Wie Österreichs Gerichte einen schwulen Mann schikanieren
Der Polizist war 1976 aus dem aktiven Dienst entlassen worden
Seit vielen Jahren versucht ein früherer Polizist, eine Entschädigung für erlittenes Unrecht zu bekommen. Sein «Vergehen» liegt Jahrzehnte zurück.
Von Christian Höller
Das Gerichtsurteil liegt schon 48 Jahre zurück, doch die Auswirkungen sind bis heute spürbar: Im Jahr 1974 hat das Landesgericht für Strafsachen Wien einen damals 32-jährigen Polizisten zu drei Monaten Kerker – wie es damals hiess – verurteilt. Zudem ordnete das Gericht während der Kerkerstrafe einen Fasttag pro Monat an.
Die Verurteilung erfolgte nach dem berüchtigten und homphoben Pragraf 209 des österreichischen Strafgesetzbesuches. Dieser sah bei Beziehungen zwischen Männern ein Mindestalter von 18 Jahren vor, während bei lesbische und heterosexuellen Beziehungen ein Mindestalter ab 14 Jahren erlaubt war. In der Vergangenheit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Österreich immer wieder wegen dieses Paragrafs verurteilt. Doch die jeweiligen Regierungen liessen sich Zeit. Abgeschafft wurde der homofeindliche Paragraf erst im Jahr 2002.
Bis zur Verurteilung hatte der Polizist 13 Jahre lang zur vollster Zufriedenheit seinen Dienst absolviert. «Die Kontakte mit seinen mündigen Partnern fanden ausschliesslich in seinem Privatleben statt», heisst es dazu in der jetzt veröffentlichten Ausgabe von Jus Amandi, der Zeitschrift für gleichgeschlechtliche Liebe und Recht. Für den Mann hatte die Verurteilung weitreichende Auswirkungen: Er wurde 1976 aus dem aktiven Polizeidienst entlassen.
Die Disziplinarkommission bei der Bundespolizeidirektion Wien schrieb von einer «abwegigen Neigung». Der Mann habe «eine der denkbar schwersten Pflichtverletzungen» begangen. Es stehe ausser Frage, «dass Homosexuelle in den Reihen der Sicherheitsexekutive für diese an sich schon eine arge Belastung darstellen». Ausserdem, erklärte die Disiplinarkommission damals, dass ein «Mann, dessen homosexuelle Neigungen schon bekannt sind», wohl kaum Aufnahme bei der Sicherheitswache finden würde.
Die Verurteilung macht deutlich, wie Schwule lange Zeit in Österreich diskriminiert wurden. Wäre der Polizist oder sein Partner eine Frau «oder beide weiblichen Geschlechts gewesen, so wäre er nie angezeigt, nie angeklagt und nie verurteilt und auch nie disziplinär bestraft worden», heisst es dazu in der Zeitschrift Jus Amandi. Weil der Polizist aber «ein Mann ist und seine Partner männlichen Geschlechts waren, wurde er als Sexualverbrecher verurteilt und aus dem aktiven Polizeidienst entlassen».
Die Disziplinarstrafe wurde bis heute nicht zurückgenommen. Der Polizist ist mittlerweile über 80 Jahre alt, doch er kämpft bis heute mit den Auswirkungen des erlittenen Unrechts. Denn seine auf Grund des frühen Ausscheidens ohnehin geringe Pension wurde dauerhaft um 25 Prozent reduziert. Das wollte sich der Mann nicht gefallen lassen. Im Jahr 2009 beantragte er eine Entschädigung für die Diskriminierung. Zudem forderte er, dass die Differenz zur regulären Pension nachbezahlt wird.
Damit begann ein jahrelanger Rechtsstreit. Zunächst wurden die Ansprüche des früheren Polizisten abgelehnt, doch das Verwaltungsgerichtshof hob den Bescheid auf. Im Jahr 2015 beschloss die damalige Beamten-Versicherungsanstalt (BVA, heute BVAEB), dass der Mann eine Nachzahlung für die Pension bekommen soll. Dabei liess sie aber «aus unerfindlichen Gründen einfach 26 Jahre (1976 bis 2002) unter den Tisch fallen», wie es in Jus Amandi heisst. Der frühere Polizist legte erneut eine Beschwerde ein. Im Jahr 2016 erklärte die zuständige Richterin des Bundesverwaltungsgerichts, dass hier keine Diskriminierung vorliege und dass der Mann «eine der denkbar schwesten Pflichtverletzungen» begangen habe.
Nach über 13 Jahren Verfahrensdauer sollte er jetzt endlich die gerechte Entschädigung erhalten.
Der Fall landete schliesslich beim Gerichtshof der Europäischen Union. Dieser entschied im Jahr 2019, dass die geringere Pension sehr wohl eine verbotene Diskriminierung sei und der Mann dafür eine Entschädigung bekommen müsse. Trotzdem gingen die Schikanen in Österreich weiter. Wegen angeblicher Verjährung teilte die Versicherungsanstalt mit, dass der Mann wieder nur einen geringeren Teil der ihm zustehenden Pension erhalten soll. Ein weiterer Streitpunkt sind die Verzugszinsen für die jahrelange Verspätung. Nun musste der Mann erneut wegen der Fragen der Verjährung und der Zinsen vor Gericht ziehen.
Die Causa landete schliesslich beim Verfassungsgerichtshof. Dieser sprach von Willkür. Nun liegt die Sache wieder beim Bundesverwaltungsgericht. Dort soll jetzt ausgerechnet die gleiche Richterin, die 2016 eine Diskriminierung abstritt, eine Entscheidung treffen. Seit 2009 wird der frühere Polizist vom Wiener Anwalt Helmut Graupner, Präsident des Rechtskomitees Lambda, vertreten. Dieser hofft, dass für seinen Mandanten nun bald ein Ende in Sicht ist: «Nach über 13 Jahren Verfahrensdauer sollte er jetzt endlich die gerechte Entschädigung erhalten.»
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