Ursli Pfister feiert Peggy March: «Hätte es auch mit zwei Kostümen gemacht»

Ein Gespräch über das Erwachsenwerden und die Faszination Schlager

Ursli Pfister als Peggy March
Ursli Pfister alias Christoph Marti als Peggy March (Bild: Fokke)

Ursli Pfister alias Christoph Marti wuchs im Bern der 1970er Jahre auf. Sein neues Programm «Peggy March, Frau Huggenberger und ich» reflektiert diese Zeit. Es erzählt vom Erwachsenwerden und der künstlerischen Prägung von Marti, garniert mit Schlagern von Peggy March.

Im Interview mit MANNSCHAFT spricht Christoph Marti (Geschwister Pfister) über seine Jugend in Bern, die Faszination mit der Bühne und der bunten Schlagerwelt insbesondere und – wie er für das Peggy-March-Programm riechen will.

Die Amerikanerin Peggy March gehörte zwischen 1965 und 1980 zu den erfolgreichsten Schlagersängerinnen im deutschsprachigen Raum und feiert Erfolge mit «Mit 17 hat man noch Träume» und «Carnaby Street». Ihr grösster internationaler Erfolg ist «I Will Follow Him» - der Song wurde später für den ersten «Sister Act»-Film wiederentdeckt.

Anfang April feiert «Peggy March, Frau Huggenberger und ich» in Berlin Uraufführung. Die Produktionsleitung hat Martis Ehemann Tobias Bonn.

Christoph, den Älteren mindestens ist Peggy March bekannt. Du sowieso. Aber wer ist Frau Huggenberger?

Das war eine Nachbarin in Bern, wo ich aufgewachsen bin. In dem Haus wohnen meine Eltern immer noch. Meine Mutter wollte, noch bevor ich im Kindergarten war, wieder arbeiten gehen. Aber es gab keine Kitas damals. Also suchten wir ein Wochenplatzmädchen. So nannte man Babysitter früher. Zuerst kam dann Ursula Huggenberger, die Tochter der Frau Huggenberger aus meinem Programm. Die war ungefähr 15, trug enge Jeans und Sonnenbrille. Das war die erste, wo ich dachte: Die weiss einfach Bescheid (lacht).

«Sie brachte ihren tragbaren Plattenspieler mit, und wir haben getanzt. Sie hat uns aufgestellt und gleich Schritte einstudiert.»

Die kam uns hüten, mich und meine zwei Schwestern. Sie brachte ihren tragbaren Plattenspieler mit und ihre Singles. Wir haben getanzt, sie hat uns aufgestellt und gleich Schritte einstudiert.

Es war einfach das allerbeste. Aber sie ist dann in die Ausbildung und von zu Hause ausgezogen. Und ich dachte: Diese Platten, die sie mitgebracht hat, die sind ja vielleicht noch da drüben bei der Nachbarin ...

Und so hast du Peggy March entdeckt?

Frau Huggenberger war vom Alter her zwischen meiner Mutter und meiner Grossmutter, vom Wesen her näher an meiner Grossmutter, weil sie einfach so lieb war, wahnsinnig lieb. Und bei ihr habe ich die erste Peggy-March-Platte gehört, ja! Ich bin da ein und ausgegangen und spielte immer diese Platten.

Hat dich Peggy March seither immer begleitet oder hast du sie jetzt wiederentdeckt? Ihr habt euch ja schon mit den Schlagerlegenden Cindy und Bert in einem eigenen Programm beschäftigt.

Cindy und Bert haben damit viel zu tun, denn als das Programm zu Ende ging, war ich wahnsinnig melancholisch. Weil das für mich ein totales Wunschprogramm war. Und weil von Anfang an klar war, dass wir weder auf Tour gehen können, noch dass es eine Wiederaufnahme gibt, weil es einfach zu aufwändig, zu opulent war.

Ich war sehr betrübt und hatte dann wahnsinnig Lust, nochmal sowas zu machen. Keins von diesen Liedern von Peggy March hätte wirklich Platz in einer Pfister-Show, oder es müsste eher eine Sixties Show sein. Und an einem der letzten Abende von Cindy und Bert sagte ich zu unserem musikalischen Leiter Johannes Roloff: Ich möchte gerne zu Peggy March auch einen ganzen Abend machen!

Ihr spiel das in der Bar jeder Vernunft. Gross ist die Bühne da nicht.

Es ist die kleinstmögliche Version des Programms. Sonst würde es leider zu teuer. Aber ich wollte es unbedingt und sagte zu Tobi: Ich mache es auch mit zwei Kostümen. Aber er meinte: Nein, sechs müssen es schon sein. Und es sind nun auch zehn Perücken geworden.

Und du hast ein eigenen Duft für die Rolle!

Ich habe mir über die Jahre angewöhnt, ein Parfüm für jede Rolle zu bestimmen. Als ich online von einem sehr teuren Erdbeerduft las, bestellt ich es, doch leider passte es gar nicht zu Peggy March. Ich habe es wieder verkauft, mit einem Minus von 224 Euro!

Ich habe aber schliesslich doch eins gefunden, das absolut passt. Es riecht nach Erdbeerkaugummi und das ist es jetzt geworden. Hat 7 Euro gekostet.

Peggy March lebt in den USA: Sie weiss, dass es das Programm gibt?

Sie weiss davon, aber sie wird nicht kommen zur Premiere. Vielleicht kommt sie später mal. Ich finde es gut, dass sie von dem Programm weiss. Wobei der Charme ist ja: Wir erzählen nicht das Leben von Peggy March. Aber für mich hatte schon diese Musik und diese Zeit eine wirklich grosse Bedeutung. Und zwar eben in diesen so viel gepriesenen Jahren, in denen alles so schön bunt und vielversprechend war.

Für mich gab es damals überhaupt nichts. Es war wie in der Wüste Gobi aufzuwachsen. Als Junge wusste ich noch nicht, was schwul ist, war es aber ja schon. Immerhin, es gab die Bravo. Die war für mich wie Lebenselixier. Sie war aber verpönt. Man konnte nicht auf dem Gymnasium mit der Bravo da sitzen, mit ihren Aufklärungsseiten. Das musste heimlich geschehen.

Ich habe das alles fast auswendig gelernt, denn es war das einzige, wo ich auftauche, wo man mal einen nackten Jungen sehen konnte und wo mal das Wort schwul oder wichsen stand.

Wie haben denn deine Eltern auf dein Coming-out reagiert?

Meiner Mutter habe ich mit 18 gesagt, dass ich schwul bin. Da hatte ich meinen ersten Freund und habe noch zu Hause gewohnt hat und dachte: Jetzt fange ich nicht an, irgendwelche Märchen zu erzählen. Also sagte ich ihr: Ich habe jetzt einen Freund und der heisst Stefan.

Das erste, was meine Mutter gesagt hat, war: Ich finde, du musst trotzdem zum Militär. Mein Vater war ja Oberst im Militär gewesen. Das war wie eine Hypothek. Aber ich ging dann zur Schauspielschule und es gab so ein Abkommen. Ich konnte immer um ein Jahr verschieben und danach bin ich auch gleich ins Ausland. Da kriegen sie dich nicht.

«Ich habe eigentlich gedacht, jetzt wird es richtig ätzend, und wir brüllen uns an.»

Du erzählst im Programm auch, dass du mit 17 die Schule geschmissen hast. Du hast deine Eltern einfach damit konfrontiert: Du wolltest auf die Bühne.

Das ist ganz erstaunlich. Ich bin damit komplett durchgekommen. Das hat sie, glaube ich, auch ein bisschen beeindruckt. Ich habe eigentlich gedacht, jetzt wird es richtig ätzend und wir brüllen uns an.

Aber ich war wohl sehr überzeugend. Und es war eben auch klar, egal in welche Richtung meine Ausbildung geht, für die brauche ich wirklich kein Abitur. Also warum soll ich jetzt noch vier Jahre Latein und Physik machen?

Deine Eltern haben dich gewissermassen mit dem Theater infiziert.

Meine Mutter hat da eine Weiche gestellt, als sie mich eines Abends ins Theater hingeschickt hat, mich allein. Da habe ich gesehen: Das ist mit Abstand das tollste, was ich mir vorstellen kann für mein Leben.

Meine Mutter hatte in diesem Theater als junges Mädchen getanzt, im Kinderballet. Und mein Vater hat während der ganzen Schulzeit Statisterie gemacht. Theater war für meine Eltern nicht unbekannt. Aber ich glaube, die haben sich einfach nicht getraut, zu ihrer Zeit zu sagen wie: Ich will Tänzerin werden oder sowas.

Ursli Pfister als Peggy March
Ursli Pfister als Peggy March (Bild: Fokke)

Abschliessend nochmal zu Peggy March: Du hast dich ja lange mit ihr beschäftigt. Taugt sie irgendwie als Homo Ikone?

Ich glaube nicht, ausser – die Musik oder der Groove dieser frühen Stücke von ihr, das entspricht zu einem Lebensgefühl, wo ich sagen würde, damit kann sich jeder Schwule sofort irgendwie komplett identifizieren. Aber das ist jetzt sehr vage.

Aber wenn man so will. Es gibt in dem Programm schon auch einen schwulen Aspekt, das wird ja nicht thematisiert, aber das Ausmass der Scham, die ich offensichtlich ununterbrochen hätte empfinden sollen und nie so richtig verstanden habe, warum das so sein sollte, das ist schon ein sehr schwuler Bezug.

Das hat sich auch so durchgezogen. An der Schule gab es mal einen Elternabend mit musikalischen Einlagen. Ich wollte ein Lied von Zarah Leander singen. Aber eine Lehrerin, Frau Korn, wollte das verhindern. Weil sie meinte, das passt nicht. Ich durfte es dann doch spielen und es hat den Leuten sehr gut gefallen.

Was war denn das Problem? Dass ein Junge das Lied einer Frau singt?

Ich weiss es nicht. Die Frau Korn war einfach auch so böse in ihrer Ausstrahlung. Sie hatte mich auf dem Kieker. Und hat einem mit Blicken immer das Gefühl geben, man ist eigentlich total hoffnungslos. Ich kann nur hoffen, dass es heute solche Lehrer, die damit durchkommen, nicht mehr gibt.

«Peggy March, Frau Huggenberger und ich» feiert am 2. April in der Berliner Bar jeder Vernunft Premiere und läuft dort 3 Wochen lang.

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