Zerstört Cruising das Dünenparadies von Gran Canaria?
Ein Team von Forschenden hat das Ökosystem der Wanderdünen von Maspalomas zur Pride-Saison untersucht
«Sexhungrige Touristen zerstören einmaliges Naturparadies in Spanien»: So titelte unlängst 20 minuten im Kontext eines Artikels über «Cruisen auf Gran Canaria». Dabei gehe es primär um Homosexuelle, die mit ihren «ausgelebten Trieben» in den Dünen die «Fauna und Flora» vor Ort gefährdeten.
Forschende hatten die Dünen von Maspalomas unter die Lupe genommen, eines der letzten funktionierenden Wanderdünengebiete Europas. Dort seien Tiere und seltene Pflanzenarten gefährdet durch den Ansturm von Menschen, die Sex miteinander hätten, so die Forschenden und so 20 minuten. Diese Dünenbesucher*innen würden zu viele «menschliche Hinterlassenschaften» zurücklassen – zum Beispiel Kondome.
Laut Journal of Environmental Management seien die Kondome wiederum von Rieseneidechsen gefressen worden, die daran starben. Genauso wie sie anderen Müll in den Magen bekommen hätten, den sie nicht verdauen konnten.
Die intensive Nutzung des fast 5700 Quadratmeter grossen Gebiets und der damit verbundene Abfall hätten einen starken Einfluss auf das Ökosystem und die Umgebung. Das beschreibt der Artikel «Sand, Sun, Sea and Sex with Strangers, the ‹Five Ss› . Characterizing ‹Cruising› Activity and Its Environmental Impacts on a Protected Coastal Dunefield».
«Sonne, die See, Sand und Sex mit Unbekannten» Bei den fünf «S», um die es laut Überschrift geht, handle es sich um «Sonne, die See, Sand und Sex mit Unbekannten», also «Strangers». Und beim Dünenareal, von dem die Rede ist, gehe es um einen Bereich, der seit den frühen 1980er-Jahren offiziell als Naturschutzgebiet gilt.
«Leider werden die Dünen zu Tode geliebt», schreibt Patrick Hesp als Co-Autor der Studie. Er ist Professor aus Australien und untersucht weltweit Küstengebiete. (MANNSCHAFT berichtete über den «Gay Travel Index» 2021.)
Hesp und seine Kolleg*innen fanden insgesamt zehn verschiedene Pflanzenarten, die auf Gran Canaria durch menschliches Verhalten in Gefahr seien. Drei davon fände man ausschliesslich in den Wanderdünen bei Maspalomas.
Vor Corona seien bis zu 14 Millionen Besucher*innen durch diese Dünen gelaufen, heisst es. Bei den LGBTIQ-freundlichen Hotelanlagen der Insel werde geschätzt, dass 15 Prozent der Besucher*innen homosexuelle Männer seien. Um gezielt diese Touristengruppe zu untersuchen, besuchten Hesp und sein Team die Insel während der Pride-Saison im Mai 2018. (MANNSCHAFT berichtete über LGBTIQ-Gruppenreisen nach Gran Canaria.)
Die Forschenden identifizierten in den Dünen 298 «Nester»: Orte, wo Personen miteinander Sex haben. Im Umfeld dieser Nester gab es demnach nicht nur viele zertretene Pflanzen, sondern neben den erwähnten Kondomen auch Zigarettenstummel, Papiertaschentücher, WC-Papier und Fäkalien.
Fürs Errichten von «Nestern» seien besonders abgeschiedene Plätze beliebt, mit «dichter und buschiger» Vegetation, wo sich die Wanderdünen um die Pflanzen herum zu sogenannten Nebhkas formieren würden. Die Cruiser hätten vielerorts die Nebhkas und die Vegetation zertrampelt, so die Studie.
Pflanzen ausgerissen, um «Liebesnester» zu vergrössern Bisweilen sollen sie auch Pflanzen ausgerissen haben, um ihre «Liebesnester» zu vergrössern. Je grösser diese Liebesnester dann waren, desto mehr Abfall wurde dort hinterlassen. Was negative Auswirkungen auf die in den Dünen lebenden Tiere habe, die sich von den Pflanzen ernährten. Und dabei gehe es nicht nur um Rieseneidechsen.
Laut Hesp sei «vereinzelter Sex» kein Problem. Aber das Cruising, bei dem hunderte von Menschen am Tag durch die Dünen stampfen, sei durchaus problematisch. «Es ist vergleichbar mit Offroad-Fahrzeugen mit Vierradantrieb, sie haben einen geringen Effekt auf das Ökosystem von Dünen, wenn nur wenige 4×4-Wagen herumfahren, aber es kommt zu massiver Erosion und Zerstörung, wenn die Anzahl der Fahrzeuge zu hoch wird», so Hesp.
Die lokalen Behörden hätten inzwischen begonnen, die «abgestorbene Vegetation zu beseitigen», heisst es. Was im Klartext wohl bedeutet, dass die «Nester» beseitigt werden. Einige Hotels hätten laut Medienbericht inzwischen auch begonnen, mit ihren Gästen übers Cruising-Verhalten zu sprechen. Mit dem Ziel: die einmalige Dünenlandschaft auf der Insel zu erhalten.
«Wir rufen nicht dazu auf, öffentlichen Sex zu stoppen», betont Hesp. «Aber wir möchten Menschen zumindest darauf aufmerksam machen, welcher Schaden dabei entstehen kann.» (MANNSCHAFT berichtete über weitere LGBTIQ-Touristenziele in Spanien.)
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