Wie queer ist die Agenda der «Top 50 Diversity Drivers» 2021?

Die Initiative «BeyondGenderAgenda» hat 50 Persönlichkeiten ausgewählt, die Diversity, Equity & Inclusion in der deutschen Wirtschaft «massgeblich» vorantreiben «könnten». Wer steckt dahinter – und warum?

Einige der Top 50 Diversity Drivers, die von der Initiative BeyondGenderAgenda ausgewählt wurden (Foto: Screenshot / beyondgenderagenda.com)
Einige der Top 50 Diversity Drivers, die von der Initiative BeyondGenderAgenda ausgewählt wurden (Foto: Screenshot / beyondgenderagenda.com)

Gerade erst hat die Initiative «BeyondGenderAgenda» (BGA) ihren ersten Geburtstag am 1. Februar 2021 gefeiert. Es geht ihr um die «Verankerung von Diversity, Equity & Inclusion in der deutschen Wirtschaft», abgekürzt «DE&I». Und gleich nach dem einjährigen Jubiläum wurde diese Woche nun erstmals die Liste der «Top 50 Diversity Drivers» veröffentlicht, mit Namen, «die das Potenzial haben, in diesem Jahr DE&I in der deutschen Wirtschaft massgeblich voranzutreiben».

Interessant ist dabei vieles. Zum Beispiel, dass unter den 50 Persönlichkeiten deutlich mehr Frauen als Männer vertreten sind (40:10). Auch dass bei den Männern deutlich weniger bis gar keine ethnische Diversität erkennbar ist. Und das keine Menschen mit asiatischem Hintergrund dabei zu sein scheinen.

Dafür gibt’s ein Grusswort von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU): «Nur wenn wir unser volles Potenzial ausschöpfen bleibt Deutschland in den 20er-Jahren ökonomisch stark. Wer mit anpacken will, darf keinen Nachteil aufgrund von Geschlecht, Alter, Herkunft oder sexueller Orientierung haben. Deshalb unterstütze ich das Anliegen von BeyondGenderAgenda, solche Kategorien zu überwinden.»

Personal Branding für C-Level-Führungskräfte Man könnte – und sollte – fragen, wer bzw. was BGA ist und wie sich die Initiative finanziert. Gegründet und geleitet wird die GmbH von Victoria Wagner, die aus dem Agentur- und Marktingbereich kommt. Sie hat sich in der Vergangenheit mit der Initiative «Omniwomen» für die «Förderung von weiblichen Führungskräften in Deutschland» eingesetzt und betreibt nun die Strategieberatung «Alternativlos», mit der sie in Unternehmen «C-Level-Führungskräfte beim Personal Branding» berät und «bei der Übernahme von Aufsichtsratsmandaten und Vorstandspositionen begleitet». So steht es auf der Webseite von BGA.

Die Gründerinvon BeyondGenderAgenda: Victoria Wagner (Foto: beyondgenderagenda.com)
Die Gründerinvon BeyondGenderAgenda: Victoria Wagner (Foto: beyondgenderagenda.com)

Die Ehefrau und Mutter von zwei Kindern hat offensichtlich erkannt, dass Kommunikation und Wirtschaftsberatung rund ums Thema Diversity Gold wert ist. Und je umfassender Diversity dabei verstanden wird, umso umfangreicher lässt sich dieses Gold abtragen. Darum zählt die Beyond-Gender-Agenda gleich mehrere Dimensionen auf, die man aus dem intersektionalen (Queer-)Feminismus kennt: «Disability, Ethnicity, Gender, Generation, LGBT+ und Social Mobility».

«Menschen glauben, ich könne nicht schwul sein, weil ich behindert bin!»

Im Gegensatz etwa zum Max-Spohr-Preis des Völklinger Kreises, der zuletzt im Herbst 2020 verliehen wurde, liegt der Fokus bei BGA nicht auf LGBTIQ. Man könnte sogar sagen, LGBTIQ löst sich hier auf in einem grösseren Ganzen. Das hat strategische Vorteile, die absolut begrüssenswert sind, mindert gleichzeitig aber die Sichtbarkeit und besonderen Interessen von LGBTIQ.

Dass potenzielle (Werbe-)Partner wie Commerzbank, Mastercard, Douglas, Microsoft, Random House Verlagsgruppe, Volkswagen etc., die mit ihren Logos auf der Homepage von BGA gezeigt werden, eine solche weitgehend «entsexualisierte» Agenda begrüssen, ist verständlich. Schliesslich war es seit Jahrzehnten das Problem von schwulen Medien bzw. Unternehmen, die explizit Schwänze und Sex zeigten oder thematisierten, dass sie keine Werbekunden ausserhalb der Unterwäsche- und Gleitgel-Branche finden konnten. Weil ihre Inhalte als «Schmuddelkram» eingestuft wurden, vielleicht sogar als «pervers»; eine Assoziation mit dergleichen könnte markenschädigend wirken, so die Standarddenke. Worin der Kern vieler Probleme lag und liegt.

«Aktivismus» als Marketing Nun also der grosse intersektionale Schulterschluss? Promoted von einer Marketingagentur in Düsseldorf, die «Aktivismus» betreibt und Diversity-Themen unters Volk bringen will, eben mit der Veröffentlichung von solchen Top-50-Listen, was «durch eine aufmerksamkeitsstarke Printkampagne begleitet» wird, wie es in der Pressemitteilung heisst.

Auf der Liste finden sich viele PR-taugliche Schwergewichte: Dorthee Bär (CSU) zum Beispiel, Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, oder Sawsan Chebli (SPD), Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Berliner Senatskanzlei. UFA-Filmproduzent Nico Hofmann ist vertreten (MANNSCHAFT berichtete über seine Diversity-Initiative) und prominente Journalistinnen wie Dunja Hayali. Raul Krauthausen als Aktivist, der sich für mehr Inklusion von Menschen mit Behinderung einsetzt, ist dabei. (MANNSCHAFT berichtete über schwule Menschen mit Behinderung und ihre besonderen Probleme.) Und auch Matthias Weber vom bereits erwähnten Völklinger Kreis, der sich vehement für Diversity mit Schwerpunkt LGBTIQ bei deutschen Unternehmen einsetzt, ist unter den Top 50, neben dem schwulen Top-Manager Thomas Meiers, vormals VW und jetzt bei SEAT/CUPRA.

Mehrere LGBTIQ-Preisträger*innen beim Swiss Diversity Award

Interessant könnte man ausserdem finden, dass sich CEO Victoria Wagner auf der Homepage von BGA als «Ehefrau» bezeichnet und ihren Sohn und ihre Tochter erwähnt, ebenso ihre zwei Hunde, Yoga, Reisen, Kochen und ihre Liebe für «ausgiebige Spaziergänge», aber es in diesem Kontext vorzieht nicht zu erwähnen, mit wem sie verheiratet ist. Dass sie mit ihrem Mann auf Weltreise war, verriet sie dafür dem Magazin Vivid. Dass das hier nun – im Namen von Diversity? – weggelassen wird, mag erstaunen.

Die 50 Top Diversity Drivers 2021 sind, laut BGA (in alphabetischer Reihenfolge):

  1. Kenza Ait Si Abbou
  2. Jutta Allmendinger
  3. Volker Baisch
  4. Dorothee Bär
  5. Sabine Bendiek
  6. Birgit Bohle
  7. Sergio Bucher
  8. Sawsan Chebli
  9. Stephanie Cossmann
  10. Christine Epler
  11. Kristina Fassler
  12. Maria Ferraro
  13. Anna-Beeke Gretemeier
  14. Ana-Cristina Grohnert
  15. Dunja Hayali
  16. Dagmar Hirche
  17. Nico Hofmann
  18. Julia Jäkel
  19. Manuela Kampp-Wirtz
  20. Bettina Karsch
  21. Tanja Kewes
  22. Diana Kinnert
  23. Raul Krauthausen
  24. Janina Kugel
  25. Sirka Laudon
  26. Dominique Leikauf
  27. Dr. Thomas Meiers
  28. Heinrich Moisa
  29. Sabine Müller
  30. Natalya Nepomnyashcha
  31. Sigrid Evelyn Nikutta
  32. Dr. Maximilian Oehl
  33. Claudia Oeking
  34. Stefan Oelrich
  35. Constanze Osei
  36. Robert Pölzer
  37. Magdalena Rogl
  38. Belgin Rudack
  39. Mina Saidze
  40. Prof. Dr. Susanne Schmidt
  41. Tiaji Sio
  42. Düzen Tekkal
  43. Anahita Thoms
  44. Aminata Touré
  45. Katja Urbatsch
  46. Antje von Dewitz
  47. Dr. Eva Voss
  48. Andrea Wasmuth
  49. Matthias Weber
  50. Katharina Wolff

«Drag Queen Märchenstunde» – Diversity auf Schwedisch

Man kann ihnen nur gratulieren und viel Erfolg fürs Vorantreiben von mehr Diversität wünschen. Bleibt zu hoffen, dass in dieser neuen Diversity-Welt der deutschen Wirtschaft und bei Top-Manager*innen diejenigen, die ihre queere Sexualität offen und selbstbewusst ausleben wollen, dies auch diskriminierungsfrei tun können. Ohne gleich in die «Igitt»-Ecke gestellt zu werden. Und dass die Top 50 Diversity-Drivers sowie Victoria Wagner selbst sexuelle Aspekte berücksichtigen, die (noch) nicht Mainstream tauglich sind, wenn es um berufliche Chancengerechtigkeit für alle geht.

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