Whitney Houston, der Film: Widersprüchliche Rollen, unlösbare Konflikte
Auch die Liebesbeziehung mit ihrer langjährigen Assistentin ist Thema in «I Wanna Dance with Somebody»
Zehn Jahre nach dem Tod von Whitney Houston kommt ein Spielfilm über Auf- und Abstieg der Sängerin ins Kino – grandios besetzt, mit langen Musikszenen, erstaunlich ehrlich erzählt. Don’t ya wanna dance?
Von Gregor Tholl, dpa
Whitney Houston war Gänsehaut. Wenn sie sang – vom Gospel geschult -, konnten ganze Stadien in Stille erstarren, eine Nation gerührt sein wie beim Super Bowl 1991. America’s Sweetheart? Queen of Pop? Für manche war sie eine Göttin – also zumindest beherrschte «die grösste Stimme ihrer Generation» (wie es oft heisst) eine göttlich klingende Koloratur. Jetzt kommt ein biografischer Film (Biopic) über das märchenhafte und schliesslich tragische Leben von Houston ins Kino – benannt nach einem ihrer grössten Hits: «I Wanna Dance with Somebody».
Wenn Whitney Houston mit Pop- oder Rhythm-’n‘-Blues-Songs loslegte, kochten ganze Hallen. Wenn sie von der Leinwand blickte wie im Schmachtfilm «Bodyguard», dann gerieten Millionen ins Träumen.
Auch wenn Houston nach den mega-erfolgreichen 80ern und 90ern in ihren letzten Jahren mehr mit Drogenproblemen als mit Musik Schlagzeilen gemacht hatte, war im Februar 2012 die Nachricht vom Tod der Künstlerin ein Schock. Sie ertrank unter Drogeneinfluss in einer Hotel-Badewanne in Beverly Hills – mit nur 48 Jahren.
Dieser Tod am Vorabend der Grammys wird in «I Wanna Dance with Somebody» nicht auserzählt, doch gibt es am Ende des Films Szenen im Original-Foyer des legendären «Beverly Hilton», in dem Whitney starb.
Wahrhaftig wirkt der Film jede Sekunde, auch wenn er am Ende den «All persons fictitious»-Disclaimer hat, also den Hinweis, dass alles fiktiv sei – für einen Haftungsausschluss. Klammer des Films ist Whitneys Auftritt bei den American Music Awards 1994 mit dem angeblich unmöglichen Medley von «I Loves You, Porgy», «And I Am Telling You I’m Not Going» und «I Have Nothing».
Wer sich auf die mehr als zwei Stunden einlässt, vergisst sofort, hier in der Hauptrolle nicht die tatsächliche Whitney zu sehen. Die Britin Naomi Ackie spielt oscar-reif. Bei den (durchaus gewagt-langen) Musikszenen ist die echte Houston-Stimme zu hören. Stanley Tucci verkörpert grandios den Musikproduzenten Clive Davis, der auch – inzwischen 90-jährig (MANNSCHAFT berichtete) – den Film mitproduzierte.
«Da wir sowohl mit Clive als auch mit Gary und Pat Houston, Whitneys Bruder und Schwägerin, zusammengearbeitet haben, konnten wir ihre Geschichte authentisch erzählen», sagt Filmproduzent Matt Jackson. Man wisse dadurch Details, die man sonst nicht kennen würde, wenn man den Film ohne diese Mitarbeit gemacht hätte.
Herausgekommen ist dabei trotzdem kein liebedienerisches Werk, sondern ein berührendes Biopic, das sich traut, Schwerpunkte zu setzen (und nicht bloss Ereignisse und wiedererkennbare Szenerien abhakt). Auch Tabus werden thematisiert, wie etwa die Freundschaft mit ihrer langjährigen Assistentin Robyn Crawford, die als Liebesbeziehung begann. Ihre bisexuelle Seite schob die von christlichem Schamgefühl geprägte Whitney später selbst beiseite.
Reisserisch wird dieses Kapitel aber ebenso wenig inszeniert wie die toxische Ehe mit Bobby Brown, der im Film auch nicht unnötig drastisch zum monokausalen Bad Boy stilisiert wird.
Regisseurin Kasi Lemmons gelingt es mit Hilfe des «Bohemian Rhapsody»-Drehbuchautoren Anthony McCarten, Houstons Aufstieg und Fall zu zeigen. Von der Chorsängerin aus New Jersey, mit der ambitionierten Mutter und Sängerin Cissy, wird sie zur amerikanischen Heldin und zum globalen Superstar. Oben angekommen, geht es bergab in die Drogensucht samt Stimmverlust. Die kaputte Ehe, das komplizierte Verhältnis zur Familie, zumindest zum Vater, und die schwierigen Bedingungen für die Tochter werden nicht verschwiegen (Bobbi Kristina starb nur drei Jahre nach ihrer Mutter mit gerade mal 22 Jahren).
Bei alledem wird Whitney – angenehm anders als es zum Beispiel beim diesjährigen Film «Blond» über Marilyn Monroe geschah – nicht zum willfährigen Opfer verklärt. Sie wird – ganz Tragödie – als schuldlos Schuldige interpretiert, als Frau in widersprüchlichen Rollen, verstrickt in unlösbare Konflikte. Angelehnt an einen Hit von ihr könnte man formulieren: She is «every woman».
An den Kinokassen und bei Preisverleihungen haben in jüngerer Zeit Filme über Musikgrössen gut abgeräumt, darunter «Bohemian Rhapsody» über Freddie Mercury, «Rocketman» über die wilde Phase von Elton John (MANNSCHAFT berichtete), «Elvis» über Rock-’n‘-Roll-King Presley oder «Respect» über Aretha Franklin. «I Wanna Dance with Somebody» gehört auf jeden Fall zu den besseren Kinobiografien. Kurz gesagt: Houston, wir haben kein Problem (mit diesem Film). Absolut keins.
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