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Bundesgericht verhindert Streichung des Geschlechtseintrags

Das Transgender Network (TGNS) ist enttäuscht

trans inter
Bild: iStockphoto

Das Bundesgericht hat seinen ersten Entscheid in der Frage gefällt, ob eine im Ausland erfolgte Streichung des Geschlechtseintrags von der Schweiz anzuerkennen sei – und verneinte sie.

Die Ablehnung begründete das Gericht laut TGNS damit, dass das Schweizer Rechtssystem auf einem binären Geschlechtermodell basiere und eine Abkehr davon eines Entscheids des Gesetzgebers bedürfe. Transgender Network Switzerland ist enttäuscht über dieses Urteil, welches die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre ignoriert und die Grundrechte nicht binärer Menschen missachtet.

«Julian P.» wurde in der Schweiz geboren und lebt seit mehreren Jahren in Deutschland. Dort konnte P. dank des deutschen Rechts den Geschlechtseintrag streichen lassen. In der Folge beantragte P. dem Heimatkanton Aargau die Anerkennung dieser Streichung nach Internationalen Privatrecht der Schweiz, dass also der Geschlechtseintrag auch aus den Schweizer Registern gestrichen werde. Gemäss Gesetz (Art. 25 IPRG) ist ein solcher ausländischer Entscheid anzuerkennen, wenn er von einer zuständigen ausländischen Instanz gefällt wurde, endgültig ist und nicht gegen den sogenannten Ordre public verstösst.

Das Departement für Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau lehnte den Antrag ab, wogegen P. erfolgreich Beschwerde beim Obergericht Aargau erhob. Das Obergericht setzte sich ausführlich mit der gesellschaftlichen Entwicklung in der Schweiz auseinander, die nicht binären Geschlechtsidentitäten zunehmend offen und anerkennend begegnet. Weil das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement gegen diesen Obergerichtsentscheid Beschwerde erhob, hatte das Bundesgericht über den Fall zu entscheiden.


«Ausländischen Entscheiden darf grundsätzlich nur dann die Gefolgschaft verweigert werden, wenn sie in fundamentalem Widerspruch zu elementaren Grundsätzen unserer Rechtsordnung stehen. Ansonsten entstehen sogenannt hinkende Rechtsverhältnisse, das heisst unterschiedliche Rechtssituationen je nach Land. Vorliegend hat Julian P. nun einen anderen Geschlechtseintrag in Nachbarländen. Gerade mit Blick auf die Europäische Menschenrechtskonvention wäre daher ein anderer Entscheid nicht nur vertretbar, sondern indiziert gewesen. Es irritiert, wenn die schweizerische Rechtsordnung beispielsweise uns völlig fremde Gesellschaftsgebilde wie einen Trust anerkennt, hier aber dem Registereintrag aus Deutschland die Anerkennung verweigert», ordnet Rechtsanwalt Stephan Bernard, der P. vertritt, den Entscheid des Bundesgerichts ein.

«Immerhin hat das höchste Gericht aber sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass nach seiner Ansicht die Politik die offene Thematik einer befriedigenden Lösung zuführen sollte. So prononciert gibt das Bundesgericht der Politik sonst kaum Hinweise. Wir werden nun die schriftliche Begründung des Bundesgerichts abwarten und dann gemeinsam mit Julian P. und TGNS eine mögliche Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sehr ernsthaft prüfen.»

Julian P. selbst ist enttäuscht über den Entscheid. «Ich bin traurig, nicht nur für mich selbst, sondern auch für alle, die ebenso aufgrund eigener Betroffenheit einen positiven Bescheid erhofft haben. Für mich bedeutet der Entscheid, dass ich weiterhin in der Schweiz mit einem anderen Geschlechtseintrag registriert bin als in Deutschland. Mit einem Geschlechtseintrag, der falsch ist für mich. Ich wünsche mir, auch in der Schweiz, eine Gesellschaft, in der das Löschen eines Geschlechtseintrags eine persönliche Entscheidung sein kann, aufgrund eigener Dringlichkeit, ohne es erklären zu müssen oder dafür angegriffen zu werden. Die diesbezügliche Entwicklung z.B. in Dänemark, Österreich, Deutschland, Malta oder Island hat es gezeigt: Gesetze sind menschengemacht und können verbessert werden, wenn sie für die Menschen, die heute leben, nicht passen. Leider müssen Fortschritte oft erst erstritten werden, auch wenn sie später als selbstverständlich erscheinen, wie z.B. das Frauenstimmrecht. Es liegt noch viel vor uns als Community, aber ich bin guter Hoffnung, dass die Anerkennung von nicht binären Personen eines Tages erreicht werden wird.»


Alecs Recher, Leitung der Rechtsberatung von TGNS, begleitet Julian P. seit Beginn des Verfahrens und würdigt den Entscheid des Bundesgerichts kritisch: «Der Entscheid des Bundesgerichts überzeugt zwar juristisch nicht und beleuchtet die politische und gesellschaftliche Debatte der jüngeren Zeit mit Schlagseite, aber der Wink mit dem Zaunpfahl, dass der Gesetzgeber tätig werden soll, war überdeutlich. Daher hat es sich für uns als Community dennoch gelohnt, dass der Fall von Julian P. am Bundesgericht in öffentlicher Beratung behandelt wurde. Denn der gesellschaftliche Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, und für uns ist die staatliche Anerkennung unserer Existenzen so fundamental, dass wir diese weiterverfolgen werden.» TGNS fordert den Gesetzgeber auf, nun unverzüglich die notwendigen Schritte zum Schutz der Grundrechte nicht binärer Menschen einzuleiten.

Recher erklärt dazu: «Vor gut einem Monat entschied die Rechtskommission des Nationalrates ein Postulat, mit dem Massnahmen zur Verbesserung des Alltags von nicht binären Menschen geprüft werden sollen. Wir erwarten vom Parlament, sich nun unverzüglich dieser Forderung anzunehmen und vom EJPD, unsere Rechte konsequent zu wahren. Dass Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider sich bereits in diese Richtung geäussert hat, stimmt uns zuversichtlich.»


Heinz-Jürgen Voß

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