Wenn das Berghain schunkelt, dann ist Kylie Minogue da
Das zu 98 % schwule Publikum lag der Sängerin zu Füssen
Im Berliner Club Berghain hat Kylie Minogue ein exklusives Konzert gegeben. Fotografieren durfte man nicht – drüber schreiben ist aber erlaubt.
Man könne einen Plattendeal immer noch nachverhandeln, hat Prince mal gesagt. Dazu müsse man einfach nur zu seiner Plattenfirma gehen und sagen: ‚Wisst Ihr was, ich glaube, mein nächstes Projekt wird ein Country-und-Western-Album.“ Das, so sollte man die Anekdote wohl verstehen, sei abschreckend genug, um sich eine gute Verhandlungsposition zu verschaffen.
Er selber hat dieses Album nie aufgenommen, Kylie Minogue schon. Warum, mag sich der geneigte oder auch weniger geneigte Fan angesichts ihrer neuen Platte „Golden“ fragen. Nachdem man die neuen Songs auf ihrer Promotour gehört hat, die sie am Dienstagabend ins legendäre Berliner Berghain führte, wo ihr an die 600 Fans ergeben lauschten, muss man sagen: Weil sie es kann. Country steht ihr. Und Country macht ihr offensichtlich sehr sehr viel Freude – ebenso wie ihren Anhängern.
Natürlich bleibt Pop ihre Muttersprache. Das hat sich seit 1988, als sie mit „I shoud be so lucky“ ihre Debütsingle veröffentlichte, nicht verändert. Und es handelt sich bei den neuen Songs wie „Golden“ und „Dancing“, die bereits vorab als Single veröffentlicht worden waren, auch eher um Popsongs, die mit einem starken Country-Akzent versehen wurden.
Nun ist der Ausflug ins Countryfach unter Popdiven nichts Neues. Madonna hat es schon im Jahr 2000 gewagt, allerdings war das konsequenteste an ihrem Ausflug der Cowboyhut. Kylie ist mutiger, sie geht viel weiter. Sie hat ihr Album, auf dem sie unter anderem von Banjo und Fiedel begleitet wird, in Nashville aufgenommen. Die Songs, die dort entstanden sind, brachten ihre schwulen Fans im Berghain, wo man sich sonst eher zum Vögeln trifft oder harten Techno zelebriert, zum Schwelgen und Schunkeln. Fotografieren durfte man sie dabei nicht. Nicht wegen Kylie, sondern weil es das Berghain war. Und das ist so fucking heilig, dass sogar die Künstlerin mehrfach ein ernstes Wort an die Konzertbesucher richten musste, damit die ihre Telefone wieder in den Hosentaschen verschwinden ließen.
Bei ihrem Konzert präsentierte sie vor allem die neuen Songs ihres Albums, aber auch einige ältere Songs, darunter das großartige „Breathe“ aus ihrem leider völlig gefloppten „Impossible Princess“-Album aus dem Jahr 1997 – dem Jahr, als Lady Diana starb und in dem man als Wahl-Londonerin einfach keine Platte „Impossible Princess“ nennen konnte. Auch den Song „Hand on your heart“ aus ihrem zweiten Album „Enjoy yourself“, den sie schon auf ihrem „Abbey Road Sessions“ (2012) sehr überzeugend zur Ballade machte, hauchte sie im Berghain absolut hinreißend.
Kylie Minogue singt Dolly Parton Kylie wagte sich sogar gemeinsam mit einem Bandmitglied an den Dolly-Parton- und Kenny-Rogers-Klassiker „Islands in the stream“ – und überraschte und überzeugte damit. Mit den meisten ihrer eigenen neuen Songs vermochte sie das nicht. Die wird im nächsten Jahr schon vermutlich niemand mehr hören wollen. Kylie aber wird man immer lieben. Denn sie ist und bleibt auf diese entwaffnende Art reizend, und wirkt, auch noch mit kurz vor 50, immer noch so lebendig und natürlich wie bei ihrem Debüt vor 30 Jahren. (Im Aprilheft der Mannschaft verrät Kylie, wie sie ihren 50. feiern will – hier geht’s zum Abo!).
Ob ihr Country-Ausflug musikalisch nachhaltig ist? Man wird sehen. Vielleicht hätte sie, stammt sie doch aus der extrem ESC-affinen Nation Australien, den Song der deutschen Finalisten aus dem Jahr 2006 covern sollen, „No no never“ von Texas Lighting, dann wäre das Country-Experiment vollends aufgegangen und Kylie hätte auch mal wieder einen richtigen Hit zu verzeichnen. Zumindest in Deutschland, wo es der Song damals auf Platz 1 schaffte.
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Das zu 98 % schwule Publikum, zu dem am Dienstabend auch der deutsche Modedesigner Michael Michalsky gehörte, lag Kylie auch so zu Füssen. Vermutlich hätten die Gäste ihr ebenso begeistert zugejubelt, wenn sie aus dem Berliner Telefonbuch vorgesungen hätte. Man nennt es Liebe.
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