Der Kampf gegen Heteronormativität fühlt sich gut an
Deutschland ist faktisch im kulturellen Gewebe durch und durch heteronormativ, schreibt unser Kommentator
Seit einer guten Woche läuft die #ActOut-Kampagne, und noch immer berichten selbst Lokalzeitungen über das Massen-Coming-out der Schauspieler*innen und interviewen queere Darsteller*innen aus der Region. Jan Feddersen erinnert in seinem Samstagskommentar* an eine ähnliche Aktion vor über 40 Jahren und erklärt: Der Kampf gegen Heteronormativität fühlt sich gut an, weil er erfolgreich sein kann.
Wir waren viele, und wir hatten ein Medium auf unserer Seite, das damals wirklich noch den Rang einer leitkulturstiftenden Illustrierten inne hatte: Der Stern veröffentlichte am 5. Oktober 1978 ein Cover, das mit «Wir sind schwul» betitelt war. 682 Männer machten mit waren mit kleinen Passfotos im Heft gelistet, jeweils mit einem persönlichen Statement. Auf der Titelseite waren es Olaf Hellmich und Martin Schütz, die den Mut aufbrachten – und ihren Stolz darauf mitnahmen –, sich so präsentieren zu können.
Ich war damals dabei, war jung, hatte nichts zu verlieren, meine Eltern wollten über Schwules nicht reden, was mir letztlich egal war – und meine Energie, bei dieser Aktion dabei zu sein, nur beflügelte: Na und? Sie wollen mich nicht anhören – dann zeige ich es ihnen: mich, für alle zu sehen, Nachbarn, Verwandte, Kollegen und Kolleginnen. So what?
Aus heutiger Sicht mag unser Ding von damals trivial erscheinen: «Schwul – na und?», um einen damals populären Coming-Out-Ratgeber von Thomas Grossmann zu zitieren? Klar, das war schon nichts Unbesonderes. Die Kultur des Schweigens über Homosexuelles war ungefähr noch so pandemisch wie es Corona nie werden wird. Homo? Nur eine Vokabel, die allenfalls im verächtlichmachenden Kontext geäußert wurde, es war noch alles in Hetero(männer)hand.
Die Gültigkeit des Paragraphen 175 endete, aus dem Jahr 1978 gesehen, erst neun Jahre zuvor – wir waren keine Objekte, denen man unbedingt «Wokeness» oder «Wertschätzung» erbringen musste, wir mussten uns diese Aufmerksamkeit erst, gelegentlich robust, erkämpfen. Rosa von Praunheim war ein Vorkämpfer sondergleichen, und Jürgen Marcus, ein in den siebziger Jahren populärer Schlagersänger, war für uns kein Idol, kein kämpferisches Vorbild, aber Friede seiner Seele, vielleicht im Himmel: Hätte er sich geoutet, hätte er gleich einen Job im Outback allen Glamours sich suchen können.
Schwules? Das war riskant, und uns, die wir im Stern gelistet waren, war das egal. Okay, manche zogen ihre Unterstützung in letzter Minute zurück, sie wollten Lehrer werden, und ob die Staatsapparate jemals offen homosexuelle Männer ertragen hätte – nein, das wusste niemand. Also für sie galt: Bitte kein Risiko in einer Weise eingehen, die ein ganzes Leben zerstören könnte.
Man war als schwuler Mensch irgendwie kommunikativ kastriert
Aber, wie erwähnt: 682 – das ist die Zauberzahl, und diese hat, zumal die beiden Covermänner so aussergewöhnlich ‚normal‘ aussahen, wie Nachbarn im Mietshaus oder der Eigenheimsiedlung, im Sportverein oder im Kollegenkreis, hat magische Bedeutung insofern, als wir, vermute ich, einen heftigen Schub in Sachen Sagbarkeit uns als Schwule verpassten. Bis dahin traute sich ja kaum jemand, etwa im Kollegenkreis, am Montag nach dem Wochenende vom Ausflug mit dem Freund zu erzählen oder davon, dass man Weihnachten lieber diesmal ohne die Eltern und Schwiegereltern verbringen möchte. Nein, man war als schwuler Mensch irgendwie kommunikativ in den Erzählmöglichkeiten kastriert: Das gehörte sich einfach nicht – nur um den Preis der Beschämung würde man etwas äussern.
#Actout – «Das Egal scheint noch nicht ganz egal zu sein»
Alte Zeiten, vielleicht manchmal heroische Zeiten. Hat sich seither viel geändert? Jede Menge. Und doch nicht genug. Wir haben mit dem Schwung der Schwulenbewegung der achtziger Jahren (gesundheitlichen wie gesellschaftlichen) Aidskrise – bei allen Tränen für die an der Epidemie Gestorbenen – Stand halten können; wir haben Wesentliches in Gesetzesform bringen können, die Zerbröselung der heteroprivilegierenden Ehe etwa zu unseren Gunsten, Antidiskriminierung … Und doch: Der Aktion #ActOut (MANNSCHAFT berichtete) ist nur Beifall zu spenden, laut, am besten lasse man auf alle, die bei dieser Aktion, über 42 Jahre nach unserem Stern-Coming-out, mitmachten, die Schauspieler*innen, Rosen in Hülle und Fülle regnen. Denn ihre Performance zeigt: Deutschland besonders ist ein reaktionäres Landes, faktisch im kulturellen Gewebe noch durch und durch heteronormativ.
Im Fussball der Männer hat es bislang nur ein Promi geschafft, sich zu outen, Thomas Hitzlsperger, und das auch erst nach seiner aktiven Laufbahn. In Film, Funk und Fernsehen dominieren vor allem in den Castingagenturen, in den tonangebenden Büros der TV-Anstalten, bei den Produzent*innen Weltbilder, die uns nicht vorsehen, und wenn, dann nur als Klischees. Diese Aktion war ein Segen für uns und für diejenigen in der Heterowelt, die das heteronormative Zeug (ob ARD, ZDF, Sat1, Pro7 oder RTL) satt haben, auch. Der Kampf geht weiter. Und: Er fühlt sich gut an, weil er erfolgreich sein kann.
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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