich auch an ihre guten Seiten. Mir geht es darum, die schlechten Seiten zu benennen, weil die Kirche sich wandeln muss, sie braucht eine Revolution. Homosexuelle Priester haben in der Kirche keine Lobby, die ihre Menschenrechte verteidigt. Sie sind Teil eines homophoben und frauenfeindlichen Systems, das sie verachtet, und wenn sie sich nicht outen, tragen sie dieses System weiter mit. Viele haben natürlich Angst davor, ihren Ruf zu verlieren und noch dazu ihre Berufung, das macht ihr Coming-out schwierig. Aber auch, wie ich finde, umso nötiger. Wir brauchen eine Reform, die die Kirche zum Umdenken bewegt, nicht nur in Sachen Homosexualität, sondern menschlicher Sexualität allgemein.

Man müsste eigentlich erwarten, dass es nach Ihren Enthüllungen einen Aufschrei gibt, dass die Gläubigen weglaufen, dass sich die Kirche vielleicht sogar verändert. Ist das naiv?
Ich bin überzeugt, dass jeder einzelne Protest, jeder einzelne Bericht über dieses inhumane System etwas bewirkt, aber ich erwarte keine sofortigen Änderungen. Die schwarze Aktivistin Rosa Parks lehnte sich 1955 gegen das Gesetz auf, das ihr untersagte, den Sitzplatz eines weißen Fahrgasts einzunehmen. Das war sozusagen das „Coming-out“ einer afroamerikanischen starken Frau, die sagt: Ich bin ein Mensch, ich habe Rechte. Aber die Auswirkungen solcher großen Gesten sehen wir erst viel später. Außerdem ist es schwierig, die Schwulen- und Frauenfeindlichkeit der Kirche anzuprangern, denn die Kirche versteckt sie sehr perfide hinter den süßen Worten der Liebe.


[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Ich konnte nicht länger Teil dieser Propaganda sein.[/perfectpullquote]

Sie schreiben in Ihrem Buch, Sie träumten als Jugendlicher davon, der Wahrheit dienen zu können (gemeint war diejenige im Besitz der Kirche, die sie hütet). Nun dienen Sie mit Ihren Enthüllungen tatsächlich der Wahrheit. Hat sich Ihr Traum auf Umwegen doch noch erfüllt?
Sie haben Recht, mit meinem Coming-out bin ich der Wahrheit treu geblieben und damit glücklich versöhnt mit mir und meinem Jugendtraum. Der Kirche sage ich heute: Wir haben einen Teil der Wahrheit verloren, wir lehren Lügen und Vorurteile über Sexualität. Ich konnte nicht länger Teil dieser Propaganda sein.

Teil 2: „Es gibt Bereiche, in denen Diskriminierung nicht ungerecht ist“



«Als Schwarzer wird man eher übersehen»

«Im Fernsehen einen schwulen Jugendlichen zu sehen, war eine Revolution.»