.. and no Oscar goes to: «All Of Us Strangers»
Hat die Academy etwas gegen Schwule?
Wenn am Sonntagabend in Los Angeles zum 96. Mal die Oscars verliehen werden (live zu sehen bei ProSieben und dem Streamingdienst Joyn), wird der wunderbare schwule Film «All Of Us Strangers» komplett leer ausgehen. Ein Skandal? Wohl kaum, meint unser Kommentator*.
Dass es für «All Of Us Strangers» keinen Award gibt, lässt sich leider schon mit Gewissheit im Vorfeld sagen, denn die Romanadaption von Andrew Haigh ist in keiner einzigen der 23 Kategorien nominiert. Was aus Sicht vieler, darunter auch des Autors dieser Zeilen, ausgesprochen bedauerlich ist. Doch ein Skandal ist es nicht.
Warum haben sich in den vergangenen Wochen so viele Menschen nicht zuletzt in den sozialen Medien lautstark darüber empört, dass weder Greta Gerwig als Regisseurin noch Margot Robbie als Hauptdarstellerin für «Barbie» nominiert sind (MANNSCHAFT berichtete)? Und kaum jemand darüber, dass «All Of Us Strangers» – die Geschichte eines schwulen Mannes, der sich in seinen 40ern endlich seinen Traumata rund um die früh verstorbenen Eltern stellt und parallel endlich offen ist für eine neue Liebe – komplett ignoriert wurde.
Die Antwort darauf lässt sich weniger einer vermeintlich homophoben Einstellung der abstimmenden Mitglieder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences finden als darin, dass es sich bei den Oscars immer schon in erster Linie um eines gehandelt hat: einen Beliebtheitswettbewerb. Die Frage beim bekanntesten Filmpreis der Welt war seit jeher weniger: Wer ist der oder die beste (was sich in der Kunst, anders als beim Sport, ohnehin kaum messen lässt)? Sondern vielmehr: Wer erreicht eine möglichst breite Masse?
Unter diesem Gesichtspunkt hatte «Barbie» von Anfang an die Nase vorn vor «All Of Us Strangers» (und den meisten anderen). Mehr 800 Millionen Dollar hat der Film auf der ganzen Welt eingespielt, keiner war 2023 erfolgreicher – und keiner sorgte für so viel Gesprächsstoff. Selbst wer kein Fan des Films ist, darf sich wundern, dass die beiden dafür hauptverantwortlichen Frauen zwar in der Kategorie Bester Film (sowie in Gerwigs Fall fürs Drehbuch) nominiert sind, aber ihre offenkundig ungemein beliebten Leistungen als Regisseurin bzw. Schauspielerin übergangen wurden.
Diese Fallhöhe war bei «All of Us Strangers» nie gegeben. Nicht dass Regisseur und Drehbuchautor Andrew Haigh, Hauptdarsteller Andrew Scott oder die Nebendarsteller*innen Claire Foy, Jamie Bell und Paul Mescal nicht allesamt preiswürdige Arbeit abgeliefert hätten. Aber schon, dass der Film im Vergleich nur mickrige zwölf Millionen Dollar einspielte, hatte seit Monaten ahnen lassen, dass «All Of Us Strangers» womöglich kein Film ist, der irgendwo für einen breiten Konsens sorgt.
Die Tatsache, dass er seinen Film eher am Boden zerstört als in Feelgood-Stimmung zurücklässt (kein unerhebliches Kriterium, wenn man als Academy-Wähler*in irgendwann seine Stimmzettel ausfüllen muss), erschwerte die Lage obendrein. Und dass man beim produzierenden Studio Searchlight mit «Poor Things» noch einen deutlich aussichtsreicheren Oscar-Kandidaten am Start hatte, tat ein Übriges.
Homophobie in der Academy also Fehlanzeige? Das wäre als Aussage dann womöglich doch ein wenig übertrieben, immerhin stimmen auch heute noch Menschen über die Oscars ab, die schon 2006 dem haushohen Favoriten «Brokeback Mountain» die Auszeichnung in der Hauptkategorie verwehrten.
Tatsächlich hat sich die Mitgliederschaft seither allerdings deutlich verjüngt und diversifiziert, und man darf hoffen, dass eine Vereinigung, die vor sieben Jahren «Moonlight» auszeichnete, heute keine allzu grossen Widerstände mehr gegen ein Sujet wie das von «All of Us Strangers» hat. Schwule Sexszenen hin oder her.
Auch wer nicht mit jeder Nominierungsentscheidung in diesem Jahr glücklich ist, wird jedenfalls feststellen: Queerness wird bei den Oscars 2024 grossgeschrieben. Mit Colman Domingo für «Rustin» und Jodie Foster für «Nyad» sind gleich zwei geoutet queere Schauspieler*innen nominiert, und in gleich drei der zehn in der Hauptkategorie genannten Filmen werden Geschichten erzählt, in den Menschen aus der LGBTIQ-Community entscheidende Rollen spielen: Bradley Coopers «Maestro» über Leonard Bernstein, «Anatomie eines Falls» mit Sandra Hüller als bisexueller Schriftstellerin sowie die Komödie «American Fiction», für die sich Sterling K. Brown als schwuler Bruder des Protagonisten Hoffnung auf einen Preis machen darf. Und sogar bei den Besten Animationsfilmen geht mit «Nimona» ein Film ins Rennen, wie er so queer in dieser Kategorie vermutlich noch nie zu finden war.
Für Fans von «All of Us Strangers» mag das ein schwacher Trost sein. Bemerkenswert ist es aber allemal.
* Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Mehr: Drags und Queers für historische Serie gesucht. Die Dreharbeiten sollen im April in Köln stattfinden (MANNSCHAFT berichtete).
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