Der schwule Mann – beziehungsunfähig?
Hinter der Angst, sich zu binden, steckt nicht selten eine tiefe Angst vor Zurückweisung
Viele Schwule hätten Mühe, eine Beziehung einzugehen, liest man häufig. Was ist dran, am Bild des «Bindungsscheuen»? Eine Frage, die nicht zuletzt mit dem Coming-out zusammenhängen kann.
«Irgendwie ist es seltsam», sagt Kevin. «Die meisten schwulen Männer wünschen sich eine Beziehung, haben aber irgendwie Angst davor.» Kevin ist Mitte Zwanzig, lebt in San Francisco und unterhält einen YouTube-Kanal, auf dem er Videos zu diversen Themen veröffentlicht.
Einer seiner Clips trägt den Titel «Warum ich und die meisten anderen schwulen Männer Single sind». Darin geht Kevin der Frage nach, wieso «sich viele Schwule schwertun, einen Partner zu finden», wie er es beschreibt. «Manchmal wünsche ich mir wirklich, mit jemandem zusammenzusein», fährt er fort. «Aber dann funktioniert es nicht, weil die andere Person nicht dieselben Vorstellungen hat. Und wenn der andere was will, passt es für mich nicht.» Es sei ein Katz-und-Maus-Spiel, die ganze Zeit. «Das kann sehr deprimierend sein.»
Oft heisst es, Schwule hätten tief sitzende Ängste vor dauerhaften Beziehungen – ich bezweifle das
Das Bild des «unzähmbaren» Mannes Das Video stiess auf grosse Resonanz – bis dato verzeichnet es mehr als 230 000 Aufrufe, und in den über 1700 Kommentaren kam es zu angeregten Diskussionen über das Beziehungsverhalten schwuler Männer. Das Interesse am Thema erstaunt nicht: Kevins Aussagen, seine Erzählungen über das «Katz- und Maus-Spiel», das ewige Hin, das ständige Her dürften fast jedem bekannt vorkommen, der sich auf dem Dating-Markt tummelt – oder schon mindestens einmal eine Liebeskomödie aus Hollywood gesehen hat. Immer wieder hört man von der Schwierigkeit, «den Richtigen» zu finden. Nicht nur bei den Homo-, sondern auch bei den Heterosexuellen. Dem Mann, egal welcher geschlechtlichen Neigung, haftet dabei das Image des freiheitsliebenden Treulosen an, der rastlos durch sein Leben streunt, sich ununterbrochen paaren will und die «Fesseln einer Partnerschaft» scheut wie der Teufel das Weihwasser.
Zu vereinfacht, zu plakativ Dass die Realität nuancierter und nicht derart schablonenhaft aussieht, versteht sich von selbst. Dennoch wird die Beziehungsfähigkeit von Männern gerne mal angezweifelt, jene von Schwulen sowieso. In den Kommentarspalten zu Kevins Video zum Beispiel war mehrmals zu lesen, dass Schwule «nun mal oberflächlich und triebgesteuert» seien, was eine «normale Beziehung» erschwere. Einen weiteren vermeintlichen Grund nennt der Autor Steven Milterton. «Oft heisst es, Schwule hätten tief sitzende Ängste vor dauerhaften Beziehungen – ich bezweifle das», schreibt er auf seiner Homepage. Auch der Basler Psychotherapeut Udo Rauchfleisch relativiert gegenüber der Mannschaft das «immer wieder gehörte Argument, schwule Männer seien nicht bindungsfähig». Ganz so einfach sei es nicht, sagt er. «Das ist ein Thema mit sehr vielen Facetten.»
«Single» nicht gleich «beziehungsunfähig» Zuerst einmal weist Udo Rauchfleisch darauf hin, dass Begriffe wie «Bindungsangst» oder «Beziehungsunfähigkeit» oft falsch verwendet würden. «Die Beziehungsfähigkeit einer Person hängt nicht davon ab, ob sie in einer festen Partnerschaft lebt oder nicht – auch wenn uns das von der Gesellschaft oft suggeriert wird», erklärt er. «Immer wieder habe ich Patienten, die sich selbst für beziehungsunfähig halten, nur weil sie Single sind.» Laut Rauchfleisch geht es vielmehr um die Frage, ob die Person ganz allgemein in der Lage ist, emotional bedeutsame Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und über längere Zeit zu erhalten. «Hierbei kann es sich auch um Beziehungen zu Freunden handeln», so der Psychologe. «Freundschaften, die frei sind von der ganzen Dramatik rund um Sexualität und romantische Gefühle, können eine Liebesbeziehungen zum Teil auch ersetzen – gerade bei Schwulen kommen solchen Freundschaften eine sehr wichtige Bedeutung zu.» Die Frage, ob Menschen beziehungsfähig sind, ist also von derjenigen zu trennen, ob sie einen festen Partner haben.
Mehr möglich als Monogamie Die These des «bindungsunfähigen Schwulen» wird auch durch die simple Tatsache entkräftet, dass viele Schwule in funktionierenden Partnerschaften leben. Oft würden sie ihre Beziehungen dabei zwar freier gestalten als Heteropaare und sich eher von bestehenden Konventionen loslösen, erklärt Udo Rauchfleisch. «Schwule reden in der Regel ziemlich ehrlich darüber, welche Bedürfnisse sie verspüren, gerade im Hinblick auf eine allfällige Beziehungsöffnung.» Der Unterhalt sexueller Kontakte zu verschiedenen Menschen schliesst nach Ansicht des Psychotherapeuten aber nicht aus, dass man gleichzeitig ernsthafte, tiefe Gefühle für seinen Partner hegt. «Diese beiden Dinge können nebeneinander bestehen.» Diesen Schluss legen auch mehrere Studien nahe, die in den letzten Jahren erschienen sind.
Schwule reden in der Regel ziemlich ehrlich darüber, welche Bedürfnisse sie verspüren, gerade im Hinblick auf eine allfällige Beziehungsöffnung.
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2015 zum Beispiel ergab, dass «nicht-monogame Schwulenpaare unter Umständen sogar zufriedener sind und sich näher stehen als ihre sexuell exklusiven Pendants», wie die Zeitung The Guardian berichtete. Dass offene Beziehungen nicht das perfekte Beziehungsmodell für jeden und alle darstellen, dass sie auch Risiken bergen und nicht jederzeit einem Spaziergang bei Sonnenschein gleichkommen, ist klar. Logisch sollte aber auch dies sein: «Aus der Tatsache, dass viele Schwule in einer offenen Beziehung und somit sexuell nicht exklusiv leben, kann man nicht automatisch ableiten, dass sie beziehungsunfähig sind», wie Udo Rauchfleisch resümiert. Und für den US-amerikanischen Psychologen Joshua Matacotta steht fest: «Gute Partner sind offen, ehrlich und dazu bereit, die Bedingungen der Beziehung zu verhandeln – unabhängig davon, ob diese offen oder geschlossen ist», schreibt er auf goodmenproject.com.
Zufrieden oder nicht? Trotz alledem: Dass einige Schwule feste Liebesbeziehungen meiden oder Mühe haben, eine solche zu führen, ist nicht von der Hand zu weisen. «Ja, das kann sehr wohl vorkommen», sagt Udo Rauchfleisch. Das ist unbedenklich, wenn es den Betroffenen gut geht dabei – zum Beispiel, weil ihnen das Beziehungsleben schlicht nicht zusagt und sie Liebe, Zuneigung und zwischenmenschliche Nähe aus einem soliden Freundes- und Bekanntenkreis ziehen. Es gibt aber auch jene, die sich unwohl fühlen in ihrem Zögern, sich vorbehaltslos auf einen Partner einzulassen. Manche hadern vielleicht mit der Tatsache, dass sie Beziehungen immer wieder abbrechen, ohne wirklich zu wissen, warum. In diesen Fällen kann es sich lohnen, genauer hinzuschauen und zu versuchen, die Ursachen der als störend empfundenen Verhaltensmuster zu eruieren.
Belastende Stressfaktoren Laut Udo Rauchfleisch kann der sogenannte Minoritätenstress ein wichtiger Grund sein. Dieser entsteht, wenn eine Person nicht dem Mainstream, sondern einer stigmatisierten Minderheit angehört. «Zusätzlich zum Stress, den jeder Mensch im Alltag erfährt, verspüren Mitglieder einer Minderheit insofern zusätzliche Belastungen, als sie beispielsweise mit Diskriminierung zu kämpfen haben.» Die Diskriminierung kann sich dabei in verschiedensten Formen manifestieren. Sie ist grob, einschüchternd und unmittelbar spürbar, wenn sie sich in gewalttätigen Übergriffen oder Beleidigungen äussert.
Sie kann aber auch subtiler wirken, etwa wenn sie im Gewand rechtlicher Ungleichheit daherkommt. «Homosexuelle Partnerschaften waren lange Zeit staatlich nicht anerkannt», erläutert Rauchfleisch. Dadurch seien sie destabilisiert worden. «Rechtliche Anerkennung bedeutet soziale Anerkennung.» Wenn letztere fehlt, dann kann dies – sowohl in den Augen der Mehrheitsbevölkerung als auch im Empfinden der Schwulen und Lesben selbst – zu einer Entwertung gleichgeschlechtlicher Beziehungen führen.
«Ständig erhalten wir diese Bilder von aussen», sagt Rauchfleisch. «Wer gewisse Dinge immer wieder hört, tendiert dazu, sie zu verinnerlichen.» Sei es nun die Botschaft, dass homosexuelle Liebe den staatlichen Segen nicht verdiene, sei es die Ansicht, wonach schwule Männer keine Partnerschaften eingehen und führen könnten. «So hält man sich mit der Zeit womöglich selbst für beziehungsunfähig», erklärt der Psychotherapeut. «Oder man glaubt, dass eine homosexuelle Beziehung gar nichts Wertvolles oder Erstrebenswertes darstellt.» Zusätzlich bestehe die Gefahr, dass man die eigenen Überzeugungen auf sein Gegenüber projiziert. «Und schon gehen wir davon aus, dass auch der Partner nicht bindungsfähig ist.»
Keine Gefühle, nur Sex? Dasselbe Denkmuster spricht auch Joshua Matacotta an: «Eine Beziehung mit einem Mann einzugehen, heisst manchmal auch, sich automatisch Sorgen über dessen Treue zu machen.» Diese Bedenken seien nicht zuletzt das Ergebnis der Wertvermittlung, die in unserer Gesellschaft stattfindet: «Hoch angesehen ist der attraktive, freie und sexuell umtriebige Mann», so der Psychologe. Demgegenüber würden sowohl schwule als auch heterosexuelle Männer von ihren Gefühlen «wegsozialisiert». «Wer als Mann ein Bedürfnis nach emotionaler Intimität und Nähe ausdrückt, wird oft als schwach angesehen – und das wollen die meisten verhindern.» Das Ergebnis: Man ist überzeugt, der Mann wolle sowieso nur Sex, um es vereinfacht auszudrücken.
Das gleiche Phänomen beschreibt auch Matacottas Berufskollege Michael Radkowsky. «Männer werden dahingehend sozialisiert, dass sie sich ohne Bedenken und Skrupel auf die Jagd nach Sex begeben können.» Gerade unter Schwulen komme Letzterem ein hoher Stellenwert zu, sodass Erfolg in der Szene oft darüber definiert werde, wie begehrenswert jemand ist und wie viele «Eroberungen» er verzeichnet. All das erhöht den Druck, einem gewissen Erscheinungsbild und Lebensstil zu entsprechen. Für einige wird es somit zur Herausforderung, «ein sexuell wie emotional gesundes Lebens zu führen» oder einem anderen Mann zu vertrauen.
Prägende Jahre Einzugehen ist schliesslich auch auf die Tatsache, dass Homosexuelle ein Coming-out durchmachen müssen. Die Zeit, die diesem vorausgeht, stellt oft eine psychische Belastung dar – ein weiterer, wichtiger Faktor für die Entstehung von Minoritätenstress. «Viele homosexuelle Jugendliche verbergen ihr wahres Ich während Jahren. Einerseits, weil sie Zurückweisung und negative Reaktionen befürchten. Andererseits fehlt ihnen bisweilen die Gewissheit, stets dafür geliebt zu werden, wer sie sind», sagt Radkowsky. Solche Umstände können nicht nur die Entwicklung eines soliden Selbstwertgefühls erschweren, sondern auch zur inneren Vereinsamung und Isolation führen.
Beispiele hierfür liefert der Autor Michael Hobbes in seinem Artikel «Together alone – the epidemic of gay loneliness». Dieser dreht sich um die Frage, wie es heutzutage um die Psyche des schwulen Mannes bestellt ist. Hobbes verarbeitet in seinem Text nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern schreibt auch die persönlichen Lebenserfahrungen vieler schwuler Männer nieder, mit denen er sich unterhielt. Einer dieser Männer ist Adam. Obwohl dieser nie die Befürchtung hatte, seine Familie könnte homophob sein, passte er sich über die Jahre dahingehend an, dass er «weibliche» Verhaltensmuster fortlaufend aus seinem Benehmen ausmerzte. «Als er in die Highschool kam, hätte niemand mehr den Verdacht geschöpft, Adam könnte schwul sein», schreibt Hobbes.
Ich versuchte, dagegen anzukämpfen, indem ich sehr viel Sex hatte. Ich redete mir ein, intime Momente zu erleben, wenn ich mit jemandem schlafe.
Doch diese Anpassung forderte ihren Tribut. «Ich konnte niemandem vertrauen, weil ich immer dieses Geheimnis mit mir herumtrug», erzählt Adam. «So ging ich zunehmend als einsamer Wolfs durchs Leben.» Adam merkte, wie er sich mehr und mehr von den Menschen um ihn herum distanzierte. Als 16-Jähriger gab er sein Coming-out, etwas später schloss er die Highschool ab und zog nach San Francisco, wo er in der HIV-Prävention zu arbeiten begann. Das Gefühl der Einsamkeit sei aber geblieben, wie Adam gegenüber Hobbes erklärt. «Ich versuchte, dagegen anzukämpfen, indem ich sehr viel Sex hatte. Ich redete mir ein, intime Momente zu erleben, wenn ich mit jemandem schlafe.» Mit der Zeit entwickelte Adam eine Sexsucht, gegen die er sich nun behandeln lässt. «Manche Leute haben viel Sex, weil es ihnen Spass macht – und das ist toll!», wird Adam zitiert. Er hingegen habe versucht, den Sex «wie einen Schwamm auszuwringen», um zu erhalten, was ihm fehlte: das beruhigende Gefühl, getragen und aufgehoben zu sein.
Was fühle ich, was will ich? Adams Beispiel zeigt eines eindrücklich auf: In den meisten Fälle lösen sich nach dem Coming-out nicht einfach alle Probleme sogleich in Wohlgefallen auf. Es ist nicht immer der erhoffte Befreiungsschlag, der auf einmal sämtliche Fesseln durchtrennt, die einen jahrelang zurückgebunden haben. Vielmehr merkt man, dass die Zeit vor dem Outing wie ein Erdbeben wirkte, das Bäume aus dem Boden riss und Gebäude einstürzen liess. Allenfalls vergehen Jahre, bis die Häuser wieder aufgebaut, die Bäume erneut verwurzelt sind.
Mitunter dauert es sehr lange, bis Schwule merken, dass all die Dinge, nach denen sie streben – der perfekte Körper, beruflicher Erfolg oder das ideale Grindr-Date – eigentlich nur die eigene Angst vor Zurückweisung verstärken.
Wie sich die Unterdrückung und Geheimhaltung der eigenen Homosexualität auswirken kann, beschreibt Michael Hobbes, indem er den Stressforscher John Pachankis zitiert: «Viele Schwule wissen nach Jahren der Emotionsvermeidung schlicht nicht mehr, was sie überhaupt empfinden. Der eine sagt ‹Ich liebe dich›, woraufhin der andere antwortet ‹Und ich liebe Pfannkuchen›.» Und so schiessen manch einer den Partner in den Wind, weil «dieser seine Zahnbürste im Badezimmer lässt», schreibt Hobbes. Er habe zum Beispiel auch mit zahlreichen Männern geredet, die ungeschützt mit wildfremden Typen schliefen, «weil sie nicht mehr in der Lage waren, auf ihre eigenen Bedenken zu hören».
Laut Pachankis seien viele schwule Männer losgelöst von ihren wirklichen Empfindungen, schreibt Hobbes. Mitunter dauere es Jahre, «bis sie merken, dass all die Dinge, nach denen sie streben – der perfekte Körper, beruflicher Erfolg oder das ideale Grindr-Date – eigentlich nur die eigene Angst vor Zurückweisung verstärken». Auch Udo Rauchfleisch weiss, welche Effekte der Coming-out-Prozess haben kann: «Wenn eine Person schwer verletzt wird, dann verliert sie unter Umständen das Vertrauen in andere Menschen. Sie wird vorsichtig und hütet sich, verbindliche Beziehungen einzugehen.»
Offen thematisieren All das mag ziemlich negativ klingen, weshalb es umso wichtiger erscheint, an diesem Punkt etwas klarzustellen: Es geht nicht darum, uns Schwulen pauschal den Stempel der psychisch Angeknacksten und emotional Verwirrten aufzudrücken. Aber es ist nun einmal so, dass homosexuelle Menschen häufiger von psychischen Leiden betroffen sind als heterosexuelle. Das ist eine erwiesene Tatsache, die nicht zuletzt Michael Hobbes in seinem Artikel eindrücklich darlegt. Dieses Thema soll und darf offen angesprochen werden. Nur so kann man den Ursachen dieser Beeinträchtigungen auf den Grund gehen, und nur so können wirksame Gegenmassnahmen ergriffen werden – sowohl auf gesellschaftspolitischer als auch auf der individuell-persönlichen Ebene.
Wo stehen wir? Dieser Aspekt ist denn auch zu berücksichtigen, wenn die Frage der «Beziehungsfähigkeit» homosexueller Männer diskutiert wird: Zweifelsohne sind Schwule in der Lage, gesunde Liebesbeziehungen aufzubauen und zu pflegen – zahlreiche tun es. Und wenn es manchmal den Anschein hat, als wäre dem nicht so; wenn manchmal der Eindruck entsteht, Schwule seien bindungsunfähige Schwerenöter, dann liegt das weniger daran, dass wir keine Partnerschaft eingehen und führen können. Vielmehr hängt es damit zusammen, dass wir vielleicht nicht immer wissen und spüren, ob wir eine solche überhaupt wollen oder in welcher Form wir sie wollen.
Auf sich selbst hören Diese Unsicherheit – um noch einmal auf Pachankis’ Erkenntnisse zurückzukommen – rührt bisweilen daher, dass wir Schwulen teilweise erst wieder lernen müssen, auf uns selbst zu hören. Wer jahrelang im sprichwörtlichen «Closet» sitzt, schraubt womöglich einen Deckel auf sein Gefühlsfass. Zu gross ist sonst die Gefahr, verletzt zu werden oder stets aufs Neue zu realisieren, wie sehr man am eigenen Ich mit seinen Bedürfnissen und Wünschen vorbeilebt, indem man sich an die Normen der Mehrheitsgesellschaft anpasst.
Wer es geschafft hat, sich zu outen, verfügt über alle Voraussetzungen, um sich seinen Weg zu suchen – eine dicke Haut, den Glauben an die eigene Person und das Bedürfnis, sich selbst gegenüber aufrichtig zu sein.
Wird das Fass im Zuge des Coming-outs geöffnet, brechen die angestauten Gefühle vielleicht sturzbachartig über einen herein. Diese Flut kann überfordern, und unter Umständen dauert es, bis sie kanalisiert und in ruhigere Bahnen gelenkt ist. Die benötigte Zeit sollte sich jeder nehmen – und dabei nicht nur den anderen, sondern auch sich selbst mit Geduld und Güte begegnen, statt sich unter Druck zu setzen, vermeintlichen Liebesidealen nachzueifern und sich dem Diktat äusserer Vorgaben zu beugen. Psychologe Michael Radkowsky sagt es folgendermassen: «Die gute Nachricht ist: Wer es geschafft hat, sich zu outen, verfügt über alle Voraussetzungen, um sich seinen Weg zu suchen – eine dicke Haut, den Glauben an die eigene Person und das Bedürfnis, sich selbst gegenüber aufrichtig zu sein.»
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