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«Deutschland war bei LGBTIQ-Rechten nicht gerade Vorreiter»

Die Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, über die Ungleichheit, die queere Europäer je nach Mitgliedsstaat erleben

Katarina Barley
Katarina Barley (Foto: Susie Knoll)

Bundesjustizministerin Katarina Barley ist die SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl im Mai. Wie schätzt sie das teils grosse Gefälle in Sachen LGBTIQ-Rechte zwischen den Mitgliedsstaaten ein und was will sie dagegen tun?

Frau Barley, Sie sind Spitzenkandidatin Ihrer Partei für die Europawahl. Was reizt Sie an der Arbeit auf europäischer Ebene?
Ich bin gerne Justizministerin, es wird also ein weinendes Auge geben. Ich bin aber auch von Kopf bis Fuss Europäerin, habe selber zwei Staatsangehörigkeiten (neben der deutschen auch die britische, Anm. d. Red). Meine Kinder haben vier Grosseltern aus vier verschiedenen europäischen Ländern. Der Zustand, in dem sich Europa gerade befindet, macht mich sehr besorgt. Deswegen habe ich nach langem Überlegen beschlossen, nach Brüssel zu gehen. Wir müssen uns bewusst machen, was passiert, wenn dieses Europa kippt. Wenn wir unsere Werte und Rechte nicht mit aller Entschlossenheit verteidigen, dann kann europaweit passieren, was wir jetzt schon in Polen, Ungarn und in Österreich beobachten. Ich dachte mir: Sometimes a woman‘s gotta do what a woman‘s gotta do. Also, es einfach tun – und das mache ich jetzt.

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In Brunei gilt seit Anfang April für Homosexuelle die Todesstrafe durch Steinigung – auch wenn das Sultanat nach internationaler Kritik erklärte. sie solle zunächst nicht angewendet werden. Wie sollte sich die EU hier positionieren?
Die EU sollte sich allen Staaten gegenüber sehr deutlich positionieren, die Homosexuelle diskriminieren. Wer Homosexuelle mit dem Tod bedroht, umso mehr. Das Problem ist, dass es Diskriminierung ja auch in einigen EU-Ländern noch gibt. Mir macht die Situation in Ungarn Sorgen, aber nicht nur dort. Die EU muss ganz klar feststellen, dass es Menschenrechte sind, wenn es um die Rechte von LGBTIQ geht, und nicht irgendwelche Petitessen. Dazu kommt dann die Schwierigkeit, wie sich die EU gegenüber Drittstaaten verhält. Denn die Aussenbeziehungen werden derzeit nach dem Einstimmigkeitsprinzip bestimmt. Und die Hoffnung, dass in der EU – ausser dass sich die Hohe Vertreterin der EU für Aussen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini entsprechend positionieren wird – konkrete Beschlüsse gefasst werden, habe ich im derzeitigen Stadium nicht.

Sind Sie zuversichtlich, dass man von diesem Einstimmigkeitsprinzip in naher Zukunft wegkommt?
Ja, wir wollen das ja generell. Wir haben es ja noch in anderen Bereichen, beim Steuerrecht zum Beispiel. Ich glaube aber, dass es hier auch deutlich früher Wirklichkeit wird, weil wir im Bereich der Aussen- und Verteidigungspolitik dann erstmal neue Strukturen brauchen. Etwa mit einem Aussenminister, damit die EU mit einer Stimme sprechen kann.


Wir sind 28, bald vielleicht leider nur noch 27 Mitgliedsländer, mit teils sehr unterschiedlichen historischen Zusammenhängen. Dadurch gibt es auch sehr unterschiedliche aussenpolitische Ansätze, wenn ich mir z.B. das Verhältnis zu Russland ansehe. Das wird von Staaten der EU extrem unterschiedlich bewertet, und das ist ja auch ein Land, in dem die Rechte von Homosexuellen mit Füssen getreten werden. Gegenüber einem solchen Staat am Ende ein einheitliches Vorgehen zu finden, ist schwierig. Und da wird es dann schätzungsweise auch mehr Widerstand geben, was die Abschaffung der Einstimmigkeit angeht.

Mit welchen Ländern lassen sich Veränderungen durchsetzen?
Natürlich gibt es die Länder, die schon immer sehr offen gegenüber der LGBTIQ-Community sind, wie die skandinavischen Länder. Auch die Niederlande. Aber wir haben in den letzten Jahren auch gesehen, dass Länder, von denen wir es nicht gedacht haben, sich dem Thema sehr geöffnet haben. Spanien als sehr katholisches, konservatives Land ebenso wie Irland. Und der Ansatz in Irland, diese Bottom-up-Bewegung, also die Bevölkerung mit einzuziehen in den Prozess der Veränderung, das ist einer, den ich mir auch gut vorstellen könnte.

Wir sehen ja beispielsweise in Polen, dass die Bevölkerung zum Teil völlig anders unterwegs ist als die Regierung. Und ich glaube, das sollte man versuchen, sich zunutze zu mache. Das wird nicht bei allen Ländern gleich gut funktionieren, weil wir auch Länder haben, die in sich strukturell nicht besonders offen sind. Mir schwebt eine Art jährliches Monitoring aller Mitgliedsstaaten in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie vor, wozu auch die LGBTIQ-Rechte zählen. So können wir eine Art Frühwarnsystem entwickeln. Wenn sich im Bereich LGBTIQ, aber auch bei Antisemitismus oder Frauenrechten, ein Rollback andeutet, wollen wir mit einem zu schaffenden Fonds Vertreter der Zivilgesellschaft gerade in solchen Ländern unterstützen.


Wir sollten als Deutsche nicht vom hohen Ross her auf andere herabblicken. Wir waren nicht gerade Vorreiter, was die Rechte von LGBTIQ betrifft

Sie haben Ungarn genannt als Land, in dem vieles noch im Argen liegt. Es gibt ohnehin grosse Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedern, was das Thema LGBTIQ-Rechte betrifft. So hat Malta als erstes Land Konversionstherapien verboten, dann gibt es Länder wie Rumänien, wo letztes Jahr versucht wurde, über ein Referendum mehr Rechte für homosexuelle Paare zu verhindern. Es ist noch sehr viel zu tun, um wirklich gleiche Rechte für die Mitglieder der LGTBIQ-Community in der gesamten EU zu erreichen. Was haben Sie da vor?
Einerseits finde ich, wir sollten als Deutsche nicht vom hohen Ross her auf andere herabblicken. Wir waren ja selber nicht gerade Vorreiter, was die Rechte von LGBTIQ betrifft. Erst Ende der letzten Legislaturperiode haben wir die Ehe für alle hingekriegt, weil die Union das immer blockiert hat – das muss man der Ehrlichkeit halber auch sagen. Deshalb rede ich auch von diesem Monitoring. Da muss man fundiert gucken, wie sieht es konkret in den einzelnen Ländern aus. Das wird dann auch transparent gemacht: Welche Standards sind wo erreicht und umgesetzt? Dadurch entsteht auch nochmal ein anderer Druck, da bin ich ganz sicher.

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In Rumänien sind homophobe Einstellungen noch sehr verbreitet. In den baltischen Staaten Lettland und Litauen werden gleichgeschlechtliche Partnerschaften bis heute nicht gesetzlich anerkannt. Hat man diese Länder damals zu früh in die EU aufgenommen?
Die Frage wird immer wieder aufgeworfen. Klar ist, dass wir nicht überall die gleichen Standards haben und nochmal: Wir sollten uns hier nicht zu sehr auf die eigene Schulter klopfen. Die Alternative zum Zeitpunkt der Aufnahme dieser Länder war, dass sie sich sonst vielleicht in eine andere Richtung orientieren, sich an andere Staaten anlehnen. Daher entschied man sich damals dafür, diese Länder einzubinden in die Wertegemeinschaft der EU. Man hätte damals klarer einfordern können, was in diesen Ländern gewährleistet sein muss. Aber ich will nicht den Stab über die brechen, die das damals entschieden haben.

Das ausführliche Interview folgt in der deutschen Mai-Ausgabe der MANNSCHAFT. Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.


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