Verletzt nach CSD Berlin – «Offenbar wollten Polizisten Eskalation»
Oliver Soboll spricht von Tritten in die Nierengegend
Oliver Soboll wurde bei einem Polizeieinsatz nach dem Berliner CSD verletzt und anschliessend im Krankenhaus behandelt. Gegenüber MANNSCHAFT+ berichtet er, was am Samstag aus seiner Sicht passiert ist und was falsch lief.
Oliver Soboll war am Samstag mit seinem Bruder und dessen Lebensgefährten auf dem CSD, abends wollten sie vor dem Heimfahren noch ein Bier in der Motzstrasse trinken. Dort kam es zu einer offenbar recht rabiaten Begegnung mit der Polizei (MANNSCHAFT berichtete): Am Ende war Sobolls Auge verletzt, im Krankenhaus wurde ein Schädelhirntrauma ersten Grades diagnostiziert. Der 38-Jährige kann sich nicht an alles erinnern, was an dem Abend passiert ist. Was ihn am Kopf getroffen hat, kann er nicht sagen. Er ist sich allerdings sicher, dass die Verletzung nicht bloss vom Sturz herrührte. Als er am Boden lag, hätten Beamte zugetreten. «Es gab Tritte in die Nierengegend – definitiv», sagt er.
Seinem Auge geht es inzwischen deutlich besser. Die Einblutung war zum Glück harmlos. «Es sah schlimmer aus, als es war. Es gibt keine bleibenden Schäden.» Erstmal ist er jetzt krankgeschrieben, aber er will bald wieder arbeiten, schon um auf andere Gedanken zu kommen.
Soboll beobachtet jede Woche Einsätze der Polizei, seit 20 Jahren ist er im Besitz einer Dauerkarte für Borussia Dortmund. «Ich sehe Polizeieinsätze auf Grossveranstaltungen bzw. in Menschenmassen ja so gut wie jede Woche und weiss, wie die gut die auftreten, wie sie desaklieren. Wie sie Präsenz zeigen, aber nur eingreifen, wenn wirklich absolut nötig. Diese Truppe in der Motzstrasse war schlimm. Die hat genau das Gegenteil gemacht, ist aggressiv umherstolziert, hat gezielt nach Möglichkeiten gesucht, einzugreifen und war dabei maximal herablassend», so Soboll. Die wirkten so, als wollten sie es eskalieren lassen, sagt der 38-Jährige.
Soboll weiter: «Würde sich die Polizei bei einem Fussballspiel so verhalten, hätte sie jede Woche Ausschreitungen an der Backe. Egal ob bei einem 08/15-Spiel oder einem Hochrisikospiel.»
Er schildert seinen Eindruck, dass es verschiedene Einsatztrupps vor Ort gab, auch abends. «Da war diese aggressive Trupp einerseits, der ja eindeutig schon an den etwas anderen Uniformen zu erkennen war.» Und bei dem es auch keine Frauen gegeben habe, im Gegensatz zu den anderen Polizist*innen. Diese wiederum würden offensichtlich häufiger dort eingesetzt. «Die haben freundlich mit den Menschen geredet und gescherzt hat. Das haben wir den Tag über ja alles beobachten können.»
Und auch die Beamten auf der Wache, wo Soboll hingebracht worden war, seien wieder freundlicher gewesen. Dort habe er auch endlich ein Kühlpack für sein Auge bekommen. «Den Polizisten auf der Wache war wohl klar, dass da was nicht gut gelaufen ist, sie waren bemüht.»
Nach dem Vorfall hat er ein Gedächtnisprotokoll angefertigt. Es gibt auch Videos, auf denen die Nummern der Einsätzkräfte zu erkennen sind. Nächste Woche will er Anzeige erstatten. Sein Anwalt, Niko Härting, bittet derweil Zeug*innen, sich bei ihm zu melden.
Inzwischen hat sich Polizeisprecher Thilo Cablitz ausführlicher gegenüber MANNSCHAFT geäussert: Auf den der Polizei Berlin vorliegenden Handy-Videomitschnitten sei jeweils eine Festnahmesituation zu sehen, bei der keine Gewalttätigkeiten seitens der eingesetzten Polizeidienstkräfte zu erkennen seien.
Weitere Festnahmen, die in Zusammenhang mit den beiden gezeigten Festnahmen stünden, seien nicht bekannt geworden. Die Auswertung des Videomaterials, das zur Beweissicherung von der Polizei Berlin erstellt wurde, dauert an.
Ein Beamter musste stationär im Krankenhaus aufgenommen werden.
Nach den derzeitigen Erkenntnissen zeigt eine Videosequenz die Festnahme zweier Männer, denen Widerstand gegen sowie tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte vorgeworfen werde. «Ein gewalttätiges Vorgehen der Einsatzkräfte ist hierbei nicht zu erkennen. Vielmehr erlitt ein Beamter aufgrund des bei der Festnahme geleisteten Widerstands einen Fingerstich ins Auge und musste anschliessend stationär in einem Krankenhaus aufgenommen werden.»
In einem zweiten Video sei die Festnahme eines Mannes zu erkennen – hier ist offenbar die Rede von Oliver Soboll. «Dieser kam der mehrfachen Aufforderung, die Hygieneregeln einzuhalten, nicht nach. Als bei ihm die Personalien festgestellt werden sollten, leistete er Widerstand und griff einen Kollegen an.»
Dass er Widerstand geleistet habe, sagt Soboll, sei «eine Lüge»: Er habe den Beamten den Ausweis ausgehändigt. «Ich weiss noch, als ich im Polizeiwagen sass, durchsuchte ein Polizist mein Portemonnaie. Daraufhin sagte ein Kollege zu ihm: Den Ausweis haben wir doch schon.»
Wie aber kam es zu dem blutigen Auge? Der Polizeisprecher formuliert es so: Der Mann sei «festgenommen worden, wobei er eine Verletzung am Auge erlitt». Die Einsatzkräfte forderten laut Cablitz umgehend den Rettungsdienst an, der den Mann versorgte. Anschliessend sei der Festgenommene ins Polizeigewahrsam gekommen.
«Nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung und einer Blutentnahme, die der anwesende Arzt durchführte, wurde er bereits nach knapp anderthalb Stunden wieder entlassen. Während des Aufenthalts im Polizeigewahrsam wurde ihm ein Cool-Pack zur Linderung der Schwellung am Auge zur Verfügung gestellt», so der Sprecher der Polizei.
Die Ermittlungen zu beiden Sachverhalten dauerten an. Weitergehende Details könnten darum zunächst nicht benannt werden.
Die eingesetzten Dienstkräfte der Polizei Berlin und des Ordnungsamtes Tempelhof-Schöneberg zeigten sich zu jedem Zeitpunkt äusserst kommunikativ, kooperativ, hilfsbereit und tolerant.
Abschliessend erklärt der Polizeisprecher: «Die eingesetzten Dienstkräfte der Polizei Berlin und des Ordnungsamtes Tempelhof-Schöneberg zeigten sich zu jedem Zeitpunkt des Einsatzes äusserst kommunikativ, kooperativ, hilfsbereit und tolerant gegenüber den Gewerbetreibenden sowie allen anwesenden ehemaligen Versammlungsteilnehmenden und Feiernden im Regenbogenkiez. Dies belegen auch diverse im Internet kursierende Videos. Freiheitsentziehende Massnahmen, die mit unmittelbaren Zwang durchgesetzt werden mussten, folgten erst dann, wenn sämtliche Massnahmen zuvor nicht griffen und waren damit letztes Mittel.»
Der Vorwurf von «Jagdszenen», den Anwalt Härting bei Facebook erhoben hat, könne man nicht nachvollziehen. Vielmehr dürfte es sich laut Cablitz bei der beschriebenen Szene um einen Einsatz mehrerer Polizeikräfte handeln, die aufgrund einer Funkmeldung geschlossen zu einem in der Nähe befindlichen Wohnhaus rannten, in dem eine gegenwärtige Vergewaltigung gemeldet worden war. Dieser Umstand habe sich im Anschluss aber nicht bestätigt.
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