Anastasia Biefang: Wann bin ich fertig als Frau?
Ist die letzte geschlechtsangleichende Operation ein Massstab für das Ende einer Transition?
«Wann bist du eigentlich fertig?» Diese kurze Frage an Anastasia Biefang bezog sich nicht auf die noch verbleibende Zeit zwischen Umziehen und Endlich-losfahren-können, um einen entspannten Abend mit Freund*innen zu verbringen. Sondern auf den Umstand ihrer Transition. Hier ihr Kommentar*
Jemand wollte wissen, wann ich fertig bin – als Frau. Die Frage erschien mir früher – am Anfang meiner Transition – als recht einfach zu beantworten: «Mit der letzten geschlechtsangleichenden Operation» hatte ich damals immer gedacht. Der Körper stand bei mir am Anfang im Vordergrund, bestimmte dieser doch auch oft die eigene Wahrnehmung, war Massstab und Reflexionspunkt für die medizinische Angleichung.
Ich verstand in diesem Moment aber auch, dass mir die Frage gestellt wurde, weil ich für mein Gegenüber optisch nicht alle Erwartungen an eine «Frau» erfüllte – welche das auch immer sein sollten.
Die Transition als Tunnel, am Ende das ersehnte Licht.
Ich glaube – nein – ich bin mir sicher, dass ich niemals «fertig» sein werde. Und das hat etwas Beruhigendes an sich – zumindest für mich. Damit stelle ich nicht mein Dasein in Frage oder hege Zweifel an meinen getroffenen Entscheidungen. Vielmehr erkenne ich zunehmend, dass Geschlecht für mich ein Spektrum ist und zwar bezogen auf mein eigenes. Die Vielfältigkeit von Geschlecht habe ich stets anerkannt und gesehen. Ich kämpfe dafür als Aktivistin. Aber bezogen auf mich, auf meine Transgeschlechtlichkeit, hatte ich zunächst das Ziel, am Ende als «Frau» anerkannt zu sein. Binär, eindeutig. Die Transition als Tunnel, am Ende das ersehnte Licht. Aber meine Reise durch den Tunnel dauerte an. Es wurde stets heller, aber es war kein Ende in Sicht.
Die geschlechtsangleichenden Operationen waren durch, meine Dokumente waren ordnungsgemäss geändert, aber der Zug rollte weiter. Ich fahre aber nicht im Kreis, höchstens spiralförmig. Ich reife und wachse, hinterfrage und verstehe. Die Eindeutigkeit, die ich vor Jahren brauchte, um zu wissen, wer ich bin, ist schon lange nicht mehr wichtig für mich. Meine Identität als Frau ist nicht abhängig von äusseren Zuschreibungen. Ich emanzipiere mich davon mehr und mehr. Ich erfinde mich auch nicht neu, sondern ich erkenne Neues an mir und lasse auch Altes bewusst zu.
Entsteht hier eine Brücke? Eine Verbindung zu meinem vergangenen Ich? Verfalle ich einer geschlechtlichen Beliebigkeit? Nein. Es ist eher das gereifte Verständnis, das vertiefende Verständnis meiner (Geschlechts-)Identität. Ich bin eine Frau, ich bin trans, ich bewege mich auf dem Spektrum der Geschlechter und suche mir meine Orientierungspunkte. Und diese sind eben nicht deterministisch. Ich will frei sein von externen Zuschreibungen, die mich in meiner Identität nicht treffend beschreiben. Ich will raus aus den Schubladen, in die ich gesteckt werde und die ich zugleich selber durch meine Diskurse und Kämpfe bediene und auch benötige. Ich will mich in meiner Identität individuell und sichtbar ausdrücken können, ohne dabei festgezurrt oder reduziert zu werden.
Mein Trans-Sein hat mir diese Möglichkeit gegeben, mir die Augen für diese schöne Realität geöffnet und mir über die Zeit meine Angst genommen, ich selbst zu sein. Ich bin trans*, ich bin Frau, ich bin pan, ich bin queer.
Mehr zum Thema Transition bei MANNSCHAFT:
- Trans Frauen zahlen hohen Preis für weibliche Kurven
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Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr in Brandenburg, Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia» und ist stellvertretende Vorsitzende der Interessenvertretung der queeren Angehörigen der Bundeswehr, QueerBW. Sie schreibt regelmässig eine Kolumne für MANNSCHAFT+.
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